aus: Rokko´s Adventures #13
Text & Photos: Rokko
Und es begab sich, daß Rokko mehrere Wochen lang für Jello Biafra hackelte und die Plattensammlung des ehemaligen Dead-Kennedys-Barden ordnete. Welche obskuren Schätze er darin entdeckt hat und worüber die Herrschaften sprachen, lesen Sie hier. 12.12.2014
Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.
=============================================================
Wozu in 80 Tagen um die Welt reisen, wenn man stattdessen auch die Plattensammlung von Jello Biafra ordnen und sich durch ein Kuriositätenkabinett auf Vinyl wühlen kann? Das hat sich Rokko auch gedacht - und ist für einige Wochen beim ehemaligen Frontman der Dead Kennedys eingekehrt. Lesen Sie hier den ersten Teil: Jello Biafra´s Incredibly Strange Record Collection
Rokko: Eine andere Band aus Europa in deiner Sammlung ist Family Fodder.
Jello Biafra: War das überhaupt eine Band? Ich hab´ keine Ahnung! [lacht]
R: Ich glaube, eine Frau und ein Mann, aber sicher bin ich auch nicht.
JB: Ich glaube, das sind bedroom recordings, was damals noch ziemlich neu war. Das ist die größte Überraschung, daß du die erwähnst. Ich glaube, ich habe in den 30 Jahren noch niemanden getroffen, der je von denen gehört hat. Mein Lieblingstonträger von ihnen ist ihr Debüt "Playing Golf (With My Flesh Crawling)" - bis heute eines der allerschrägsten, unklassifizierbarsten Stücke in meiner gesamten Sammlung. Und jeder, dem ich das vorgespielt habe, ist einfach dagesessen und hat gemeint: "What the fuck is this?!"
R: Weißt du noch, woher du die Platte hast?
JB: Wahrscheinlich aus einem Plattenladen.
R: Aber es war nichts, wonach du gezielt gesucht hast?
JB: Nein, nein, ich gehe ganz selten in Plattenläden und suche nach was Bestimmten. Das ist schon seit meinen Teenagerjahren so, als ich einfach nahm, was ich fand. Ich entdeckte einen Second-Hand-Laden in Boulder, Colorado, in der Nähe der der High School, die ich besuchte. Die hatten da eine Kiste mit Gratis-Ausschußware, LPs, von denen sie dachten, die würde keiner kaufen. Diese Box räumte ich in den nächsten drei, vier Jahren fast jeden Tag leer. Ich bekam alle Doors-Alben innerhalb von sechs Wochen, 13th Floor Elevators ebenso, wahrscheinlich klangen die nicht genug wie James Taylor oder diese schreckliche Scientology-Jazz-Fusion-Scheiße, die in Boulder ziemlich gut ging. Ich kriegte Nazz, Chocolate Watchband, Yma Sumac, Les Baxter und viele mehr.
Schließlich stellten sie einen Plattenspieler in den Laden, damit man sich die Platten anhören konnte, bevor man sie kaufte. Ich hörte mir jede einzelne Platte in dem Laden an, ich war so neugierig und gleichzeitig so angefressen von dem schlechten Radioprogramm, wo man zehn oder zwanzig Bands hören mußte, die wie die Eagles klingen wollten, bevor ein Song von Alice Cooper, Jethro Tull oder sonst jemandem kam - das war, als "Aqualung" gerade erschienen war, und die kamen mir zu der Zeit ziemlich heavy vor. [lacht] Das war lange vor Punk.
Die erste Platte, die ich je gekauft hab´, kaufte ich einfach nach Gefühl; es war Blue Öyster Cults "Tyranny and Mutation". Die gefiel mir von Anfang an und innerhalb von ein oder zwei Wochen wurde sie zu meinem Lieblingsalbum. Da habe ich gelernt: Vertrau deinen Instinkten.
Es gab da diesen Musikkritiker für die große Tageszeitung "Denver Post" in Colorado - Jared Johnson. Der war so spießig und das genaue Gegenteil von mir, er schrieb so Sachen wie, daß die Bee Gees und Paul Simon die größten Komponisten des 20. Jahrhunderts wären. Mir fielen seine Reviews auf, als Alice Cooper in der Überschrift auftauchte. Ich dachte: "Oh, cool, Alice Cooper!" Aber er schimpfte nur über ihn: "Wenn er wollte, könnte er wahrscheinlich schöne Balladen schreiben." Ich dachte mir: "Was ist mit dem Kerl los?!" Aber dann merkte ich, daß er, wenn er etwas wirklich haßte, es mit anderen Dingen verglich, die er ebenso verabscheute: "Black Sabbath sind fast so schlecht wie MC5." Und am nächsten Tag suchte ich schon nach MC5-Platten! [lacht]
Und diese Platten waren so unpopulär in der Gegend, wo ich aufwuchs, daß ich das erste MC5-Album für 50 Cents kriegte. "Kick Out the Jams!" kostete 25 Cents, und "Funhouse" von den Stooges versiegelt 10 Cents. Ich war einerseits recht einsam, weil ich der einzige war, dem sowas gefiel - aber auf der anderen Seite hatte ich einen ziemlich guten Zugang zur Musik.
R: Das paßt doch perfekt - nimm einfach das Gratiszeug! Aber nun wohnst du schon seit langer Zeit in der Bay Area. Und Gregg Turkington alias Neil Hamburger hängt hier auch schon lange Zeit rum.
JB: Naja, der ist schon lange weg. Ich hab´ ihn in den späten 80ern getroffen, da hat er noch hier gelebt, und er wollte mich für sein Zine "Breakfast Without Meat" interviewen. Ich dachte mir: "OK, another punk zine, whatever, here we go.”
Ich mache das Interview, sehe das Heft, und die ersten Seiten sind darüber, wie wundervoll die Platten von Richard Harris doch sind. Da dachte ich mir: "Oho, der Typ ist ein bißchen schräg." Und dann kriege ich mit, daß er jedes Mal rauf nach Tahoe fährt, wenn Tom Jones da ist - und das war lange, bevor Tom Jones trendy und cool geworden ist. Laaaaange vorher! Das war zu der Zeit, als die meisten von uns in der Kindheit und Jugend von ihm gequält wurden, als er aus dem Radio geböllert hat und wir nur darauf warteten, den nächsten Song von Led Zeppelin, Steppenwolf, The Rolling Stones oder was auch immer zu hören. Nicht mal meine Katze mochte Tom Jones! Ihre Ohren stellten sich gerade zurück, wenn er im Radio gespielt wurde! [lacht]
Wie auch immer - so haben wir uns kennengelernt. Er hatte sein schräges Label Amarillo Records und versuchte auch selbst, seine eigenen incredibly strange Platten zu machen.
R: Ja, unter verschiedenen Namen.
JB: Von Faxed Head über Zip Code Rapists zu vielen anderen. Aber davor hatte er noch eine andere Band, die Easy Goings. Die haben vor Faith No More gespielt! Dann habe ich den Kontakt zu ihm verloren, bis ich Jahre später draufgekommen bin, daß er sich als "Neil Hamburger" neu erfunden hat. Ich kauf´es ihm ab, daß er absichtlich als weltschlechtester Comedian angefangen hat - aber mittlerweile sind seine Witze so krank und so surreal, daß er zu einem der weltbesten Comedians geworden ist! Ich schaue ihn mir jedes Mal an, wenn ich kann.
Er stellte mir auch Musikgenre namens "Product Music" vor, das er auf einer Compilation bootleggte. Niemand kannte das zu der Zeit. Das sind Alben für Firmenkongresse, manche für die Chefs, manche für die Mitarbeiter, andere für alle. Die Konzerne engagierten eine Musicaltruppe und einen Komponisten, um ein Stück zu schreiben und aufzuführen, in dem es darum ging, wie großartig die Firma doch wäre. Und da ich das Zeug sammle, habe ich herausgefunden, daß einer der Witzeschreiber von David Letterman die am besten findet, die nicht dafür gedacht sind, außerhalb der Konzerne gehört zu werden.
Da gibt es Songs über die Frau vom Exxon-Kaufmann, wie loyal sie ist: sie wäscht seine Uniform jeden Tag, und es ist so offensichtlich, daß die Frauen zu Hause sind, während die Typen in Vegas oder wo auch immer auf dieser Convention einen draufmachen. Es gibt auch eine Coca-Cola-Platte, aufgenommen in San Francisco. Bei der [bricht in lautes Lachen aus] singen sie über "the great bottling plant in the sky” [singt]: "And there´s no EPA [Environmental Protection Agency; Anm. d. Übers.] and there´s no OSHA [Occupational Safety and Health Administration], and everyone has no choice but to drink coke all day!”
Ich dachte mir: "Hey, warte mal! Wenn sie schon so angepißt über die schiere Existenz der EPA sind, was zur Hölle schmeißen die ins Cola?!?"
Ein paar Jahre später hatte Pepsi seine Convention in San Francisco, und das Gedenkalbum beginnt mit einem 15minütigen Musical, das sich am Fehlschlag des "New Coke" ergötzt.
R: [lacht] Ich würde gern wissen, wer sowas komponiert.
JB: Ich glaube, mein Liebling ist der von der American Standard Toilet Company Convention, wo eine Frau singt [singt]: "My bathroom, my bathroom, is a special kind of place. Where I´m always free to be me! Free! Free! Freeeeee!” [lacht]
R: [lacht] Ich hoffe, sie meint das ernst!
Laß uns über die Silver Apples reden.
JB: Die Silver Apples waren eine der ersten, vielleicht sogar die erste Elektronik-Band, wenn du es so nennen willst, mit selbstgebautem Equipment. OK, der Drummer spielte handelsübliche Drums, aber Simeon aka Simeon Coxe bekam seine Oszillatoren von der Marine und konnte die Sounds in Songs verwandeln. Das einzige, was irgendwie nahe an die herankommt, ist Suicide. In dem Laden, wo ich immer die Gratisbox ausräumte, sagte mir einer der Mitarbeiter: "Egal, wer im Laden ist: Wenn ich hier die Silver-Apples-Platte spiele, kommt nach einem Song jemand und bittet mich, das abzuschalten."
Was wirklich Schräges, das ich habe, sind Hunde- und Katzen-Platten! Es gibt nicht so viele davon, aber die sind ganz anders als die berüchtigte "Teach Your Parrot To Talk"-Platte. Im Heavy-Metal-Bereich, wo alles geht, was wir als Grindcore kennen, wo ultraschnelle Noise-Blasts aus den Boxen böllern, wobei Anal Cunt eine Vorreiterrolle eingenommen haben - das hat zu Bands wie Caninus geführt, wo die Sänger zwei Pitbulls sind. Reptilian hat eben eine Split-EP von Caninus und Hatebeak rausgebracht; das ist eine Grindcore-Band, deren Sänger ein Papagei ist.
Ich finde, Caninus haben die besseren Riffs, aber leider sind die Tierstimmen elektronisch verfremdet und nicht originalgetreu aufgenommen - darauf hätte ich eigentlich gehofft. Aber ich glaube, es sind viel mehr Effekte auf Waldo dem Papagei als auf Basil und Budgie, den Hunden. Basil und Budgie klingen nicht so anders als die gepitchten Krümelmonster, die man nicht nur im Grindcore, sondern auch im Death und Black Metal öfters hört. Wirklich, bei manchen könntest du Hunde singen lassen, und die Leute würden glauben, es wären Menschen!
Auch die Songtitel bei Caninus sind interessant: "No Dogs, No Masters" ...
R: ... und der Tonträgertitel.
JB: Ja, "Now The Animals Have A Voice". "Fear of Dog", "Go Vegan" steht da im Eck, obwohl es ein Song darüber ist, Anwälten in die Waden zu beißen. [lacht] Dann stehen lange Erklärungen zu den Songs, übersetzt von hündischer auf menschliche Sprache. Waldo wurde nicht übersetzt.
Ich bezweifle, daß eine der Bands je live aufgetreten ist, aber es passieren schrägere Dinge. Einer der eher ungewöhnlichen Berichte über die Bad Brains in den letzen Jahren war der, daß H. R. mit einem Vogel im Käfig auf die Bühne kam und das ganze Konzert für den Vogel gesungen hat.
R: Ha! Nicht schlecht! Du hast auch ein paar Sun-Ra-Platten ...
JB: Sun Ra ... Da ist es schon schwer, bei dem riesigen Output mitzuhalten. Ich hab´ die "Hot Skillet Momma"-Single von Yochanan und wußte anfangs nicht, daß er das war.
Klaus Flouride, ein 78er-Sammler, hat mir erzählt, daß Sun Ra in den 1940ern wieder und wieder als Leiter kommerzieller Big Bands engagiert worden ist - und immer wieder gefeuert wurde, weil seine Arrangements so schräg waren, daß die Musiker ihm nicht folgen konnten! [lacht] Aber irgendwie überlebte er all die Jahre und konnte das machen, was er wollte. Ich glaube, er hielt sich selbst für einen großen Propheten. Eine ESP-Platte hat die großen Denker der Menschheitsgeschichte auf der Rückseite; da sieht man Kopernikus - und daneben Sun Ra!
R: Hast du ihn mal live gesehen?
JB: Ja. Er hat sogar einmal mit den Dead Kennedys gespielt! Dirk Dirksen engagierte unbeabsichtigt Sun Ra und die Dead Kennedys für denselben Abend in den Mabuhay Gardens, und dann wollte er uns rausbugsieren. Da stand nämlich eine große Beschwerde im "San Francisco Chronicle", geschrieben vom berühmten, mächtigen Kolumnisten Herb Caen, der sich darüber aufregte, wie geschmacklos es doch sei, daß wir am Todestag von John F. Kennedys spielen würden. Uns war das gar nicht bewußt, aber auf einmal war da ein Haufen Publicity, und Dirk sagte zu Herb Caen: "Ich kann die Show nicht absagen, es gibt da einen Vertrag" - der natürlich nicht existierte! Aber wir waren plötzlich heiße News, und er mußte uns wieder in den Kalender eintragen. Um irgendwelchen Beschuldigungen zu entgehen, mußten wir sagen, daß wir gratis spielen würden, nachdem Sun Ra fertig war.
Eine Menge von unseren Leuten kamen schon früher und sahen sich Sun Ra an. Ich war dort mit 6025, unserem zweiten Gitarristen, der Songs wie "Ill in the Head" und "Religious Vomit" geschrieben hat und wirklich, wirklich auf Captain Beefheart abfuhr. Sun Ra blies uns beide weg. Er fing an mit abstrakter, aggressiver Musik, die man noch am ehesten mit Beefhearts "Flash Gordon´s Ape" vergleichen kann, das "Lick My Decals Off, Baby!" beendet. Nach den ersten 15 Minuten kakophonischer, abstrakter Klänge wurde er relaxter, swinghafter, und spielte auf seiner Orgel. Dann spielten sie "Space is the Place”, wo er ein Lichtschwert hatte - wahrscheinlich wegen "Star Wars" im Spielzeuggeschäft gekauft - und durch das Publikum schritt, während "Space is the Place” gesungen wurde.
Als wir dann spielten, waren zum Glück noch ein paar Leute da, die wegen Sun Ra gekommen waren. Die saßen an den Tischen bei der Bühne, und ich glaube, da waren einige von der Nation of Islam dabei, die waren in Anzug und Krawatte gekommen. Als wir anfingen, wurden ihre Augen größer und größer, und sie bewegten sich recht schnell von der Bühne weg.
Aber Sun Ra mochte uns, er fand uns ziemlich cool. Es ist sehr interessant, wie ähnlich die Gesichter von Sun Ra und H. R. von den Bad Brains sind, besonders die Augen. Ich hab´ noch nie von einer Verwandtschaft zwischen den beiden gehört, aber vielleicht stammen sie vom selben Planeten.
R: [lacht]
JB: Wie du in den letzten paar Wochen gesehen hast, sind in meiner Plattensammlung nicht nur die üblichen Verdächtigen. Deswegen bringe ich auch so viele Platten nach Hause: Ich liebe magische Unfälle, wenn ich Musik kennenlerne, die ich vorher noch nie gehört habe, wie die Sparks oder Peter Ivers. Zuerst dachte ich, das wäre die schlechteste Musik, die ich je gehört habe, aber später kam ich drauf, daß das ziemlich guter Stoff ist. Deswegen hab´ ich so viele Platten. Ich kaufe die nicht, um sie zu horten oder weil ich glaube, daß sie einmal etwas wert sein werden, oder weil ich angeben will: "Ich hab´ dieses rare Stück, das du nicht hast!" Jede einzelne Platte, die ich heimbringe, kaufe ich deswegen, weil ich sie hören will. Und manchmal ist etwas dabei, wo es mich total aushängt, wie etwa das erste Die-Kreuzen-Album: das ist eines der wichtigsten Alben, die ich in diesem Jahr gehört habe - und gleichzeitig weiß ich nicht mal, ob ich es je wieder hören werde.
R: Ja, du hast ja noch so viele Platten, die du noch kein einziges Mal gehört hast.
JB: Genau. Und das heißt auch, daß ich nie auf sowas reinfallen werde wie: "Ooooh ... punk rock died in 1983! There´s no good music anymore.”
Wenn mir jemand erzählt, daß es keine gute Musik mehr gibt, versuche ich ruhig zu bleiben. Ich versuche nett zu sein. Und nicht nur zu sagen, daß derjenige damit aufhören soll, faul und dumm zu sein. Normalerweise sage ich: "Hey, warte mal, wie wär´s damit, wenn du deine Flasche einen Moment lang abstellst und raus aus deiner Wohnung gehst, dir eine neue Band ansiehst? Kauf dir in einem Plattenladen was, das du nicht kennst, weil es interessant aussieht."
Du mußt immer weiterforschen! Ich stehe auf so viel verschiedene Musikarten, alles, was ich noch nicht gehört habe - egal, ob es fünf, zehn oder fünfzig Jahre alt ist - ist neu für mich. So geht mir neue Musik nie aus. Ich bin noch immer ein großer Fan. Das verliert man nicht - außer man wird einer dieser Typen, die sich wundern, daß alles schlecht geworden ist und so tun, als wäre es noch immer 1980. Die wollen, daß ich die Dead Kennedys wiederbelebe mit Leuten, die mich aus den schlechtestmöglichen Gründen gelinkt haben. Daran glaube ich aber nicht. Wenn du Punk von mir willst, dann mußt du meinem Weg folgen. So waren die Dead Kennedys, und so bin ich nach wie vor. Ich will das Hirn von den Leuten herausfordern, musikalisch und textlich. Irgendwer muß die Einstiegsdroge sein. Meine Lieblingskunst ist diejenige, die dein Hirn rotieren läßt. Magische Unfälle! So bin ich auf H. R. Giger gekommen. Als ich seine Arbeiten das erste Mal gesehen habe, dachte ich mir: "Gott, der Scheiß ist die beste Kunst, die ich seit Hieronymus Bosch gesehen habe! Warte mal, wenn ich meine Texte hier und da ein bißchen ändere, könnte 'Frankenchrist' ein Konzeptalbum werden, dann wäre da ein roter Faden durch das gesamte Album."
Giger hat das ausgelöst - und so landete seine Kunst auf der Platte.
R: Und du bekamst deine Probleme.
JB: [lacht] So ist es!
Hier ist noch eine andere kriminell unterbewertete Bay-Area-Band, eine der besten Sachen, die wir in den letzten Jahren auf Alternative Tentacles hatten: The Phantom Limbs. Eine von Keyboards getriebene Punkband, um die eine ordentliche Begeisterung im Underground herrschte und bei deren Shows es wilder zuging als bei normalen Punk-Konzerten. Sie sind mindestens zweimal durch Europa getourt, aber nach zwei Alben sind sie viel zu früh auseinandergegangen.
Solche Dinge passieren heutzutage ständig; es ist hart, als Band zu überleben. Ich fürchte, daß Filesharing manchmal ein Auslöser dieser Problematik ist. Die Leute kommen zwar zu den Shows, aber sie kaufen keine Tonträger mehr. Auch wenn ich glaube, daß es einfach nur böse ist, wenn große Labels versuchen, Leute ins Gefängnis zu bringen oder eine alleinerziehende Mutter, die in einem Ghetto wohnt, auf 100.000 Dollar zu verklagen, weil ihre Tochter einen Song downgeloadet hat - das ist total krank! Die Majors haben entschieden: "Wir können mehr Kohle machen, indem wir Leute verklagen, als zu versuchen, gute Musiker zu finden und zu promoten, die wir nicht bei 'American Idol' entdeckt haben."
Aber gleichzeitig glaube ich, daß die Leute ein bißchen bewußter mit Musik umgehen sollten. Wenn du die Musik von Major-Labels downloadest - warum zur Hölle nicht?! Die zocken die Musiker sowieso auf jede erdenkliche Weise ab. Die haben eine Armee von Anwälten, die die Musiker auf jede Art ficken. Aber was ist mit den undergroundigen Independents? Was ist mit so großartigen Labels wie Gold Standard Labs, die aufgehört haben, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr zahlen konnten? Und Alternative Tentacles hatte in den letzten fünf, zehn Jahren auch eine extrem schwierige Zeit, besonders, nachdem die Dead Kennedys mit dieser bösartigen Klage gestohlen wurden.
Ein möglicher Weg wäre, daß die Leute nur einen Teil der Independent-Tonträger frei zugänglich machen, nur ein paar Songs, und daß dann die Leute, die das schätzen, die Tonträger kaufen und zumindest helfen, die Aufnahmekosten einzuspielen.
Es gibt nicht nur Puffs und Swingerclubs, sondern auch die freie Wildbahn: geheime Sexorte im öffentlichen Raum, wo man sich selbst aktiv betätigen oder als Voyeur in Erscheinung treten kann. Diese Plätze zu finden erfordert Zeit, Geduld - und im besten Fall Anstand. Rokko führte ein Gespräch mit einem, der den Wiener Dschungel schon seit Jahrzehnten durchkreuzt.
Dr. Stanley Burns hat sich in seinem unauffälligen Sandsteinhaus in Manhattan seine eigene Sammlung geschaffen, in der er arbeitet, lebt, und atmet. Darin zu finden: mehr als eine Million historische Photos aus existentiellen, medizinischen, kriegerischen und kriminellen Prozeduren, die die menschlichen Entwicklungen von 1850 bis 1950 schonungslos dokumentieren - und damit auch die Gegenwart sowie zukünftige Entwicklungen bzw. Dummheiten besser begreifbar machen.
Freddy Quinn, ein internationaler Star, der zu Journalisten ein distanziertes Verhältnis pflegt, sich mit seiner Kunstfigur von der Außenwelt abschottet, seine Frau öffentlich nur als "meine Managerin" siezte, ist im September 2016 ganze 85 Jahre alt geworden. Ein exklusives Fest mit einstelliger Gästelistenzahl im geheimen Szenelokal? Falsche Fährte. Gefeiert wird mit Liptauerbrot und Dosenbier in einem Gemeinschaftsraum im Wiener Wohnpark Alt-Erlaa, den das Pensionistenehepaar Brigitta und Eduard Klinger gestaltet.
Wo hat Rokko das erste Mal Country Teasers quengeln, Sleaford Mods fluchen, Amanda Whitt wüten, Steel Pans im Getümmel bei einer West Indian Day Parade gehört? Nicht draußen - und nicht im Wohnzimmer eines Vertrauten, sondern auf WFMU. Dieser Radiosender funktioniert aber im Grunde genauso: als würde man daheim bei einem Haberer sitzen, der einem seine Lieblingsplatten vorspielt.
Wenn etwas weggeschmissen wird, heißt das nicht, daß es weg ist. Erst dann fängt nämlich ein interessanter Verwertungsprozeß an, der auf mehreren Ebenen funktioniert. Diesen Vorgang wollte sich Team Rokko genauer ansehen.
Preisfrage: Was haben Mike Tyson, Nikola Tesla und Willy Brandt gemeinsam? Richtig: allesamt Taubenzüchter. Team Rokko hat für Sie einige spannende Geschichten zum Thema "Männer, ihre Vögel und die Pigeon Fancier Convention in Blackpool" auf Lager. Fliegen Sie mit ihm los!
Kommentare_