Manfred Prescher - Verdammtes Miststück!
EVOLVER BOOKS ELEKTRO (2013)
Bevor das 400. "Miststück der Woche" über die EVOLVER-Bühne geht, ist es höchste Zeit, ein paar Takte mit Manfred Prescher zu plaudern. CarmiKaze und Jens Buchholz geben den Beat vor. 25.08.2020
Manfred Prescher hat mit Nummer 366 aufgehört, neue "Miststücke" zu schreiben. Warum? Weil er keinen Bock mehr hatte? Oder weil der Bock mittlerweile zum Gärtner wurde und es ihm daher an Zeit mangelte? Auf jeden Fall hielt das Ende genau drei Jahre: Seit Januar gibt´s jede Woche wieder ein neues "Miststück". Zur Ausgabe Nummer 400 wird der Name, der noch in der Kreidezeit - also 2005 - erdacht wurde, geändert. Die Hintergründe und noch vieles mehr erklärt er CarmiKaze und Jens Buchholz im großen Interview, das die beiden per Konferenzschaltung mit ihm führten.
Ein Interview der besonderen Art
Es war der damalige Chefredakteur des EVOLVER, der wieder mal als Impulsgeber fungierte: "Hör einmal, Manfred", sagte er, "das 'Miststück' wird 400. Da sollte man den Lesern wohl noch einmal sagen, wie alles begann, warum es die Kolumne immer noch - beziehungsweise - wieder gibt und was du sonst so treibst." Das leuchtete mir sofort ein: Wenn ich selbst mich schon kaum mehr an die Anfänge erinnere und nur durch unregelmäßige Besuche im "Miststück"-Archiv auf meist längst vergessene alte Texte stoße, wieviel wissen dann Kathrin und Otto Normalleser noch von der glorreichen Vergangenheit des "Miststücks"? Wer nach dem Neustart der Kolumnenserie neu dazugekommen ist, stellt sich vielleicht erstmals die essentiellen Fragen: Was soll das? Was wird das? Und warum ist das so verdammt geil zu lesen?
Die Fragen harren also darauf, erneut - und mit dem aktuellen Blick eines altersmilde gewordenen "Gentleman-Rüpels" - beantwortet zu werden. Aber wer sollte sie stellen? Am besten wieder, wie anläßlich des 300. "Miststücks" Ende Oktober 2014, zwei als Journalisten und Prescher-Kenner kompetente Menschen. Wie damals fiel die Wahl auf Kollegen. Beide, CarmiKaze und Jens Buchholz, schätze ich wegen ihrer "Denke", ihrer "Schreibe" und wegen ihrer einfühlsamen "Wesenheit" (Konstantin Wecker). Deshalb müssen sie auch nicht "Was soll das?" oder "Was wird das?" fragen. Was sie nämlich wirklich wissen wollen, geht ins Detail, verlangt von mir, auch mal innezuhalten und nachzudenken. Aber genauso soll es sein: Ich beantworte alles, so gut ich kann. Am Anfang wird es jedenfalls schon mal sehr persönlich - es geht um mein Zeitmanagement und meinen persönlichen Zugang zur Musik.
"Ein Lied kann eine Brücke sein" - oder: wie Musik zu Kolumnen wird
Jetzt mal ehrlich: Wann genau hörst du dir die ganze Musik an, über die du schreibst?
Das frage ich mich auch. Aber ganz im Ernst, ich höre Musik, wenn ich abends mit meinen beiden Hunden Gassi gehe, am Wochenende beim Wohnungsputz oder auch mal im Bett, vor dem Einschlafen. Ein paar Rituale habe ich auch, so streame ich immer freitags durch Spotify-Playlists von Freunden und Bekannten. Ich bin also immer noch auf der Suche nach interessanten Songs. Apropos Spotify: Immerhin höre ich soviel Musik, daß der Streamingdienst eine richtige Wochenhitparade für mich errechnet. Das mußte ich früher immer selbst machen. Also wenn das mal kein Vorteil des Gestreames ist ...
Bei der Recherche ist uns aufgefallen, daß man dir eine Frage wohl noch gar nicht gestellt hat. Vielleicht ist sie ja zu persönlich: Wieso heißt das "Miststück" eigentlich "Miststück"?
Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht mehr, wie sich das mit der Namensfindung tatsächlich zugetragen hat. Ich erinnere mich aber an eine zeitliche Kongruenz: Ich fand bei Karstadt eine Schlafbrille, auf der mit Glitzersteinchen "Miststück" gestickt war - und praktisch gleichzeitig war ich genervt von Madonna.
Ist das dein Ernst? Madonna ist "schuld", daß du mit den Kolumnen angefangen hast?
Ja, das stimmt wirklich, ist also kein Mythos. Ich hatte das Abba-Sample aus Madonnas "Hung Up" im Ohr - und konnte mich nicht dagegen wehren. Im launigen Gespräch mit dem damaligen EVOLVER-Chefredakteur Jürgen Fichtinger kamen wir dann auf weitere solch fieser Songs, auf Lieder, die man nicht mag und die sich trotzdem festsetzen. Der Rest war dann eine Schnapsidee, an der ich länger zu nuckeln hatte. Ich erinnere mich noch, wie Jürgen Fichtinger in seinem charmanten österreichischen Duktus sagte, daß ich doch "bittschön" etwas dazu schreiben möge. Das wäre nämlich mal ein schönes Thema für eine Kolumne. Also wurde "Hung Up" zum ersten "Miststück der Woche". Alles Weitere ist Geschichte - und die geht grob so: In vollem Eigennutz wettete Jürgen Fichtinger mit mir, daß mir nach spätestens fünf Kolumnen die Luft ausgehen würde. Das stachelte mich derart an, daß ich dagegenhalten mußte. 100 solcher Kolumnen würde ich schaffen, gab ich an - weshalb eine "Miststück-Staffel" übrigens bis heute aus 100 Texten besteht.
Als das "Miststück" 300 geworden ist, hast du gesagt, du hörst beim 400. auf. Warum gibt es das "Miststück" immer noch beziehungsweise wieder?
Ich habe ja schon nach der Nummer 366 für immerhin drei Jahre damit aufgehört. Aber nun will ich einfach wieder weitermachen. Es war - wie damals 2005 - ein Impuls. Mal schauen, wie lang das so gehen wird, es kann sich hinziehen ... Schließlich zeigt die Vergangenheit ja, daß ich in puncto Kolumne zäh wie Juchtenleder bin. Außerdem verändert sie sich immer weiter, was erstens die Spannung erhält und das "Miststück" mittlerweile zweitens zu einem sehr eigenen Format macht. Die Musik wird dabei längst "nur" noch als Transportmittel für andere Themen benutzt.
Was inspiriert dich zu den Kolumnen - und bist du immer motiviert, sie zu schreiben, oder manchmal auch genervt darüber, was du dir da aufgehalst hast?
Nein, genervt war ich darüber bis jetzt nie. Es gab nur einmal den Punkt, an dem ich einfach nicht mehr wollte. Das Ende zog sich dann noch etwas hin, aber im Februar 2017 trug ich die Kolumne vermeintlich endgültig zu Grabe. Aber bekanntlich leben Totgesagte ja länger. Immer wieder wurde ich auf das "Miststück" angesprochen - und dann hatte ich wieder Bock darauf. Am 15. Januar 2020 ging es mit dem passenden Song "Never Been Away" von Kitty Solaris wieder im Wochenrhythmus los.
Hast du ein Lieblingsmiststück?
An etliche Kolumnen habe ich, ehrlich gesagt, gar keine oder nur vage Erinnerungen. Aber ein paar mag ich nach wie vor sehr, weshalb ich mich auch nicht auf DAS Lieblings-"Miststück" festlegen kann und will. Zu meinen absoluten Favoriten gehören auf jeden Fall der Text zu Willie Nelsons und Rosanne Cashs Kristofferson-Cover "Please Don´t Tell Me How The Story Ends", für den ich in die Rolle Nelsons geschlüpft bin, und die komplett erfundene Geschichte der ominösen Band Witchy Chicks, für die der großartige Jörg Vogeltanz sich auch die passenden CD-Cover ausgedacht hat.
"Do you like good music? That sweet soul music?" (Arthur Conley) – oder: Motown-Soul und Elton John funktionieren ganz gut. Besser jedenfalls als Einstürzende Neubauten oder Motörhead.
Bis hierhin und doch weiter: Carmi und Jens fragten mich nach den Beweggründen für die Kolumne. Schließlich hätte die sich, zumindest theoretisch, im Kern auch um Ameisenhügel, die oft schwierige Suche nach passenden Staubsaugerbeuteln oder den literarischen Kano ndrehen könnte. Das tat sie dann zwar auch, aber bis heute steht jeweils mindestens ein Song im Mittelpunkt eines jeden Miststücks. Das muß dann doch irgendwie an mir liegen. Also wird es jetzt richtig persönlich.
Welche Bedeutung hat Musik für dich? Und wie wirkt sie sich in deinem Alltag aus?
Musik hat in meinem Leben schon immer eine große Rolle gespielt. Das fängt schon damit an, daß ich, seit ich denken kann, mit einem Lied aufwache. Der erste Gedanke ist also musikalisch - aber nicht immer ist er auch schön. Jüngst ging mir "Der kleine Prinz" von Bernd Clüver durch den Kopf. Aber meist kommt es nicht ganz so schlimm.
Welche Musik wählst du aus, um deine Liebste zu bezirzen? Welche, um die Hunde zu beruhigen? Teilt ihr vier einen ähnlichen Musikgeschmack?
Das ist schwierig, sie hört ganz andere Sachen. Aber Motown-Soul und Elton John funktionieren ganz gut. Besser jedenfalls als Einstürzende Neubauten oder Motörhead. Die Hundlichkeiten teilen unser beider Geschmack. Jedenfalls haben sich Flocke und Mia noch nicht beschwert. Zum Beruhigen hilft meine sonore Radiostimme besser als Radiohead.
Welche Art von Musik verabscheust du?
Ich sage immer, daß es eine Grenze gibt, unterhalb derer man nicht mehr von Geschmack reden kann. Was darüber liegt, kann ich mittlerweile ganz gut tolerieren. Das mag am fortgeschrittenen Alter liegen. Oder daran, daß ich als Eklektiker sowieso sehr viel unterschiedliche Musik höre und liebe. Was ich aber verabscheue, ist die Pseudo-Volksmusik, wobei es mir egal ist, ob sie sich als Gabalier verkleidet oder im Schlagergewand daherkommt. Und ich habe eine generelle Abneigung gegen Auto-Tune, weil damit mittlerweile jede Stimme verändert und Eintönigkeit erzeugt wird. Da man aber alles, also auch Musik-Software, auf gute Weise nutzen kann, gibt es Ausnahmen.
Welche Band, die du früher toll gefunden hast, ist dir verloren gegangen? Warum denn?
Meine Oma sagte immer, wenn ich die Schlüssel oder das Federmäppchen verloren habe: "Das Haus verliert nix" - und so läuft das auch in dem Hirnbereich, wo die Musik abgespeichert wird. Alles ist noch da, aber es gibt schon Bands, die ich mal mochte, aber längst nicht mehr weiß, warum. Zum Beispiel mochte ich mitten in meiner Punk-Phase auch Boston und Foreigner, was ich später lange Zeit peinlich fand. Manche Künstler sind heute nicht mehr so wichtig, einfach, weil sie nur kurze Zeit aktiv waren, Heaven 17 zum Beispiel. Anders verhält es sich mit Udo Lindenberg, der war als Teenager essentiell für mich und löste sich dann - nicht nur in mir - selbst auf. Heute habe ich meinen westfälisch-fränkischen Frieden gemacht.
Und umgekehrt: Welche Band oder welchen Künstler, die oder den du früher ganz schrecklich gefunden hast, findest du heute richtig gut?
Sowas kommt vor, was dann aber schlicht und ergreifend an meiner damaligen Unreife oder an meiner Ignoranz liegt. So konnte ich lange Zeit mit Pink Floyd überhaupt gar nichts anfangen, auch mit Ten Years After, mit The Band oder mit Krautrock wurde ich ewig nicht warm.
Wenn man deine Beiträge liest, merkt man, daß du Fürth sehr magst. Wie hat diese Stadt zu deiner Pop-Sozialisation beigetragen?
Ich bin tatsächlich direkt auf der Stadtgrenze von Nürnberg und Fürth auf die Welt gekommen - weshalb ich nicht nur zwei Geburtsorte vorweisen kann, sondern auch beide sehr mag. Was die Rivalität zwischen den Städten angeht, bin ich wohl eine Art zivilisationsmäßiger Christus - angetreten, um die Differenzen zu überwinden. Es hört bloß keiner auf mich. Fürth ist für mich insofern wichtig, weil dort meine Oma wohnte. Sie war praktisch die Mutter für mich - und ihr jüngster Sohn Siegfried war mein großer, nur acht Jahre älterer Bruder. Er hat mich mit Soul Music infiziert. In Fürth lag die, dank der vielen G.I.s, praktisch in der Luft.
Welcher Song hat dich bisher am meisten beglückt in deinem Leben?
Ich müßte da mal in mich gehen, weil das wirklich schwierig ist, denn ich trage schon einige Glücks-Songs mit mir rum. Aber wenn ich mich jetzt spontan entscheiden müßte, ich "Yester-Me, Yester-You, Yester-Day" vom jungen Stevie Wonder nehmen. In dem Song vereinen sich Traurigkeit, schwelgerischer Lebensmut, Poesie und Melodie auf das Trefflichste. Ich besitze noch die völlig zerkratzte Originalsingle meines Onkels. Schon mit acht Jahren hat mich dieses Lied berührt, und es zieht mich immer noch magisch in seinen Bann.
Zur Fortsetzung ...
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