Stories_Hans-Joachim Roedelius/Interview
Klingende Lebenserfahrung
Auf der CD "Lunz Reinterpretations" bearbeiten junge Musiker das Werk des großen Elektronikpioniers. Walter Robotka traf den heute Siebzigjährigen zum Gespräch.
29.11.2004
Hans-Joachim Roedelius wurde im Laufe seiner Karriere schon vieles genannt: Pate der Industrial-Szene, Godfather des Synthie-Pop und Erfinder der Ambient Music. Wie auch immer man ihn kategorisieren mag - sein Einfluß auf die aktuelle Musikszene kann nicht bedeutend genug eingeschätzt werden. Auf Herbert Grönemeyers Label Grönland erscheint nun eine Doppel-CD mit Remixen des vor zwei Jahren erschienenen Albums "Lunz", das Roedelius gemeinsam mit dem amerikanischen Komponisten Tim Story aufgenommen hat. Mit dabei sind unter anderem so unterschiedliche Künstler wie Elbow, Ulrich Schnauss und Lloyd Cole.
EVOLVER: Wie bist du seinerzeit zur Musik gekommen? Was hat dich inspiriert, Musiker zu werden?
Roedelius: Eine meiner Patientinnen, die ich in dem Institut, wo ich damals - etwa 1966 - als Krankengymast und Masseur arbeitete, regelmäßig behandelte, nahm mich eines Tages zu einer Aufführung der freien US-Theatergruppe Living Theatre in die Akademie der Künste in Berlin mit. Diese Aufführung war sozusagen der erste Anlaß dafür, mich selbst mit Theater und Musik zu beschäftigen. Aber schon weit vorher war mir klar, daß ich das, was ich eigentlich ursprünglich wollte, nämlich Medizin studieren, wohl doch nicht tun würde.
EVOLVER: Mit welchen Leuten kamen damals deine ersten Zusammenarbeiten zustande?
Roedelius: Ich besuchte damalige Berliner Szenelokale, traf mich mit vielen Leuten, die - gleich mir - auf dem Weg waren. An Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, erst ab dann, als ich in diesem neuen Abschnitt meiner Geschichte schon Boden gewonnen hatte. Da waren Edgar Froese, damals noch Gitarrist von Tangerine Dream, Klaus Schulze, seines damaligen Zeichens Schlagzeuger, Michael Hönig, Sven-Ake Johannson, Mani Neumaier, Manuel Göttsching und Konrad Schnitzler, mit dem und Dieter Moebius ich ja schließlich Kluster gründete. Meine Urgruppe aber war Human Being, eine Musikkommune, bestehend aus einem Kern von acht Leuten: drei Frauen, fünf Männer.
EVOLVER: Kluster ist ja dann bald nach Forst gezogen, ein kleines Dorf, in dem ihr euch selbstversorgt und unermüdlich gejammt habt. Wie darf man sich die Zeit dort vorstellen?
Roedelius: Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Holz aus dem Wald holen, zerkleinern, aufstapeln für den Winter, Gartenarbeiten und Renovierungsarbeiten erledigen, immer frisch kochen, Mehl mahlen, Brot backen, Küche putzen, Beeren und Pilze sammeln, abends und nachts im langsam entstehenden Studio erste Etüden komponieren und für Cluster- und später Harmonia-Auftritte üben.
EVOLVER: Und wie kam die Zusammenarbeit mit dem englischen Musiker Brian Eno zustande?
Roedelius: Er wurde uns 1974 in der Hamburger Fabrik vorgestellt. Wir kannten und schätzten seine Arbeit mit Bryan Ferry sehr. Eno stieg bei uns ein und jammte im zweiten Teil des Konzertes mit, was uns - weil er sich, ohne mit unserem Instrumentarium vertraut zu sein, wunderbar einfügte - dazu veranlaßte, ihn zu uns ins Weserbergland einzuladen. Er kam dann auch zwei Jahre später tatsächlich nach Forst.
EVOLVER: Gibt es heute noch Künstler, mit denen du gerne zusammenarbeiten würdest?
Roedelius: Ich bin offen für alles Neue, das mich interessiert, auch für die Arbeit mit Künstlern, die ich noch nicht kennengelernt habe, sofern die Chemie stimmt und es um authentische Kunst geht.
EVOLVER: Vor zwei Jahren erschien deine Zusammenarbeit "Lunz" mit dem amerikanischen Komponisten Tim Story. Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?
Roedelius: Er hat mich 1983 in Blumau besucht, nachdem er meine Musik gehört hatte und wissen wollte, wer der Mensch dahinter war.
EVOLVER: Und wie seid ihr ausgerechnet auf den kleinen Ort Lunz in Niederösterreich als Namenspaten für eure Arbeit gekommen?
Roedelius: Tim und ich haben uns während einer gemeinsamen Wanderung 1984 im Lunzer Seengebiet von der Landschaft dazu inspirieren lassen, und als die Produktion vor etwa zwei Jahren fertig war, beide gemeint, daß Lunz der richtige Titel dafür wäre, als Hommage an die Natur.
EVOLVER: Nun ist ja eine neue Version des Albums erschienen, eine Doppel-CD mit Reinterpretationen eurer Stücke durch vorwiegend junge Künstler. Wer war denn für die Auswahl der Mitwirkenden verantwortlich?
Roedelius: Das Label Grönland Records und wir gemeinsam, aber die Idee kam von Grönland.
EVOLVER: Und wieso habt ihr euch für so unterschiedliche Künstler aus verschiedenen Genres entschieden?
Roedelius: Um eine möglichst große Bandbreite an verschiedenen Ausdrucksformen und Interpretationen zu bekommen. Dieser Anspruch hat sich voll ausgezahlt.
EVOLVER: Da drängt sich fast die Frage auf, welcher Musikszene du dich selbst zugehörig siehst?
Roedelius: Ich fühle mich nur meiner Zeit zugehörig.
EVOLVER: Gibt es Dinge außerhalb der Musik, die dich zu deiner Arbeit inspirieren?
Roedelius: Meine Musik ist, so glaube ich jedenfalls, klingende Lebenserfahrung.
EVOLVER: Pläne für die Zukunft? Eine Cluster-Reunion vielleicht?
Roedelius: Ich plane weitere Sommerakademien, so wie heuer im Sommer in Lunz. Eine Cluster-Reunion halte ich allerdings für ausgeschlossen.
Walter Robotka
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