Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #8, Pt. 2

Bekehrung eines Aggroschweins

"Valentine, was macht ihr mit mir?!" Kollege Rokko wollte es genauer wissen: Er traf die US-Band, die dort weitermacht, wo Jodorowsky aufhört, in Berlin. Wer ihm dort sonst noch begegnete, lesen Sie am besten selbst.    05.11.2008

Die Wege des Erfolgs ...

 

Im Herbst des vergangenen Jahres waren Get Hustle also das erste Mal als Band in Europa. Eigentlich hätten sie schon 2006 mit - unter anderem - Quintron und XBXRX den alten Kontinent besuchen sollen, doch ihr Booker wurde schwerkrank, und so wurde dies Schauspiel kurzfristig abgesagt. Für mich ergibt sich so ein ziemlich schräges Verhältnis: Get Hustle haben die USA schon tausendundeinmal bespielt und sind dort richtig groß, aber in Europa hat sie noch kein Schwein gesehen: "Genau das ist es, was uns verrückt macht, daß wir noch nie in Europa waren; to continue only playing in the states is like performing for your bedroom mirror - nuthin new." Doch trotzdem: "Über die Jahre haben wir immer mehr Unterstützung aus Europa bekommen, was wirklich komisch ist, weil wir hier noch keine einzige Show gespielt haben. Ich glaube, man muß eine Auswahl an Aktionen setzen, an denen man sich beteiligt, es gibt dieses Verlangen, daß jede Aktion eine große Bedeutung haben soll. Durch die US zu touren hatte keine solchen Auswirkungen ... So viel Energie ist dahin gewandert, diese gesammelte Kraft von Energie rauszulassen, bis jetzt hat sie sich aber nie von selbst erneuert, sie ist nur detoniert, hat Schallmauern durchbrochen und Spuren von Staub hinterlassen, aber nichts wurde stattdessen gebaut, deswegen haben wir uns dazu entschieden, uns neu zu konfigurieren, was JETZT auch seine Auswirkungen haben wird."

 

Da ich selbst dann doch wenig Einblick in die amerikanischen Gepflogenheiten von Hipness und Status im dortigen Underground habe, frage ich Valentine Falcon gleich direkt nach der Anerkennung, die sie in den USA auch von finanzieller Seite her bekommen: "Unser Erfolg liegt in unserer Sorgfalt und unserer Ausdauer, dieses Kontinuum, unsere Vision bis zum Ende zu führen. Jedes Mal, wenn es vorbei zu sein und Get Hustle seine schöpferischen Absichten erfüllt zu haben scheint, offenbart sich eine neue Stufe. Alles, was bleibt, ist dazu da, noch höher getragen zu werden, man kann das nicht mit Geld messen, obwohl ich Dollars sehr gerne habe, sie sind auf eine sehr mystische Weise dekoriert. Würden sie diesen Mystizismus stärker repräsentieren, dann hätten wir sicher auch mehr Dollars, sie wären dann allerdings eher Amulette, und wir würden sie dementsprechend anwenden. Aber soweit sind wir noch nicht. Doch auch wenn wir jetzt zu spielen aufhörten, würde ich mich erfolgreich für das fühlen, was wir bis jetzt erreicht haben. Für zwölf Jahre in kreativer Verbindung mit zwei anderen Menschen zu sein, ist ein Erfolg - und ich liebe die beiden!"

Aber es wurden doch schon Tonträger auf so renommierten Labels wie 5 Rue Christine, 31G und Gold Standard Laboratories veröffentlicht, sind das keine großen Sachen gewesen? "Wir waren ihre ersten Passagiere bei ihren jungfräulichen Reisen. Zu der Zeit, als unsere Platten auf diesen Labels rauskamen, waren es Experimente, um zu sehen, ob ihre Schiffe überhaupt über Wasser bleiben würden. Experimente sind die Führer auf dem Pfad zum Erfolg, aber nicht notwendigerweise der Erfolg selbst, so haben wir einfach eine Freudenfahrt daraus gemacht und sind dankbar, nicht zuviel Anerkennung dafür bekommen zu haben - ehrlich, wir möchten nicht, daß die Leute diese alten Sachen hören und meinen, so würden wir heute klingen ... it all works out." So erfuhr zum Beispiel auch meine Klage, daß ihre Platten, besonders die vertagteren, nur mittelschwer bis gar nicht zu kriegen sind, die Erwiderung, daß das schon OK so wäre - die seien allesamt nicht repräsentativ, und schließlich gehe es um weit mehr als die Musik. Es wird einem nicht leicht gemacht. Außerdem: "Wir können unsere Platten auch nicht auftreiben, ich frage mich, ob sie überhaupt wirklich existieren, das ist die Frage."

 

... sind unergründlich

 

Immer, wenn ich Get Hustle höre, bekomme ich dieses komische Gefühl, auch die Plattencover und Photos - natürlich und sowieso die Shows - verstärken diese Impressionen: Ich nihilistisches Aggroschwein werde dann plötzlich empfänglich für spirituelle Energien und fühle mich bereit für den Kosmos. Valentine, was macht ihr mit mir?! "Es macht mich so glücklich, daß du dieses Gefühl von unserer Musik bekommst. Ich denke, wir als Band fühlen alle dieses eigenartige, magische Gefühl, was auch der Grund dafür ist, daß unsere Musik so klingt, wie sie klingt. Das ist auf keine Fälle eine Maske, I feel we all have come from a more ancient Atlantean time, we are mere artifacts spreading what gold leaf is left from our troves, filling in the holes, reminding of the time and how it felt to have once been GOLDEN."

Get Hustle pflegen diese idiosynkratische Ästhetik, einen Stil und eine Herangehensweise, die ich vorher noch nicht gekannt habe. "Erst neulich habe ich gesagt, daß ich mein Haus so geschmückt haben möchte wie die Behausung eines Zeitreisenden. Ich glaube, auch wir als Band haben diese Ästhetik, wir nehmen alles Großartige aus den verschiedenen Zeitaltern und tragen das wie Häute."

Da vor kurzem die Wiederwahl der fünf Weltwunder vonstatten ging, erkundigte ich mich bei Valentine Falcon um Get Hustles Favoriten: "Ich habe zwei: die Kristallhöhlen in Mexiko und die Pyramiden. Maxamillion hat mir über diese blinden Fische erzählt, die an den allertiefsten Stellen des Ozeans leben, an dem Ort, wo Lava fließt und noch immer Berge geformt werden. Diese Fische faszinieren ihn, sie leben von Mikroorganismen, die in den gasförmigen Dunstblasen existieren, aus der Lava heraus geboren werden ... It is amazing to think of present day prehistoric-like creationism happening upon the earth, yet we are like the blind fish - and see none of it. Wonder!”

Maxamillion Avila ist überhaupt fasziniert von der Natur, ein kleiner Luddit, den von Menschen oder Maschinen Konstruiertes nicht besonders beeindruckt. Valentine Falcon hingegen ist die mondäne, Zentimeter über dem Boden schwebende Dame des Übernatürlichen; sie liebt alles Überirdische sowie große spirituelle Führer und verkündet eine unendliche Verehrung für Diamanda Galás, Betty Davis, Annette Peacock und Nina Simone - "I want to be like all of them some day! Annnnnd Native Americana!"

 

Viele Bands wirken ja aus der Dose exquisit und unerhört, doch sieht man sie erst einmal lebendig und wechselt auch noch das eine oder andere Wort mit ihnen, merkt man: OK, der könnte mein Nachbar sein, nur kann er halt den Takt besser halten als ich. Bei Get Hustle funktioniert das nicht, es sind ihre Umgangsformen, die all das noch verstärken anstatt zu entschärfen: Ein Hund fängt an, uns zu beschnuppern, ich teile meine Mißgunst Tölen Gegenübern mit und Valentine Falcon darauf: Hunde mag ich auch nicht - nein, eigentlich sind sie mir egal. Ich stehe mehr auf Wölfe, richtige Wölfe, aber wo findet man solche heutzutage noch? Die sind doch alle schon domestiziert. Ein kleiner Einwurf von mir über Säuglinge, die von Wölfen großgezogen werden - man kann sich den Rest des Gesprächs vorstellen: über eigene Wege der Kommunikation, die Verbundenheit und das Eins. Oder ich erzähle von einer Kopfverletzung und darauf folgende Realitätsverschiebungen - Valentine Falcon fängt gleich an, über Schattenrealitäten zu sprechen, fragt nach Sternzeichen, Geburtsdatum und weiß der Teufel was. Meine Rückfragen ergaben: Valentine Falcon ist Wassermann, im chinesischen Tierkreiszeichen ein Drachen - ob das der Grund dafür ist, daß der tätowierte Feuerspucker an ihrem Rücken sich permanent durch Juckreiz meldet?

 

We are family

 

Auf ihrer ersten Europatournee waren Get Hustle großteils als Support für Bands wie High on Fire, Jingo de Lunch und blabla unterwegs, also mit Musikern, bei denen Überschneidungen der Fan-Gemeinschaft eher Glücksfälle als die Regel sind. Ich sagte zu Valentine Falcon, daß ich mich schon auf ihre nächste Europareise freuen würde, wenn sie auch als Headliner auftreten und die Zuhörer auch tatsächlich auf Get Hustle warten sollten. So etwas wie typische Get-Hustle-Fans gäbe es nicht, meinte sie, und auch, daß sie nicht wisse, ob Get Hustle je wieder auf diese Weise touren würden. Die Clubs seien zwar allesamt in Ordnung, aber die hat man einmal gesehen und kann sie abschließend abhaken. Der nächste Schritt: die Verstärker auf Pyramiden, auf alten historischen Stätten aufbauen und von dort aus archaische Geister beschwören, autochthone Energien wiederauferstehen lassen. Mir fiel da dieser Graf Friedrich von Waldeck ein, der im 19. Jahrhundert einen Tempel in Palenque entdeckt und dann zwei Jahre dort residiert hatte - als ich das Valentine Falcon erzähle, fangen ihre Augen an zu glänzen: mehr davon!

Mexiko und Ägypten stehen demnach ganz oben auf der Liste der zu bespielenden Länder, Österreich eher, na ja, sagen wir mal im unteren Drittel. Vielleicht geht aber beim Wiener Stadtrat ein Antrag zur Erbauung einer Pyramide durch. Ich könnte das auch so argumentieren, damit den Zank zwischen den omnipotenten Phallussymbolen Kirchenturm und Minarett ein wenig neutralisieren zu wollen.

Um zum immer wiederkehrenden Thema zu kommen: Get Hustle haben mit King Buzzos Frau Mackie Osborne gearbeitet, ebenso mit David Scott Stone, und Valentine Falcon läßt sich von Joe Preston beim Basteln am Motorrad helfen - seid ihr Mitglieder der Melvins-Familie? "Ich mag den Begriff 'Familie', aber ich denke, ich kann für uns alle sprechen, wenn ich sage, daß wir nicht nur zu einer gehören. Wir sind ALLE eine Familie - die ganze Welt, wenn wir es haben möchten."

Get Hustle wollen über die Musik hinaus, den Schritt weiter gehen, dahinterkommen. Solche Pfade kann man aber, wenn überhaupt, wohl nur alleine beschreiten, Ballast in Form von Begleitern ist bloß Hindernis. Und wenn man an diesem Nicht-Ort angekommen ist, warum sollte man ihn teilen oder anderen davon erzählen, die undankbare Rolle des Verbindungsoffiziers einnehmen? Die würden das sowieso nicht verstehen, dieses Verlassen der eigenen Kultur, mit einem Kopfsprung durch die Oberflächenstruktur zu donnern und dort zu bleiben. Sun Ra war in dieser Hinsicht ein großer Einflußgeber - sowohl musikalisch als auch spirituell. Get Hustle versuchen dieses Portal als gemeinsamer Blutkörper zu durchbrechen - und wenn es jemand schafft, dann sind es wohl sie.

 

Unser großer Zampano

 

Natürlich klingt das alles seltsam, auch weil ich normalerweise der erste bin, der höhere, spirituelle Energien oder Mächte höchstens belächelt - aber Get Hustle sind dazu fähig, mein Weltbild (zumindest für die Dauer einer Platte oder einer Show) beträchtlich ins Wanken zu bringen. Man kauft ihnen alles ab und hat das Gefühl, es ginge gar nicht anders. Ich gebe zu, das ist auch ein bißchen beängstigend - aber zuerst einmal einfach wunderschön.

 

Um es abschließend noch einmal zu sagen: Get Hustle sind Magie. Get Hustle machen da weiter, wo Jodorowsky aufhört. Get Hustle existieren auf unendlich vielen Ebenen. Get Hustle sind Yin und Yang, Sommer und Winter, Urzeit und Zukunft, real und phantastisch. Get Hustle vereinen die uns bekannten Elemente zum Ur-Ding. In schlechteren Zeiten wären Get Hustle verbrannt worden, in besseren Zeiten würden sie die ganze Welt verzaubern. Ein Sprachrohr für das Universum, wo man vom Wachsen des Grases über brennende Ölfelder bis zum Mondschein alles sein kann. Sie sind Azteken und Roboter gleichzeitig, Erdenbürger und Sonnengötter mit vergoldeten Häuptern, die sie einmal schütteln, um mit Regen aus Goldstaub das Unwirkliche wirklich zu machen. Das ist kein New-Age-Dampfgeplauder, das ist verdammt wahr!

Sie sind keine Musiker, sondern mystische Gestalten, die als zauberhafte Troubadoure Rituale feiern, wobei die wahnsinnigsten Klänge zwischen der furiosen Taufe eines Derwischs und der ewigen Sphärenharmonie, die die alten Griechen schon suchten, entstehen. Sie stülpen sie um, dekonstruieren sie, machen sie flüssig und trinken schlückchenweise davon. Get Hustle haben die Antwort. Schamanen mit expressiven Gebärden und einnehmender Oszillation; Traumdeutung ist Blödsinn, der erst durch die Trennung von Traum und Wirklichkeit konstruiert wird. Religionskriege, Zollgebühren und Berufswahl - das alles ist so weit weg, wirkt überflüssig, wie künstlich geschaffene Bedürfnisse und Sorgen zur individuellen Einschränkung, paßt alles nicht in die Welt von Get Hustle. Sie sind rein und unschuldig, allmächtig und weise, archaische Schweife in die Zukunft. Get Hustle sind unbestreitbar, so doch für die meisten unsichtbar. Sie sind das Orakel von Delphi, nur geben sie keine Antworten, sondern führen sie aus. Sie brauchen keinen Zauberumhang, sie haben sich selbst, sie lachen nicht, sie sind das Lachen. Es gibt keine Fragen und keine Antworten, plötzlich ist alles eins. Wenn es Atlantis gibt, dann gehört es Get Hustle. Und wenn alles einen Sinn haben sollte in einer Welt, in der die Atomuhren mit Sprungsekunden unser Zeitverständnis korrigieren und Frauenkleider gegen kindliches Protoplasma wirken, dann bedanke dich bei Get Hustle!

 

Epilog: Mein neuer bester Freund

 

Ein Stündchen vor der Get-Hustle-Show in Berlin: Ich gehe zur Bar, um mir ein Bier zu holen, als mich von der Seite ein Kerl anklopft, der ungefähr so süß aussieht wie der kleine Mickey aus "Natural Born Killers", um folgenden Dialog zu eröffnen:

 

Mickey: Was heißt auf Englisch: "Ickbinhäuitausmknastausjebrochn"?

Rokko: Was heißt was?

Mickey (sein Stimmvolumen verstärkend): WAS HEISST AUF ENGLISCH: "ICKBINHÄUITAUSMKNASTAUSJEBROCHN"?

 

Rokko: Was? Ich versteh´ dich nicht.

Mickey: Sach dem Typ da neben mir (zeigt auf einen unschuldig dreinblickenden kleinen Mann) auf Englisch: "Ich bin heut´ aus´m Knast ausgebrochen."

 

Rokko (verwunderter Blick, wendet sich an den "Typ"): He wants me to tell you: "Today I broke out of jail."

Typ (schaut mich entgeistert an)

 

Mickey: Und jetzt sach ihm: "Es gibt keine bessere Adresse um unterzutauchen als diese hier."

Rokko (zum Typ): "There is no better place to go underground than here." (zu Mickey) Wie bist du denn da rausgekommen?

Mickey: Einfach über den Zaun geklettert. Geil, jetzt feiern wir Jubiläum, komm, High Five, ich geb´ ein´ aus.

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