Stories_F.E.A.R.

Party-Panik

Daß wir nicht nur für den EVOLVER schreiben, sondern ihn auch leben, beweist hier unser - selbst in Beziehungsfragen todesmutiger - Game-Experte Benjamin Mann.    13.02.2007

So ein Fest bei Freunden und Bekannten ist was Feines: Man ißt gut, befindet sich in angenehmer Gesellschaft, hört erträgliche Musik und tanzt vielleicht sogar dazu. Die Atmosphäre ist entspannt - bis die Stimmung nach Mitternacht etwas abzuflauen beginnt. Und genau das ist der Zeitpunkt, an dem zwanghaft Vergnügungssüchtige dem Partyleben nicht seinen natürlichen Lauf lassen können, sondern vorschlagen, etwas Lustiges zu spielen, um so die auf ehrliche Weise angetrunkene Müdigkeit wieder zu vertreiben.

The horror, the horror ...

Diese Idee hatte schon in der "guten alten Zeit" fast unweigerlich katastrophale Folgen, weil die Leute, die solche Vorschläge machten, natürlich auch gleich den Alptraum jedes vernünftigen Menschen zur Hand hatten: "Activity".

Aber: Rückblickend gesehen - und das hätte sich damals keiner vorstellen können - erinnert man sich heute an diese frühmorgendlichen, durch mindestens zwei Promille pro Spieler belasteten "Activity"-Runden doch tatsächlich als spaßig und entspannt. Das Machwerk der Bösartigkeit, das wahrscheinlich von finsteren Teufelsanbetern erfunden wurde, um ihren Opfern das letzte bißchen Menschlichkeit aus den hintersten Winkeln der Seele zu brennen, wurde nämlich von der Spitze der Peinlichkeitspyramide gestoßen. Dort liegt "Activity" jetzt zerschmettert zu Füßen der neuen Könige, die mit dämonischem Triumphgeheul empfangen wurden.

 

Die Rede ist, wie sollte es anders sein, von einer der abscheulichsten und verwerflichsten Erfindungen, die der menschliche Verstand in den vergangenen paar Jahrzehnten hervorgebracht hat: Partyspiele für Konsolen. Ganz oben, in blasphemischen Farben leuchtend und von einer Magengeschwüre verursachenden Aura des Terrors umgeben, thront natürlich der Genreprimus "Singstar". Es hat den Anschein, als würde das elektronische Fun-Monster in jedem Haushalt lauern und nur darauf warten, auf unschuldige Besucher losgelassen zu werden.

So abscheulich dieses Phänomen auch sein mag - man hielte es aus, wenn die heiteren Machwerke nur an gewissen heidnischen Feiertagen zum Einsatz kämen. Doch hier ist wohl der Wunsch Vater des Gedankens: Die gesamte Spieleszene, einst allgemein verachtete Bastion sozialer Außenseiter, Freaks und stets gewaltbereiter Geistesgestörter, verkommt mehr und mehr zum heimeligen Kuschelzentrum. Da werden "Nintendogs" gezüchtet, da wird gesungen, getanzt und seit neuestem auch vor der Konsole gehüpft und gewackelt. Kurzum, die Welt der Konsolenspiele wird überall lustig, bunt und familienfreundlich.

Überall? Gott sei Dank nicht.

 

Was das alles mit "F.E.A.R" für die Xbox 360 zu tun hat?

Nun - der Autor dieser Zeilen findet, daß dringend eine Lobeshymne angesagt ist. In Zeiten, da über ein generelles Verbot böser Killerspiele diskutiert wird und jedes Blutströpfchen dafür sorgt, daß man als Erwachsener seine unzensurierten Spiele mühsam aus England importieren muß (während gleichzeitig zu Weihnachten "Stirb langsam" über die Bildschirme flimmert); in Zeiten also, in denen "Political Correctness" (möge ihr ein kurzes Leben und ein qualvolles Ende beschert sein) die oberste Benimmregel darstellt - in solch traurigen Tagen sollte man die wenigen Ausnahmen zu ehren und zu schätzen wissen.

Loben wir also die braven und mutigen Menschen, die für die veröffentlichten Spiele der 360 verantwortlich sind. Wenn man einen kurzen Blick auf die Erscheinungsliste wirft, wird sofort klar, woher der Wind weht: Shooter, Shooter, Shooter, 3rd-Person-Shooter, Action, Shooter, dazwischen ein wenig Sport und Racing, und noch mehr Shooter - und einer besser als der andere. Hier darf noch nach Herzenslust gemetzelt, gesprengt, geschossen, gestochen und gekillt werden.

Zumindest solange, bis sich die "Warum spielst du immer diese urbrutalen Mörderspiele?"-Hälfte der Hausgemeinschaft zu Wort meldet. Neuerdings kommt dieser Vorwurf gern auch gekoppelt mit der Nachfrage daher, ob es nicht etwas gäbe, das man auch zu zweit spielen kann. Vielleicht "was Liebes" oder "was Lustiges". Am besten "was Liebes UND Lustiges" und nicht so einen "grauslichen Bumm-Bumm-Mist", weil der macht sie nämlich narrisch, meint die bessere Hälfte.

 

Wenn man nun in der glücklichen Lage ist, besagte Next-Gen-Konsole unterm Fernseher stehen zu haben, kann man beruhigt antworten: "Tut mir leid, Schatz. Ich würd´ ja echt gerne, aber für die Xbox 360 gibt´s nur Shooter und sowas. Leider."

Wahre Meister in der hohen Kunst des Tarnen und Täuschens sind angeblich sogar dazu in der Lage, das unweigerliche Grinsen, das sich bei dem Wörtchen "leider" manifestieren will, eiskalt zu unterdrücken.

Doch natürlich endet die Diskussion nicht an dieser Stelle. Spätestens nach der nächsten mitternächtlichen Dauerfeuerorgie, deren furioser Surround-Klang die überempfindliche Liebste aus dem Schlaf reißt, geht das Drama von vorne los. Um diesen Teufelskreis zu unterbrechen, bleibt nur der gemeinsame Gang zum nächsten Spielehändler, wo man der Herzallerliebsten ruhigen Gewissens die aktuelle Auswahl der erhältlichen Xbox-360-Games präsentiert (und sich dabei so hinstellt, daß man den Blick auf "Viva Piñata" geschickt verdeckt). Man dirigiere die Herzensdame mit sanftem Druck zu "Gears Of War", "Prey", "Far Cry", "Just Cause" und ähnlichen Meisterwerken - und spätestens nach zehn Minuten hat sich die Angelegenheit erledigt.

Als Belohnung für all die Mühe kann man sich auch gleich einen kleinen Luxus gönnen und unauffällg das neue Shooter-Spektakel für die Lieblingskonsole erwerben - womit wir wieder beim eigentlichen Thema wären.

 

Seit kurzem steht "F.E.A.R." für Microsofts Edelkiste in den Regalen der heimischen Händler. Dabei handelt es sich um das Action-Epos, das vor einiger Zeit die PC-Gemeinde kollektiv um den Schlaf gebracht hat und zum Zeitpunkt ihres Erscheinens ein absoluter Meilenstein in der umfangreichen Geschichte der Egoshooter war. Erfreulicherweise haben es die verantwortlichen Entwickler geschafft, das Flair des Spiels im großen und ganzen exzellent auf die Konsole zu portieren.

Der Spieler übernimmt die Rolle des jüngsten Mitglieds der Spezialeinheit F.E.A.R (First Encounter Assault Recon), deren Aufgabe darin besteht, den durchgeknallten Anführer einer seltsamen Söldnerarmee einzufangen. Doch was als Standardeinsatz beginnt, mutiert bald zu einem nervenzerreißenden Horrorszenario, in dem der ahnungslose Held mit den finstersten Abgründen des Übernatürlichen konfrontiert wird. Unbeeindruckt von weltlicher Feuerkraft marschieren schweigsame Geister, umgeben von alles vernichtendem Höllenfeuer, durch die Landschaft. Verwirrende Flashbacks führen in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Psyche, und an jeder Ecke hat man das Gefühl, als wittere etwas unmenschlich Böses in der nahezu alles erdrückenden Finsternis.

"F.E.A.R." bietet einfach alles, was man von einem grandiosen Horror-Adventure à la "Silent Hill" erwartet - mit dem Vorteil, daß sämtliche Gruselelemente in einen der besten und Action-reichsten Shooter der jüngeren Vergangenheit verpackt sind. Was sich hier abspielt, ist von allerbester Qualität und muß sich selbst vor Giganten wie "Gears Of War" keineswegs verstecken. Die Levels sind vollgepackt mit gigantischen Schießereien, die sich im Verlauf einer Mission im Schwierigkeitsgrad ständig steigern. Warten anfangs nur wenige Gegner, die man noch dazu bequem aus der Deckung heraus erledigen kann, so ist der Spieler in späteren Situationen mit einer wahren Übermacht konfrontiert, die er nur mittels klugem Einsatz der lebensnotwendigen Zeitlupenfunktion überstehen kann. Da bei "F.E.A.R" sowohl Leveldesign als auch KI in der obersten Liga mitspielen, kann sich der Spieler auf Shootouts der Extraklasse einstellen.

 

Einzig jene, die bereits die PC-Version von "F.E.A.R" in Händen hielten, könnten berechtigterweise etwas Grund zur Klage haben. Das liegt vor allem daran, daß die Qualität der Graphik im Vergleich zum Original doch etwas gelitten hat. Merkbar ist dies vor allem im Bereich der Texturen, die einen etwas verwascheneren und unsaubereren Eindruck hinterlassen.

Dramatischer für Fans der früheren Fassung ist jedoch die Tatsache, daß "F.E.A.R" für die Xbox 360 noch einmal merklich zensuriert wurde. Zwar fließt noch immer reichlich Blut, nur kann das nicht mehr der Spieler verursachen. Egal, womit man einen Gegner dahinmetzelt - er fällt zwar atemberaubend schön um, blutet aber nicht. Besonders bizarr wirkt sich das bei Volltreffern mit der Schrotflinte aus, wenn sich der Feind einfach in Luft auflöst. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer solchen Zensur ist berechtigt, wenn man bedenkt, daß überall verstümmelte Leichen liegen, aus denen das Blut nur so strömt, und man obendrein in manchen Zwischensequenzen tatsächlich im roten Lebenssaft schwimmt.

Aber "F.E.A.R" ist so gut, daß selbst diese Beschneidung dem Spielspaß nur unmerklich schadet. Meisterwerk bleibt Meisterwerk - und an diesem führt kein Weg vorbei. Auch wenn die Graphik etwas hinter den aktuellen Highlights zurückbleibt, kann sich "F.E.A.R" ganz klar im absoluten Spitzenfeld der bisher erschienenen 360-Titel etablieren.

Solange also die Herzensdame nichts von der Existenz von "Viva Piñata" weiß und man die Anschaffung einer familienfreundlicheren Konsole unter fadenscheinigen Ausreden ("Die ist nicht HD-tauglich, Schatz!") hinauszögern kann, heißt es weiterhin:

 

Feuer frei!

Benjamin Mann

F.E.A.R.

ØØØØØ


(Day 1 Studios/Vivendi Universal)

erhältlich für: Xbox360, PC

 

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