Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #92

"Even Cowgirls Get The Blues"

Daß Frauen in der Country-Musik durchaus auch die Zügel in der Hand hielten, zeigt der zweite Teil von Team Rokkos Ausführungen zum Thema. Yee-haw!    20.04.2016

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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Country Music ist klassenlose Musik. Weder Geld noch Bildung oder eine besondere technische Ausstattung sind dazu notwendig, einen Country-Song zu hören, zu verstehen und zu fühlen. Team Rokko setzt sich mit der Stellung des Cowgirls innerhalb des Genres auseinander. Lesen Sie hier den ersten Teil!

 

 

 

Überrascht habe ich festgestellt, daß gerade 2014 ein ganz besonders schlechtes Jahr für Frauen in der Country Music gewesen ist. Entgegen der starken (Boulevard-)Medienpräsenz von weiblichen "Contemporary Country Stars" stammten die 13 meistgespielten Country-Songs des Jahres ausschließlich von männlichen Interpreten. Schon in den Jahren vor 2014 wurde - wie die Musikbloggerin Deb Bose anhand von "Billboard"-Charts-Analysen nachweist - deutlich, daß die großen Plattenlabels in den letzten paar Jahren absichtlich auf die jüngere, männliche "Country Rock"-Zielgruppe zu setzen begonnen haben. 2014 war nämlich auf der anderen Seite ein ganz besonders gutes Jahr für den sogenannten "Bro-Country" - der Übersetzung der aus Pop und Mainstream-HipHop bekannten Klischees und Machismen vom folgenlosen Samstagnacht-Spaß, Bier und Kumpelgeschichten in den Mainstream-Country. Eine ziemlich ungute Entwicklung.

Natürlich gibt es abseits des Mainstream-Country zahlreiche Subgenres wie die alternativen "Americana", den schenkelklopferischen "Cowpunk" oder den düsteren "Southern Gothic" (vormals gerne auch "Todes-Country" genannt und im Zuge der HBO-Serie "True Detective" und deren Titelsong, geschrieben von der seit den frühen 90ern aktiven The Handsome Family, zu jäher Berühmtheit gelangt). Schon per Definition verstehen sich diese Genres als weitaus progressiver - doch bei genauerer Betrachtung dominieren auch hier vorwiegend Männer. Musikerinnen wie Carla Bozulich, Chan Marshall (Catpower) und Lucinda Williams sind einige der wenigen Ausnahmen.

 

 

Auf der Suche nach der Frau in der Country Music gerät man schnell an die bekannten Aushängeschilder der "Strong Women in Country": Loretta Lynn schrieb in ihrer Karriere eine Reihe kontroversieller Songs, 1967 etwa "Don´t Come Home a Drinkin´ (With Lovin´ on Your Mind)" oder ihren berühmtesten Song "The Pill" aus 1975, der sich mit Verhütung auseinandersetzt und auf einigen Country-Radiostationen nicht gespielt wurde. Kitty Wells´ Hit "It Wasn´t God Who Made Honky Tonk Angels" von 1952 war eine schlagfertige Antwort auf Hank Thompsons Song "The Wild Side of Life", der daran erinnerte, daß es meist die Männer waren, die sich in Beisln ("Honky Tonks") versoffen, und weniger die Frauen, wie es Thompsons Song behauptete. Wegen der Textzeilen "It´s a shame that all the blame is on us women" und "It brings me back memories when I was a trustful wife" wurde der Song zeitweise ebenfalls mit einem Bann zahlreicher Radiostationen belegt - was ihn nicht daran hinderte, Kitty Wells zum ersten Nummer 1-Hit einer weiblichen Interpretin zu verhelfen. Geschrieben war der Song allerdings - von einem Mann.

Für mich ist Emmylou Harris eine der bewundernswertesten Frauen der Country Music - sie wahrte von Anfang an eine eher kritische Distanz zur Country Music und fühlte sich, wie Bob Dylan, eher im Folk des Greenwich Village heimisch. Country Music war etwas, das die Eltern hörten, so muffig und spießig wie der "Tatort". Die Begegnung mit Gram Parsons veränderte ihre musikalische Karriere für immer - er brachte ihr die klassische Country Music und die Schönheit ihrer direkten Poesie näher. Während Parsons mit 26 einen frühen Drogentod starb, schreibt und interpretiert Harris immer noch wunderbare Songs, die dicht an den "three chords and the truth" sind. Noch 2012 interpretiert sie den von Nick Cave und Warren Ellis für den Soundtrack zu dem Film "Lawless" geschriebenen Song "Cosmonaut" mit der ihr eigenen, rauhen Zartheit.   

Für Rokko´s Adventures muß aber natürlich ein bißchen tiefer in der Plattenkiste gekramt werden, um nicht nur das Offensichtliche zu Tage zu fördern. Es zeigt sich, daß auch die Country Music schon seit den Anfängen an Unkonventionalität, Obskurität und Eigensinn nicht gerade arm war:

Die angeblich allererste Country-Single überhaupt, "Little Old Log Cabin in the Lane", wurde 1924 von einer Frau aufgenommen: Roba Stanley. 1925 veröffentlichte Roba "Single Life", eine Hymne auf das Single-Dasein und dessen Vorzüge, dessen Text nicht nur für diese Zeiten, sondern auch für den heutigen "Bro-Country" starker feministischer Tobak ist. Dennoch sollte ihre musikalische Karriere nicht einmal ein Jahr währen. Roba Stanley kehrte der Country Music augenscheinlich grundlos, doch umso endgültiger nach knapp zwölf Monaten den Rücken zu - sie heiratete, und ihr Mann mochte es nicht, wenn sie spielte und sang.

Patsy Montana, Schwester von zehn Brüdern, veröffentlichte 1935 ihren Hit "I Wanna Be a Cowboy´s Sweetheart". Entgegen dem Titel war Montana selbst ein veritables Cowgirl und "man-hatin´ lassie", die besonderen Spaß am Reiten von Wildpferden, dem Yodeling, dem Tragen von Western-Outfits und dem Barn-Dance hatte.

Shelly West veröffentlichte 1983 den Song "Jose Cuervo", der sinnigerweise Trunkenheit und sexuelle Freiheit propagiert - im Gegensatz zu den Katersongs des Outlaw-Country wie "Sunday Morning Coming Down" wird es Frauen nach wie vor nicht verziehen, Abgesänge auf das gedankenlose Abfeiern zu halten, ohne dabei in den "Schlampen"-Verdacht zu geraten.

Zur oben erwähnten Outlaw-Country-Bewegung wurden übrigens auch einige Frauen gezählt - wie Sammi Smith, Tanya Tucker und die bereits erwähnte Emmylou Harris. Es scheint allerdings, als hätte es die letzten echten "female outlaws" im Wilden Westen gegeben - während die männlichen Outlaw-Country-Stars noch ab und zu eine Gefängnisstrafe vorweisen konnten, finden sich bei den Frauen nur vergleichsweise harmlosere Drogen- und Entzugsgeschichten.

 

 

Keine Frage übrigens, daß Homosexualität nach wie vor ein Tabuthema in der Country-Music-Community ist. In der Dramaserie "Nashville" des zum Disney-Konzern gehörenden US-TV-Senders ABC verleugnet einer der Hauptcharaktere seine Homosexualität, um seine Karriere als Country-Star nicht zu gefährden - eine Verhaltensweise, die von den übrigen, latent homophoben Charakteren implizit mitgetragen wird. "Nashville" wurde übrigens von derselben Drehbuchautorin verfaßt, die für "Thelma & Louise” verantwortlich zeichnet, der in den 90er Jahren für Hollywood als veritable feministische Genickwatsche galt.

Ebenfalls in den 90ern verfilmte Gus van Sant den Roman "Even Cowgirls Get The Blues" von Tom Robbins (1976), dessen Acid-geschwängertes Setting in einer feministisch-lesbischen Cowgirl-Revolution gipfelt.* In den 60er Jahren gab es, noch lange vor k. d. lang und Melissa Etheridge, eine offen lesbische Country-Interpretin, Wilma Burgess, die insgesamt 15 "Billboard"-Hits landen konnte. Nach ihrer Musikkarriere öffnete sie die erste lesbische Bar in Nashville, die vermutlich auch die erste und einzige lesbische Bar in ganz Tennessee war. Nach einigen Internet-Quellen handele es sich bei dem Song "I Love My Fruit" der Sweet Violet Boys von 1939 um einen schwulen Country-Song; wirklich nachvollziehbar begründet wird dies allerdings nicht.

 

 

Ein aktueller Musiker vereint beide Outlaw-Positionen - weiblich und homosexuell . in sich: Rae Spoon. Rae Spoon ist ein Transgender-Mann, will sich aber eigentlich keinem Geschlechtspronomen unterordnen lassen und daher lieber mit dem Plural "sie" anreden lassen. In der Country Music sozialisiert, von ihr geprägt und in ihr verhaftet, distanziert sich Rae doch von ihr - auch wenn er/sie/es sich stets an der Country Music abarbeitet.

Vielleicht muß jede/r diese Liebe-/Haß-Beziehung zur Country Music führen, der die eigene Individualität und Emotion ohne Kompromisse in die direkte Country-Sprache übersetzen und dabei weit unter die Oberfläche vordringen will - vor allen Dingen diejenigen, denen die Country Music (und damit die Mehrheit ihrer Hörerschaft) immer schon ihre häßliche Seite gezeigt hat - die eingangs erwähnten "original outsiders" eben. Ein bitter-süßes Fazit am Ende dieses Beitrags lautet, daß die Außenseiter(-innen) diese ihre Rolle besser nicht zu verlassen suchen, sondern lieber weiterhin am Rande ihre Bahnen ziehen, wenn sie nicht doch irgendwie in ein Schema gepreßt werden wollen - als Ehefrau, Mutter oder Geliebte.

Anmerkung für den interessierten Leser: Auf Soul Jazz Records erschien 2012 die schöne Compilation "Country Soul Sisters: Women in Country Music 1952-1974". Sie versammelt all jene Alltagsweisheiten, die der Contemporary Country so gern verschleiert: Songs über Abtreibung, Tod und Teufel, sexuelle Ausbeutung, Kleinstadtbigotterie, aber auch über Selbstbehauptung. Auch Trikont brachte 2011 die Sammlung "Flowers in the Wildwood - Women in Early Country Music" heraus, die Country Music von Frauen aus den Jahren 1923 bis 1939 beinhaltet und auf der wir auch die im Beitrag erwähnte Patsy Montana wiederfinden.

 

 

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #15


Text: Miriam Broucek          

 

Anmerkung: Die Western-Folklore verhilft dem Film zu einigen schrägen Extras, insgesamt bleiben aber weder Roman noch Film sonderlich lange im Gedächtnis. Immerhin inspirierte der Romantitel John Cale zu einem gleich betitelten Album und auch zu einem Country-Song: "Even Cowgirls Get The Blues" wurde 1979 das erste Mal von Emmylou Harris aufgenommen. Die Songwriterschaft bleibt allerdings unklar.

 

Verwendete Literatur:

http://www.avclub.com/article/remembering-when-country-music-wasnt-so-white-or-s-92377

Jewly Hight: "Right By Her Roots: Americana Women and Their Songs" (2011)

George H. Lewis (Hrsg): "All That Glitters: Country Music in America" (1993)

Kristine M. McCusker, Daine Pecknold: "A Boy Named Sue: Gender and Country Music" (2004)

Patsy Montana, Jane Frost: "The Cowboy´s Sweetheart" (2002)

Charles K. Wolfe, James E. Akenson (Hrsg): "The Women of Country Music: A Reader" (2003)

Links:

Tammy Wynette


Zum Photo "Tammy Wynette": Cover des Tammy-Wynette-Albums "Bedtime Story" von 1971 (© Embassy/CBS). Wynette inszeniert sich als klassischer Country-Stereotyp der treusorgenden Mutter. Im gleichnamigen Song verläßt der Ehemann und Vater seine Familie wegen einer jüngeren Geliebten, kehrt aber reumütig zurück.

Trio


Zum Photo "Trio": Dolly Parton, Linda Ronstadt und Emmylou Harris nahmen 1987 ein äußerst erfolgreiches Album mit klassischen Country-Songs auf (© Warner Records). Ausnahmsweise verzichtete Dolly Parton bis auf ihre Frisur völlig auf ihren üblichen Mix aus Dekolleté, Glitzer und Country-Klischees.

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