Stories_Ruhm

Kehlmann, besprochen

Der betreffende Roman ist längst wieder aus den Feuilletons verschwunden. Genau der richtige Zeitpunkt für Andreas Winterer, einen verspäteten Review nachzuschieben. Oder besser gesagt, seinen Chefredakteur ein Gespräch darüber rekapitulieren zu lassen. Seltsam, aber so steht es geschrieben ...    22.06.2009

Wir saßen vor dem Café Noname in München und froren, ich und Andreas Winterer, der gerade zu Besuch war. Er arbeitete unter der Woche in Berlin, doch jedes Wochenende flog er hierher. Reiner Wahnsinn, aber "Solange es noch Kerosin gibt, mach ich mit", pflegte er zynisch zu sagen.

Das Café heißt übrigens wirklich so, das können Sie überprüfen, das ist keine Story. Betrieben wird es von einer älteren Dame, einer Münchnerin, die lange Zeit in Venedig lebte und Berlin für eine gute Stadt hält, besser vielleicht sogar als München.

"Ich frage mich halt, ob ich diesen Review für den EVOLVER schreiben soll", sagte Winterer und schloß damit einen Satz ab, den er vor Beginn seines Reviews geäußert hatte.

"Was spricht denn dagegen?" wollte ich wissen und schob die Sonnenbrille höher. An dieser speziellen Ecke konnte die Sonne gerade soviel Kraft entwickeln, daß einem der Hintern nicht abfror. Zum Glück wärmte mir wenigstens die Marlboro verläßlich wie immer die Miene ...

"Naja, dieser Daniel Kehlmann, ehrlich gesagt, den kann doch niemanden kennen. Ich kannte ihn nicht, also kennt ihn keiner. Auf der anderen Seite steht im Klappentext, der Mann habe Preise abgeräumt und sein letztes Buch sei in 40 Sprachen übersetzt worden."

"Das ist ein Haufen Holz", gab ich ihm recht. "Lohnt sich das Büchl denn?"

"Das Buch? Durchaus. Ganz okay. Nichts Weltbewegendes."

"Damit füllst du aber keinen ernsthaften Review", gab ich zu bedenken.

"Naja, ich hatte gerade am Anfang so meine Probleme damit. Die ersten Storys sind verdammt belanglos. Und die späteren auch. Eigentlich ist der ganze Band belanglos." Er schüttelte den Kopf. "Neun Stories, für nichts."

"Also ein Verriß?"

"Keineswegs. Ach, ich weiß auch nicht. Da ist durchaus was drin in dem Buch. Das kann man nicht einfach wegdiskutieren. Ich würde es kein zweites Mal lesen, aber ich bereue das erste Mal nicht."

"Dann schreib das doch."

"Wer will das lesen? Es wäre so belanglos wie das Buch selbst ..."

Er nippte an seinem Latte macchiato und kippte den Rest seines Ramazotti hinterher. Beim Sprechen peitschte seine Stimme mit einem Schwanz von Atemwolken durch die Luft, so kalt war es.

"Ich dachte, das wäre so ein wahnsinnig raffiniertes Buch", warf ich ein. "So mit Geschichten in Geschichten."

Winterer nickte. "Ja, diese ganze postmoderne Scheiße." Er rührte noch mehr Zucker in seinen Latte macchiato. "In einer Szene beschreibt er aus der Ich-Perspektive eines unglaublich unglaubwürdig beschriebenen Web-Nerds, wie der ihm, also damit dem Schriftsteller, begegnet, und am Ende jammert der Nerd, der ein Fan des Autors Kehlmann ist, daß er ja doch nie in einer seiner tollen Geschichten vorkommen wird."

"Ach was", gähnte ich. "Sag bloß."

"Genau. Ist ja super tricky und so, aber erstens nicht besonders neu, denn das gab´s doch schon bei Martin Amis und Bret Easton Ellis, das macht doch ein Paul Auster seit Jahren. Und zweitens ... meine Güte, ich frage mich bei solchen Spielereien halt immer, what´s the point? Bloß weil er seinen Wein in einer Kleinschen Flasche serviert, bleibt es alter Wein in noch älteren Schläuchen."

"So schlecht?"

"Nein, ich sag´ doch: Nicht schlecht. Gut geschrieben. Absolut sauber. Ich glaube, ich habe nur eine einzige Stelle gefunden, wo ich sagen würde: Hey, die hätte ich besser geschrieben. Sie war auf einer linken Seite, das weiß ich noch ... hab´ mich ziemlich aufgeregt. Aber schlimmer finde ich, daß alles so harmlos ist."

"Harmlos?" fragte ich und verdammte ihn dafür, daß er mich manchmal, so wie jetzt, zum Stichwortgeber degradierte und ich dafür noch nicht mal was zu trinken bekam. Aber so ist er halt, der Winterer ... Er leerte seit einer halben Stunde Latte macchiato und Ramazottis in sich hinein, und ich saß da und hatte rein gar nichts. Eigentlich war er ja ein Riesenarschloch, das fiel mir immer öfter auf. Kündigt tolle Geschichten an, hat wunderbare Ideen, kann noch dazu ganz gut schreiben, frönt aber lieber lukullischen Genüssen oder Venedig-Spaziergängen ...

"Ja, harmlos. Im Vergleich zu einem Helmut Krausser, zum Beispiel. Der ist nie harmlos, außer in seinem letzten Bullshit-Buch, irgendwas mit Pappe oder Bierdeckel oder so ... nach den Wilden Hunden von Pompeji eine echte Enttäuschung."

Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach.

 

"Also, dann mach ihn halt fertig." Wußte selbst nicht, warum ich ihn noch anfeuerte. "Zerreiß ihn in der Luft. Mach ihn richtig platt, das Gscheiterl, aber laß vorher die Luft aus ihm raus."

"Das geht alles nicht." Mit seiner larmoyanten Art konnte er einem gewaltig auf den Sack gehen. "Wenn ich sowas kritisiere ... ich meine, sehen wir den Tatsachen ins Auge: Ich bin der miese kleine unbekannte Autor eines traurigen Science-Fiction-Romans, der alle namhaften Preise nicht gewonnen hat und auch in maximal eine Sprache übersetzt wurde, nämlich ins Altpapierne. Wenn einer wie ich daherkommt und dem großen Kehlmann in die Wade beißt, das sieht doch aus wie reiner Neid."

"So ist das immer", sagte ich und winkte zum Zahlen. "Wenn du mich fragst: Laß es sein. Besprich es einfach nicht. Es ist es nicht wert. Arbeite lieber an der Cosmo-Fortsetzung weiter, der war wenigstens saukomisch und hätte ein Sequel verdient."

In Wirklichkeit war mir der Kehlmann ohnehin wurst. So wie damals auch dieses fragwürdige österreichische Elaborat über einen verqueren Nichtsnutz als letzten Mensch auf Erden. Das begeisterte auch höchstens Menschen mit dem popkulturellen Gedächtnis eines Zehnjährigen, die noch nie einen anständigen Genre-Roman in den Händen hatten. Den Kehlmann-Schinken hatte sowieso schon jedes Feuilleton durchgenudelt, das konnte ich als Chefredakteur echt nicht brauchen. Ich sah den Winterer an: was für ein eitles Rindvieh! Und wirklich auf dem absteigenden Ast. Immer diese verquasten Reviews - und immer erst Monate, nachdem das Buch erschienen war. Als ob sich dafür dann noch jemand interessieren würde.

Er sollte sich halt verhalten wie ein Profi-Reviewer bei einer Tageszeitung. Die lesen das Zeug nie und liefern dafür pünktlich ihre Reviews ab. Weil, den Unterschied merken Sie als Leser eh nie, oder?

Andreas Winterer & Jürgen Fichtinger

Daniel Kehlmann - Ruhm

(Photo © billy & hells)

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Rowohlt (D 2009)/Hörbuch: DG Literatur

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