Stories_Cinecittà Revisited, Pt. 4: Der ungewöhnliche Zuhälter
Strichmännchen
Wenn man sich an seinem Arbeitsplatz langweilt, sollte man ihn wechseln.
Ob sich allerdings die hier vorgeschlagene Variante á la Italia zur Nachahmung empfiehlt, sei dahingestellt.
13.01.2011
Made in Italy: Das bedeutet katastrophale Regierungsbündnisse, grauenerregende Schlager und nie endenwollendes Geplapper. Aber auch Filme. Wunderbare Filme. Fellini, de Sica, Visconti, Leone, Corbucci, Bava, Argento usw. usf. ...
Doch nicht um die kanonisierten Klassiker oder die von uns EVOLVERianern so verehrten Gialli und Western soll es hier gehen. Vielmehr wollen wir uns in Cinecittà Revisited mit kleineren, mitunter vergessenen Filmen beschäftigen, die sich - obgleich oftmals Genrefilme - einer eindeutigen Zuordnung entziehen. Gedreht zumeist von guten Handwerkern, die im Grunde jede Art von Film machten, den ihnen die Produzenten zuschanzten. Selten Meisterwerke, aber immer etwas davon enthaltend: was sie auch nach Jahrzehnten noch sehens- und liebenswert macht.
Der ewige Junggeselle Stefano Carbelli (Ugo Tognazzi) fristet das ereignislose Dasein eines Buchhalters in einem Pharmakonzern. Nur Schäferhund Adolfo teilt sein gleichförmiges Leben. Das ändert sich von dem Augenblick an, als ihn in einem dunklen Park die schöne Daniela Ferrari (Ilaria Occhini) anspricht und männlichen Schutz in dieser, wie sie meint, "gefährlichen Gegend" von ihm erbittet.
Was der naive Biedermann nicht ahnt, ist die Tatsache, daß die angebliche Krankenschwester ihr Geld als Straßenmädchen verdient. Da sie zudem gerne in fremden Revieren wildert - was ihre eingesessenen Kolleginnen und deren Zuhälter gar nicht freut - braucht sie seine Hilfe. Und in der Nacht, beim fahlen Licht der Laternen, begleitet von seinem Schäferhund, erweckt Stefano auch bei der horizontalen Konkurrenz durchaus den Eindruck eines ... Zuhälters.
Die Zufallsbekanntschaft mit dem "braven Mädchen" bringt Stefano sehr bald in arge Bedrängnis. Nicht nur, daß ihn finstere Gestalten verfolgen und zusammenschlagen; seine Arbeitskollegen erweisen ihm auf einmal ein Maß an Respekt, das ihm früher nie zuteil wurde, finden ihn gar "interessant" - was er sich schon überhaupt nicht erklären kann. Auch sein Chef Gaetano Losi (Mario Carotenuto) zeigt plötzlich auffallendes Interesse an ihm. Und vor allem an seiner Wohnung.
Losi hat nämlich wiederum ein Auge auf seine Vorzimmerdame Carla Fortini (Margarete Robsahm) geworfen, die mit Stefano - tatsächlich rein platonisch - befreundet ist. Nachdem der Chef durch die Polizei von der "unsittlichen Nebentätigkeit" Stefanos erfahren hat, hält er Carla allerdings für eine Prostituierte, die mit Stefano unter einer Decke steckt, und wittert seine Chance: Stefano soll ihm ein bezahltes Rendezvous mit ihr verschaffen, und zwar in dessen Wohnung.
Müßig zu sagen, daß dieses Treffen mit einem Eklat endet.
Stefano verliert seinen Job und läßt sich notgedrungen mit der reichen, herrischen Witwe Amalia De Rossi (Marisa Merlini) ein, mit der er schon seit geraumer Zeit ein - für ihn langweiliges und letztendlich unbefriedigendes - Techtelmechtel hatte.
Und irgendwann öffnet ihm Daniela dann die Augen darüber, wer und was sie wirklich ist, und bittet ihn, ihr "offizieller" Zuhälter zu werden.
Aus der Story an sich hätte man einen wohlfeilen Klamauk machen können, wenn ... ja, wenn nicht Ugo Tognazzi selbst Regie geführt hätte. Der legte nämlich mit dieser charmanten Mixtur aus Komödie, Satire und Tragödie nicht nur sein Regiedebüt vor, sondern auch einen Film, in dem Slapstick und Verzweiflung Hand in Hand gehen.
Er spielt hier keinen Sympathieträger (auch wenn der Zuschauer mitunter ernsthaft Mitleid mit Stefano hat, weil dieser wirklich nichts, aber auch gar nichts mitkriegt); vorzugsweise läßt er sich vom Leben treiben, vermeidet größere Anstrengungen und akzeptiert die Langeweile seines Daseins als notwendiges Ingrediens, um möglichst unbehelligt über die Runden zu kommen. Seine Viertelstunde Berühmtheit ändert das alles: Am Schluß hat er sogar so etwas wie eine Karriere vorzuweisen. Gleichwohl macht sich in den letzten Filmkadern eine selbstzerstörerische Hoffnungslosigkeit breit, die ein wenig an das Spätwerk von Jacques Tatí erinnert; allerdings ohne dessen rettenden Humanismus.
Am Drehbuch war Tognazzi übrigens auch selbst beteiligt - neben dem Autoren-Duo Castellano und Pipolo, das etwa zwanzig Jahre später für die heutzutage leider sträflich unterschätzten, im Grunde anarchischen Adriano Celentano-Komödien der 80er verantwortlich zeichnete.
Der 1990 im Alter von 68 Jahren verstorbene Tognazzi, der (neben Vittorio Gassman, Alberto Sordi, Aldo Fabrizzi und Totò) einer der großen Komödianten des italienischen Theaters und des europäischen Kinos war und in mehr als 120 Filmen mitgewirkt hat, sollte jene Rolle des sich durchs Leben treiben lassenden Mannes ohne herausragende Eigenschaften noch ein paar Mal variieren; am eindrucksvollsten wahrscheinlich im legendären "La Grande Abuffata" ("Das große Fressen"; 1973, Regie: Marco Ferreri).
Wir jedenfalls wollen uns von der (Tragi)Komik wie auch vom Straßenstrich für erste einmal verabschieden - und gehen stattdessen in die Oper. Mit Lino Ventura.
Doch bis dahin: Ciao, amici!
Thomas Fröhlich
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