Stories_Charles-Bronson-Special
Treffen der Generationen
Er war weit mehr als ein Mann, der nur Rot sieht. Martin Compart sprach mit Filmliebhaber Oliver Nöding über Charles Bronson - einen Schauspieler, der keinesfalls in Vergessenheit geraten sollte und immer noch eine Entdeckung wert ist.
27.04.2016
Oliver Nödings unbedingt lesenswerter Filmblog wurde von Martin Compart schon mehrfach gewürdigt. Dabei fiel ihm auf, daß Nöding jede Menge Charles-Bronson-Filme besprochen hat. Anlaß genug, um mit ihm ein paar Takte über den Mann mit den markanten Gesichtszügen zu plaudern. Die EVOLVER-Redaktion übergibt an dieser Stelle die Mundharmonika und bittet um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Martin Compart: Für mich war Bronson ein Held meiner Jugend, für den ich ins Kino gegangen bin. Deine Generation dürfte ihn völlig anders wahrgenommen haben. Wie bist du auf Bronson gestoßen?
Oliver Nöding: Stimmt, im Kino habe ich Bronson leider nicht mehr bzw. noch nicht erleben dürfen. Ich glaube, meine Erstbegegnung mit ihm hat via einer VHS-Fernsehaufnahme meiner Eltern von "Das Gesetz bin ich" stattgefunden - noch immer einer meiner Lieblingsfilme von ihm, vielleicht sogar mein allerliebster. Ich war wahrscheinlich noch im Grundschulalter, aber dieser Typ hat mir sofort imponiert, mit seinem wettergegerbten Gesicht, den zugekniffenen, kaum wahrnehmbaren Augen, dem fransigen Schnurrbart, dem Jeanslook und der Schiebermütze. Daß er sich nichts gefallen ließ, aber auch kein großes Aufheben um seine Überlegenheit machte. Sehr geliebt habe ich als Kind auch Terence Youngs "Rivalen unter roter Sonne", wobei das nicht allein an Bronson, sondern vor allem an der Verbindung zunächst anscheinend unvereinbarer Elemente lag, die man als Kind einfach lieben mußte: Cowboys und Samurai. Später waren dann vor allem seine Cannon-Filme wichtig für mich, die seinerzeit immer auf RTL liefen, etwa "Der Rächer von New York", "Death Wish IV", "Das Weiße im Auge" und "Murphys Gesetz".
Wie siehst du die Kinofigur Bronson? Was verkörpert sie für dich? Für uns war er damals so eine Art entwurzelter working class hero mit einem Hang zum Anarchischen ("Kalter Hauch") oder Spießertum ("Kalter Schweiß").
Bronson verkörpert für mich eine fast steinzeithafte Urwüchsigkeit. In seinen besten Filmen wirkt er so, als wäre er immer schon dagewesen, hätte sich irgendwann einfach aus dem Urschlamm erhoben oder aus einem Felsen herausgeschält. Er existiert außerhalb der schnöden menschlichen Gesellschaft, und man weiß nicht genau, wie alt er eigentlich ist. Am besten sieht man das wahrscheinlich in Leones "Spiel mit das Lied vom Tod", in dem er ja fast eine Art Geist ist, noch nicht einmal einen echten Namen trägt, aber auch in den späten "Death Wish"-Sequels, in denen er so unverwundbar wie ein Terminator oder ein Zombie durch die Kulissen walzt, eine Urgewalt. Deswegen weiß ich nicht, ob working class hero für mich so passend ist, auch wenn Bronson von ganz unten kam und vom Typ her ein Arbeiter ist. Aber selbst wenn er arbeitet, als Melonenbauer oder als Polizist, kann man sich nur schwer vorstellen, daß er mit Kollegen übers Wetter redet oder Toilettenpapier im Supermarkt kauft.
Als Repräsentant funktioniert er auch nur bedingt, dazu ist er zu sehr Einzelgänger. Und Anarchie impliziert für mich auch immer so etwas wie eine gezielte Gegnerschaft, die Entscheidung, das bestehende System aktiv abzulehnen. Mir scheint Bronsons Persona aber immer viel zu desinteressiert an so etwas. Er will eigentlich am liebsten seine Ruhe haben, möglichst wenig mit anderen interagieren. Er steht über schnöder Politik. Es gibt natürlich Ausnahmen in seiner Filmographie, vor allem in den Sechzigern, als er noch Nebendarsteller war und immer so etwas wie den einfach gestrickten, aber freundlichen Klotz spielte, "Die glorreichen Sieben" oder "Gesprengte Ketten" wären da die Idealbeispiele. Später hat er dann ja auch ein paar Versuche unternommen, den klassischen Leading Man zu geben, meist an der Seite von Jill Ireland. Naja, und seine wahrscheinlich berühmteste Figur, Paul Kersey, ist ein typischer Konservativer aus dem gehobenen Mittelstand, der fällt auch eher raus.
Mit anarchisch ist "herrschaftslos" gemeint, nicht die politische Strategie, um Herrschaftslosigkeit (Anarchie) zu erreichen. Charlie erweckt für mich immer den Eindruck, daß er keine Autorität akzeptiert, daß er herrschaftslos und autark ist. Kannst du filmhistorisch irgendwelche Vorläufer ausmachen? Mir fällt spontan nur John Garfield ein. Und siehst du Nachfolger, was die Art der Figuren angeht und die Art, wie er sie angelegt hat?
Ich fürchte, um Vorgänger zu benennen, kenne ich mich gerade im Noir noch nicht gut genug aus. Wahrscheinlich könnte man als Vorläufer auch Leute wie Cagney, Edward G. Robinson, Ralph Meeker, Paul Muni oder Robert Mitchum heranziehen; Schauspieler, die auch nicht im klassischen Sinne attraktiv waren und meist hemdsärmelige Typen spielten, die sich nicht gerne hereinreden ließen. Aber Bronson war noch von ganz anderem Kaliber, eigentlich noch weniger Schauspieler als die genannten (was nicht abwertend gemeint ist). Was seine schiere Präsenz angeht, würde ich vielleicht tatsächlich John Wayne als Vergleich nennen wollen. Der wirkte zwar anders, spielte auch andere Rollen, aber er hatte wie Bronson die Gabe, allein durch seine Anwesenheit sofort im Zentrum des Geschehens zu stehen und dabei eine ungeheure Autorität auszustrahlen. Und wahrscheinlich ist auch Steve McQueen ein "Verwandter", auch wenn der in seiner Hochphase zu Rollen tendierte, die stärker sophisticated waren.
Dieser Stoizismus von Bronson ist heute ja eine der klischierten Eigenschaften des Actionhelden, aber die wenigsten erlauben es sich, so dermaßen auf ihre Außenwirkung zu scheißen, wie Bronson das getan hat. Es geht dann ja doch immer darum, bei aller Coolness auch noch gut auszusehen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, daß der heutige Hollywoodstar eine ganze Ecke jünger ist, als es Bronson war, und einen ganz anderen Hintergrund hat. Diese welterfahrenen Charakterfressen von einst, die Bronsons, Marvins, Ryans, Holdens oder Coburns, sucht man unter den Leading Men von heute ja ganz und gar vergebens. Aber vielleicht ist jemand wie Kurt Russell heute so eine Art Äquivalent. Ein Typ, der nichts mehr zu verlieren hat, zu alt für die attraktiven Helden ist, aber den weitgereisten Veteran verkörpert, den nichts mehr erschrecken kann, weil er alles schon gesehen hat.
Wie würdest du mit einem Satz die Quintessenz von Bronson beschreiben?
Er ist das totale Ruhen in sich selbst, uneingeschränktes, reueloses Selbstvertrauen, das niemals zurückschaut.
Was sind seine Stärken und was sind seine Schwächen?
Seine Stärken sind, wie oben schon erwähnt, seine körperliche Präsenz, die Gabe, mit wenig enorm viel zu erreichen. Dieses unglaubliche Lächeln. Daß es ihm meist gelungen ist, auch dem härtesten Hund noch Menschlichkeit zu verleihen. Ich liebe auch seine Stimme, die eine gewisse Verwundbarkeit offenbart, selbst wenn sein Körper noch so stählern erscheint. Seine größte Schwäche war gewiß sein Desinteresse daran, so eine Art Karriereplan zu erstellen, stärker auf die Bedürfnisse seines Publikums einzugehen, sein Profil aktiv zu schärfen und zu konturieren. Was er aus dem Erfolg gemacht hat, dem er so lange hinterhergejagt ist, ist schon ein bißchen enttäuschend. Seine Filmauswahl nach "Ein Mann sieht Rot" ist unter künstlerisch-ökonomischen Gesichtspunkten gelinde gesagt eine Katastrophe: "Der Mann ohne Nerven", "Nevada Pass", "Tag der Abrechnung", "Zwischen Zwölf und Drei", "Der weiße Büffel", "Ein Mann räumt auf" und "Der Schatz von Caboblanco" sind für sich genommen schon in Ordnung (mal mehr, mal weniger), aber in diese Anhäufung eben nicht für einen der größten Stars Hollywoods. Gott sei Dank fallen in diese Zeit auch Walter Hills Regiedebüt "Ein stahlharter Mann" und Don Siegels "Telefon", sonst sähe sie noch deutlich trostloser aus. Ich vermute, die Schauspielerei war für ihn nur ein Mittel zum Zweck, aber nichts, woran er allzu viele Gedanken verschwendete. Und ich glaube, er hielt sich auch nicht unbedingt für einen Künstler. Vielleicht ermöglichte ihm diese Haltung aber überhaupt erst, so überaus souverän und entspannt zu agieren.
Mit einigen Regisseuren hat er häufiger zusammengearbeitet (Winner, Thompson). Welchen Stellenwert haben diese Kollaborationen in Bronsons Karriere?
Winners frühe Bronson-Filme - "Chatos Land", "Ein Mann sieht Rot", "Kalter Hauch" - sind unantastbar und immens wichtig für die Ausprägung von Bronsons Image als Actionstar. Sein Output in den Achtzigern, für den vor allem die beiden genannten Regisseure zuständig waren, knüpft ohne Zweifel an diese Filme an. Wahrscheinlich ging es Bronson zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere nur noch darum, Geld zu verdienen. Soweit ich weiß, hat er die für die Cannon produzierten Actionfilme gehaßt. Was nicht heißt, daß sie schlecht sind, aber es handelt sich meist um Genreproduktionen, in denen Bronson auf Autopilot agieren konnte, weil seine Kersey-Persona als konservativer Rächer mittlerweile in Stein gemeißelt war. Leider ist es wohl so, daß diese Filme das Bronson-Bild gerade meiner Generation entscheidend geprägt haben. Bronson, das ist für viele eben der grimmige Rächer günstiger Actionfilme, der mit eingefrorenen Gesichtszügen durch die Straßen läuft und humorlos Punks und Gesindel niedermäht. Nicht falsch verstehen, ich liebe "Der Rächer von New York", halte ihn für einen bis heute eigentlich unerreichten Bastard und für einen großen Wurf Winners, und mag auch andere Filme aus Bronsons Cannon-Phase, aber vermutlich sind es diese Filme aus dem Herbst seiner Laufbahn, die verhindert haben, daß Bronson heute mit den ganz Großen seiner Zunft in einem Atemzug genannt, sondern stattdessen eher belächelt wird. Da sind wir dann wieder bei den Schwächen: Es hat ihn nicht besonders interessiert, sein Erbe zu verwalten.
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