Stories_Cannes 2016

Kino unter Kontrolle

Unser Festival-Korrespondent Michael Kienzl hat sich trotz Terror-Alarm (der europaweit eh schon zur Routine wird) auch heuer nach Cannes gewagt - und präsentiert exklusiv im EVOLVER die wichtigsten Filme, die diesmal an der Cote d´Azur zu sehen sind.    14.05.2016

Vor einigen Wochen waren in den Nachrichten gruselige Bilder aus Cannes zu sehen: Ein Amateurvideo zeigte, wie Polizisten sich hinter Palmen versteckten, über die Straße robbten und mit ihren Waffen auf unsichtbare Gegner zielten. Und am Ende war alles nur eine Übung für den Ernstfall ...

Die laufende Terrorgefahr hat nicht nur die Hauptstadt Paris verändert, sondern auch das traditionsreiche Festival an der Cote d´Azur. Neben Einsatzkräften, die Sicherheit signalisieren sollen, merkt man das auch an den Pressemitteilungen. So werden die Kontrollen vor den Kinos in diesem Jahr ein bißchen ausführlicher ausfallen. Ärgern tut das die wenigsten, denn bisher schienen die Vorkehrungen eher eine eine Alibifunktion zu haben. Dieser Gedanke beschleicht zumindest jeden Besucher, der schon einmal eine der nicht einmal halbherzig durchgeführten Sicherheitskontrollen über sich hat ergehen lassen.

 

Doch nicht nur die Rahmenbedingungen haben sich in Cannes geändert, auch das Programm besinnt sich heuer wieder mehr auf frühere Tugenden des Festivals - nämlich die großen Namen des internationalen Autorenkinos zu versammeln. Von der Auswahl des Vorjahrs waren viele zu Recht enttäuscht. Aus unerklärlichen Gründen wurden damals die neuen, allesamt tollen Filme von Apichatpong Weerasethakul, Brillante Mendoza und Kiyoshi Kurosawa in die Nebensektionen verbannnt, und renommierte Regisseure wie Philippe Garrel, Miguel Gomes und Takashi Miike wanderten sogar zum gleichzeitig stattfindenden Alternativ-Festival "Quinzaine des Réalisateurs" ab.

Der aktuelle Wettbewerb liest sich dagegen wieder wie ein Who´s Who des Weltkinos - vertraut, aber eben auch abwechslungsreich und vielversprechend. Selbst der letzte Rest Skepsis weicht da der Hoffnung: Vielleicht hat Pedro Almodovar ja wieder wieder den Biß bekommen, der ihn in seiner Anfangszeit auszeichnete. Vielleicht hat Wunderkind Xavier Dolan im Gegenzug auch ein wenig Altersweisheit abgekriegt, die seine ziellosen Leinwandeskapaden erträglicher macht. Und an Ken Loach hat man sich eh schon gewöhnt - wie an einen Onkel, der zwar durchaus langweilig ist, es aber zumindest immer gut meint.

 

Hohe Erwartungen gibt es dagegen bei vielen anderen Regisseuren. Etwa bei Olivier Assayas, der in "Personal Shopper" zum zweiten Mal mit dem ehemaligen Teenie-Star Kristen Stewart zusammengearbeitet hat. Laut Ankündigung handelt es sich dabei um eine Geistergeschichte in der Pariser Modewelt - und wie man das von Assayas gewohnt ist, dürfte daraus wieder ein raffiniert gestrickter, referenzreicher und doppelbödiger Film geworden sein. Ähnlich gespannt darf man auf den neuesten Streifen von Alain Guiraudie sein. Zuletzt hatte er in der Nebensektion "Un Certain Regard" mit seinem großartigen Erotik-Thriller "Der Fremde am See" triumphiert. "Staying Vertical" handelt nun von einer Dreiecksbeziehung im Süden Frankreichs. Die Darsteller, die ganz bewußt keinem klassischen Schönheitsideal entsprechen, erinnern mit ihren Charaktergesichtern an die Helden aus den Filmen von Bruno Dumont. Auch er stellt im Wettbewerb seine neue Regiearbeit vor.

 

Mit der Miniserie "Ptit Quinquin" hat sich der ursprünglich eher auf Grenzerfahrungen und die dunkle Seite der menschlichen Seele spezialisierte Dumont als Meister des verqueren Slapsticks neu erfunden. "Slack Bay" scheint nun in dieselbe Kerbe zu schlagen und erzählt, wie in einem Küstenort zu Beginn des 20. Jahrhunders Menschen auf mysteriöse Weise verschwinden. Ein anderer historischer Krimi im weiteren Sinn ist Park Chan-wooks "The Handmaiden". Basierend auf dem Bestseller "Fingersmith" von Sarah Walters geht es darin um eine Dienerin, die eine Intrige gegen ihre japanische Herrin plant.

 

Ebenfalls im Wettbewerb zu sehen ist Maren Ades "Toni Erdmann", bei dem es sich vermutlich - wie zuvor schon bei "Der Wald vor lauter Bäumen" und "Alle anderen" - um quälendes Fremdschämkino allererster Güte handeln wird. Die deutsche Regisseurin hat ein ausgeprägtes Talent dafür, Figuren zu zeichnen, die ihrem Umfeld gehörig auf die Nerven gehen. Diesmal fällt diese Rolle Peter Simonischek zu, der nach mehrjähriger Funkstille wieder zu seiner Film-Tochter Sandra Hüller Kontakt aufnimmt. Mit ähnlichen Strapazen hat auch die Heldin in Paul Verhoevens neuem Streifen "Elle" zu kämpfen. Nach einem Buch von Philippe Djian erzählt der Film von einer scheinbar unzerstörbaren Power-Frau (Isabelle Huppert), die eines Tage von einem Einbrecher überwältigt wird. Statt sich von ihrem daraus resultierenden Trauma quälen zu lassen, sucht sie anschließend die Konfrontation mit dem Fremden. Um Verhoeven ist es in letzter Zeit etwas still geworden. Im neuen Jahrtausend hat er bisher lediglich drei Filme realisiert. "Elle" verspricht aber nun mit seinen psychosexuellen Untertönen eine Rückkehr zu alter Form zu sein.

Wollen wir also hoffen, daß sich die spannenden Momenten des Festivals nur auf der Leinwand abspielen und der Autor wieder heil nach Hause kommt, um in zwei Wochen von seinen Festival-Erfahrungen berichten zu können.

Michael Kienzl

Festival de Cannes 2016


11. bis 22. Mai 2016

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