Stories_Bluthochdruck: ein Meßgerät im Test

Unter Druck

Irgendwann läßt sich die arterielle Hypertonie - im gemeinen Volk auch Bluthochdruck genannt - beim besten Willen nicht mehr leugnen. Und dann ist man froh, wenn man ein praktisches Meßgerät zu Hause hat.
Ein Testbericht vom langjährigen Hypochonder und Gesundheitsanarchisten Peter Hiess.
   22.12.2015

Prequel

 

Früher - so fangen alle Geschichten älterer Menschen an - früher also habe ich gar nicht an den Blutdruck geglaubt. Das heißt, rein wissenschaftlich schon, eh klar, man weiß ja, daß es sowas gibt, daß das Blut mit einem gewissen Druck durch den Körper befördert wird, wenn das Herz es rauspumpt und der Rest des Körpers es dann zum Herzen zurückschießt ... aber ehrlich, eine Zeitlang wirkte das ganze Theater schon ein bissl übertrieben.

Schließlich merkt man den hohen Blutdruck körperlich nicht. Und wenn man sich trotzdem auf eine Blutdruckmessung einläßt, beim Arzt, in der Apotheke oder auch bei Freunden und Bekannten, denen irgendwer ein Meßgerät für privat eingeredet hat, dann schwanken die Werte zwischen zu niedrig und zu hoch, sind fünf Minuten später ganz andere, wirken insgesamt aber so, als müßte man sie nicht allzu ernst nehmen. Weil man jung ist. Aber auch daran denkt man nicht, wenn man jung ist.

Vor sieben oder acht Jahren schickte mich ein Arzt ins Labor, wo man mir ein 24-Stunden-Blutdruckmeßgerät anlegte. Die Dinger sind - man muß es leider sagen - eine einzige Quälerei. Sie quetschen einem alle Viertelstunden den Oberarm zusammen, und in der Zeit soll man laut Anleitung still stehen- oder sitzenbleiben und am besten nix reden, was auf die Umwelt besonders blöd wirkt, wenn man gerade durch die Innenstadt geht und plötzlich stocksteif stehenbleibt und einen gequälten Gesichtsausdruck aufsetzt. Oder bei einem Termin im Kaffeehaus, wenn irgendwo unter dem Pullover was zu brummen anfängt, und man schweigt und hält den kleinen Braunen in der ausgestreckten Hand. Aber egal. Das Ergebnis war jedenfalls so, daß der Herr Doktor mir ein blutdrucksenkendes Mittel verschrieb, das ich auch brav einnahm. Die folgenden Monate waren ein einziger Abgrund der Lust- und Antriebslosigkeit, am Rande der Depression. Erst bei einem sommerlichen Berlin-Urlaub, als ich die Pillen versehentlich (?) zu Hause vergessen hatte, gingen mir am vierten Tag die Augen auf und ich jubelte: "Jööö, ist die Welt schön! Geht´s mir auf einmal gut!" Und schon waren die Tabletten abgeschafft.

Also glaubte ich wieder nicht mehr extra an den Blutdruck, weil sich der in den folgenden Jahren eh normalisiert zu haben schien - wahrscheinlich durch eine versehentliche Phase gesünderen Lebens. Bei den Vorsorgeuntersuchungen, am Ergonomie-Hometrainer, kam ich jedes Mal auf mehr als 100 Prozent Leistung, und wenn sich ein Facharzt über den steigenden Blutdruck Sorgen machte, ignorierte ich ihn einfach. Solange man in 22 Minuten den Nasenweg auf den Leopoldsberg hinaufsteigen kann und oben zwar schwitzt und schwer atmet, aber NICHT STIRBT, ist alles in Ordnung. Aber da ist man halt schon weniger jung.

 

Krise

 

Sie ahnen ja vielleicht, was jetzt kommt. 2014 war das Elend nicht mehr aufzuhalten. Nach Jahren der ungesunden Lebensweise - Schreibtischarbeit, trotz Wanderbewegung immer zu wenig Bewegung, dafür zuviel essen und saufen (wer kann zu einer Pizza und vier Bier beziehungsweise einem Flascherl Rotwein schon nein sagen?), alle paar Monate ein Kilo mehr; also praktisch die Berufskrankheit der schreibenden Kreatur - stellte sich bei einer neuerlichen Gesundenuntersuchung heraus, daß der Blutdruck JETZT ABER WIRKLICH zu hoch war. Vor allem der untere, der sich oft bei 120 herumtrieb, was eindeutig zuviel ist, wie die Ärzte, die Fachliteratur und die Wikipedia behaupten. Und jetzt ist es höchste Zeit, ihnen allen zu glauben; immerhin hat auch das Herzecho schon eine Verdickung des Herzmuskels gezeigt. Also noch einmal eine 24-Stunden-Blutdruckmessung, bei der man in der Nacht alle halben Stunden aufgeweckt wird, weil man glaubt, es will einem wer den Oberarm abquetschen - und da soll man bitteschön keinen hohen Blutdruck kriegen? Das Ergebnis war trotzdem eindeutig: Es muß was gschehn.

 

Disziplin

 

Na gut, ich laß mir ja was sagen, auch wenn´s manchmal ein paar Jahrzehnte dauert. Daher fasse ich im November den einsamen Beschluß, eine Woche vor Weihnachten mit einer strengen Diät anzufangen, weil: Wenn man das Gewicht runterbringt, ist das dem Blutdruck auch zuträglich. Bis zum geplanten Termin wird natürlich noch ordentlich aus dem Haus gegangen, gespeist und gebechert, die Waage ignoriert - man kennt die Tricks ja, mit denen sich der Ernst des Lebens am einfachsten leugnen läßt.

Am Stichtag (OK, einen Tag später, mir ist was dazwischengekommen ...) war es dann soweit: Vom vegetarischen aufs völlig vegane Essen umgestiegen, in der Früh Tee statt dem üblichen halben Liter starken Kaffee, kein Brot und Gebäck mehr, nur mehr Zwieback und Knäcke, am Abend Haferflockensuppe oder ein wenig Reis mit gekochtem Gemüse, Körndlfutter - schließlich gilt es so nebenbei auch, eine Gastritis mit ganz viel Magensäure im Hals niederzukämpfen. Kein Alkohol. Null. Da gibt´s gar nix. UND Blutdruckmittel, ein neues, nicht allzu starkes, das mir der Arzt verschrieben hat. Weil ich aber auch wissen will, was sich dabei im Körper abspielt, ersuche ich Peter Hopfinger, den gütigen Beherrscher von Diabetes Austria und langjährigen Freund, ob er mir nicht so ein Testgerät zum Messen beschaffen kann. Kann er, auch wenn er grad im Ausland ist. Pünktlich zu Beginn des Diät-und-anständig-leben-Lebensabschnitts trifft das gute Ding mit der Post ein. Ein *(Name von der Redaktion entfernt), das sich in einer handlichen Tasche aufbewahren läßt, samt Zubehör zur Computerauswertung.

Also, gemmas an. Man wird ja nicht jünger.

 

One-two-testing

 

Erst einmal schaue ich mir an, was der weise Hopfinger auf seiner Website zum Thema Do-it-yourself-Blutdruckmessung zu sagen hat: in Ruhe hinsetzen, einen Oberarm freimachen, Beine nicht übereinanderschlagen, keinen starken Harndrang haben (weil auch das - Sie werden lachen - erhöht den Blutdruck) und während der einminütigen Messung nicht reden, mit den Händen deuten oder strampeln. Und das möglichst regelmäßig. Das sollte sich machen lassen, auch wenn Regelmäßigkeit nicht gerade die hervorstechendste Eigenschaft im Leben des Freischaffenden ist ...

Die Gebrauchsanleitung ist selbst für mich, der ich einer Dynastie von traditionellen Gebrauchanleitungsverweigerern und Ich-werd´-das-schon-selber-irgendwie-Hinkriegern entstamme, leicht zu begreifen. Das Gerät aus seiner Tasche holen, neben mir auf dem Sofa plazieren, Armmanschette anlegen, Knopf drücken, abwarten, nach dem Piepsen die angegebenen Werte (Datum, Uhrzeit, systolischer und diastolischer Blutdruck, Puls) in ein mitgeliefertes Büchl mit Tabelle notieren, einen Knopf zum Speichern drücken, ausschalten, zsammpacken.

Die asketische Phase, in der ich halbert zum Einsiedler werde (was zur Abwechslung ganz angenehm ist), ist durchaus erfolgreich: Ohne Weihnachtsbäckerei und Zu-Verwandten-und-Bekannten-Essengehen gelingt es mir, binnen vier Wochen etwas mehr als sieben Kilo abzunehmen und fast jeden Tag mindestens eine Stunde durch die Wiener Außenbezirke und über die Hausberge zu hatschen. Aber schnell. Die ersten paar Tage bin ich zwar ziemlich zwider (fragen Sie meine Frau) (Nein, fragen Sie sie lieber nicht!), aber am fünften Tag vergeht der Hunger. Und auch das Blutdruckmittel scheint zu wirken: Die angezeigten Werte bewegen sich - oberer Blutdruck - zwischen 100 und 156, je nach vorangegangener Aktivität oder innerer Erregung, sowie - unterer Blutdruck - zwischen 76 und (aber nur ein einziges Mal) 102. Das ist besser als vorher, aber immer noch nicht gut, das ist mir klar. Und außerdem weiß man jetzt nicht, ob die gesunkenen Werte aufs Abnehmen, auf die gesteigerte Bewegungsfreude oder eben auf das Medikament zurückzuführen sind ... aber das soll die Ärzteschaft klären; ich werde bei allen empfohlenen Maßnahmen brav mit dem *(Name von der Redaktion entfernt) weitermessen.

 

Sequel

 

Ach so, ja, der Testbericht: Das Kastl spielt. Es tut, was es soll, es ist extrem einfach handzuhaben, es wirkt sympathisch und nicht so, als würde es einen zwangsweise durch die letzten Lebensjahre oder DAS ALTER (man altert unweigerlich, aber das gibt man halt ungern zu) begleiten wollen. Es hat nur einen Fehler: Es ruft einen zu den Zeiten, die man sich selbst für die zwei- oder dreimal am Tag geplanten Blutdruckmessungen gesetzt hat, nicht am Handy an. Das wäre bei den meisten Menschen wurscht, weil die einen geordneten Tagesablauf haben, immer zur selben Zeit aufstehen, arbeiten gehen, heimkommen, essen, ins Bett fallen usw. usf. - aber der freie Autor, Übersetzer, Lektor, wasweißichwasnochkommt, kennt keine Lebensordnung. Wahrscheinlich treibt genau das seinen Blutdruck so in die Höhe. So oder so: Aus der geordneten Meßtätigkeit der ersten zwei Wochen wird mit der Zeit ein kleines Verwirrspiel, weil mir mein messender Freund und Helfer nur dann einfällt, wenn ich an ihm vorbeigehe und nicht grad an was ganz anderes denke. Aber im großen und ganzen liegen Werte für jeden Tag vor. Das ist mehr, als viele glaubten, von mir verlangen zu können ... und für fehlende Ergebnisse kann das Gerät schließlich nix.

Ich hätte Ihnen jetzt auch noch gern in einer supermodernen Graphik gezeigt, was das Gerät blutdruckmäßig über mich herausgefunden hat. Dazu gibt es in der Packung eine Art USB-Stick, den man in den passenden Anschluß am Computer steckt und mit dem anderen Kabelende ins Gerät - und zack, o Wunder, verbindet es sich mit dem Internetz, man meldet sich an und loggt sich ein, lädt die Ergebnisse hoch und schon sieht man, wie es um einen bestellt ist. Gesagt, getan: Ich schließe das Gerät heute an, klicke (wie in der verdammten Gebrauchsanweisung angegeben) auf START.URL - und zack, o Jammer und Ungedeih, der Webbrowser zeigt mir über mehrere Stunden hinweg einen Verbindungsfehler an; ich kann nur eine unschöne Excel-Datei aufrufen, auf der die Werte aufgelistet sind, die aber kein lebender Mensch versteht. Vielleicht ist am Sonntagabend in der Blutdruckmeßergebnisseauswertungszentrale (das ist ein Wort, was?!) niemand im Dienst. Ich möchte nicht wissen, was wäre, wenn ich jetzt, sagen wir, den Befund ganz dringend elektronisch brauchen würde, weil ich aus gewöhnlich gut informierten Körperschaltkreisen erfahren habe, daß genau um Mitternacht an diesem Sonntag mein Blutdruck wie eine Bombe explodieren wird ...

OK, ich gebe es zu, meine Phantasie geht schon wieder mit mir durch. Aber ich bin froh, daß ich mir beim Messen auch alles brav händisch notiert habe. Sei dem, wie es sei, liebe Leser und -innen: Morgen früh reise ich für eine Woche nach St. Petersburg und Moskau, wo es zwischen 15 und 20 Minusgrade haben soll und ich mich hoffentlich nicht dem wärmenden russischen Wodka, sondern eher dem heißen russischen Tee hingeben werde. Und danach messe ich wieder zu Hause weiter, lebe wie ein Einsiedler in der kargen Steppe, überprüfe im Internet, ob dort schon jemand über meinen Blutdruck reden will und frage den Arzt, was wir jetzt tun sollen. Außerdem werde ich dann schweren Herzens in der Gebrauchsanweisung auch noch nachschauen, wie sich die aufgezeichneten Werte auf dem Gerät abrufen lassen. (Übrigens: schon begriffen. Ist wirklich watscheneinfach.)

Ich halte Sie auf dem laufenden.

 

PS: Der obige Text wurde von der auftraggebenden Firma (Name d. Red. bekannt) als zu "unernst" und "negativ" abgelehnt. Die Welt steht nimmer lang ... Jedenfalls dürfen Sie ihn daher exklusiv im EVOLVER lesen. Für die Illustratrionen zeichnet dankenswerterweise Jörg Vogeltanz verantwortlich.

Peter Hiess

Kommentare_

Der Glatzkopf - 28.12.2015 : 17.51
Ein wunderbares Blutdruck senkendes Mittel ist grün und wächst draußen in der freien Natur. Natürlich hat es keine Internetverbindung jedoch lässt sich mit etwas Übung eine Verbindung ganz anderer Natur herstellen. Da man das aber nicht in einer Apotheke bekommt und Ärzte es auch nicht verschreiben (in Österreich jedenfalls nicht) wird es wohl noch länger mit Pillen gehen müssen :-)

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