Stories_Berlinale 2005/Journal II

Schluß mit lustig

Der Wettbewerb der Berlinale widmet sich weiter dem politisch und sozial engagierten Film. Neben vielen mittelmäßigen Produktionen gab es auch zwei Highlights zu besichtigen.    16.02.2005

Es kostet schon eine gewisse Überwindung, sich morgens um halb neun durch Schneegestöber zum Berlinale Palast zu kämpfen. Aber manchmal lohnt sich der Einsatz: Wie zum Beispiel bei Yoji Yamadas großartigem Samurai-Drama "Kakushi Ken - Oni no Tsume" ("The Hidden Blade"). Vergessen Sie ganz schnell das Hollywood-Heldenepos "Last Samurai" - "Kakushi Ken" liefert eine ungleich differenziertere und spannendere Auseinandersetzung mit dem Konflikt, dem sich die japanische Kriegerkaste Mitte des 19. Jahrhunderts ausgesetzt sah, als klar wurde, daß sich das Land mit der militärischen Übermacht des Westens befassen muß.

Im Mittelpunkt steht der junge Landsamurai Katagiri (Masatoshi Nagase). Seit sein Vater gezwungen wurde, wegen dubioser Geldgeschichten Selbstmord zu begehen, steht es nicht zum besten um Katagiris Einkünfte und seinen Status. Trotzdem versucht er so gut wie möglich, dem Krieger-Ehrenkodex zu entsprechen. Zunehmend Sorgen bereiten ihm aber sein mangelndes Verständnis westlicher Waffentechnik (hier baut Yamada einige köstliche Slapstickszenen konfus durch die Gegend marschierender und Kanonen ladender Samurai ein) sowie seine Zuneigung zu der Dienstmagd Kie (Takako Matsu) - eine standestechnisch unmögliche Verbindung. Schließlich verlangt sein Clan von ihm, einen alten Jugendfreund zum Zweikampf herauszufordern und zu töten ...

Das mag melodramatisch klingen, ist aber äußerst zurückhaltend in Szene gesetzt, in langsamem Tempo und gedeckten Farben. Umso eindringlicher schält sich dafür der Kampf eines Menschen heraus, in einer Zeit des Umbruchs seinen Platz zu finden und seine Würde zu bewahren. Ungewöhnlich ist hier auch die Darstellung der Samurai: Diese erscheinen einmal nicht als hartgesottene Kämpfer, die ohne zu zögern ihre Gegner niederstrecken, sondern vielmehr als ängstliche und unsichere Charaktere, die eher ungern zum Schwert greifen. Und dies wirkt gar nicht einmal unplausibel, zumal Yamada bei der Pressekonferenz nach der Filmvorführung zu Recht darauf hinwies, daß es seit Beginn der Edo-Zeit im Jahr 1600 bis zur Mitte des 19. Jahrhundert in Japan de facto keine Kriege mehr gab und die Samurai ihr Schwert eher als Standesmerkmal denn als Tötungswerkzeug mit sich führten. Somit liefert dieser Film ein sehr angenehmes Gegenkonzept zu vielen ansonsten gängigen Japan-Klischees.

 

Klischees zu vermeiden, darum bemüht sich auch das Werk des palästinensischen Regisseurs Hany Abu-Assad, "Paradise Now". Hier werden die letzten 24 Stunden zweier Selbstmordattentäter vor einem Bombenanschlag in Tel Aviv gezeigt. Dies tut Abu-Assad zwar im Cinemascope-Breitbildformat und in Hochglanzbildern - doch keineswegs verklärend. So ist eine Einstellung von der letzten Mahlzeit der Attentäter und ihrer Freunde an Leonardo da Vincis "Das letzte Abendmahl" angelehnt, doch das "göttliche Licht", das im Bild durch die Decke kommt, wird in "Paradise Now" von einer simplen Neonröhre abgestrahlt. Und als einer der beiden Selbstmordkandidaten vor laufender Kamera seine hochemotionale Abschiedsrede halten soll, flicht er schnell noch einen Tip an seine Mutter ein, wo diese die besten Wasserfilter erstehen kann, während die Zuhörer genüßlich in ihre Pita beißen.

Bei aller Sympathie für die in der Westbank lebende palästinensische Bevölkerung bemüht sich der Film insgesamt um Ausgewogenheit und verzichtet auf einfache Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Die Motivation der Attentäter wird dargelegt (sie fühlen sich wie in lebenslanger Haft, jeglicher Würde beraubt), jedoch wird auch die Skrupellosigkeit und Kaltherzigkeit der eigentlichen Organisatoren des Anschlags nicht außen vor gelassen. Und es gibt Gegenpositionen, wie etwa die der jungen Suha (Lubna Azabal). Diese ist die Tochter eines "Märtyrers", ist aber der Meinung, mit gewaltsamem Widerstand gegen die Israelis werde man nur selbst vom Opfer zum Täter. Man solle stattdessen versuchen, mit friedlichen Mitteln zu protestieren. Suha wird es schließlich auch schaffen, einen der beiden Attentäter von seinem Vorhaben abzubringen. Von den versöhnlichen Absichten von "Paradise Now" scheint im Übrigen auch die israelische Filmförderung überzeugt, die vor einigen Tagen angeboten hat, bei der Distribution des Films Hilfestellung zu leisten.

 

Abgesehen von diesen beiden Highlights erwiesen sich die Wettbewerbsbeiträge der diesjährigen Berlinale in den letzten drei Tagen als eher durchwachsen. Zu begutachten gab es zum Beispiel zwei Biopics, "Sophie Scholl - die letzten Tage" und "Le promeneur du Champ de Mars" ("Der späte Mitterand"). Diese behandeln die letzten Tage beziehungsweise Monate der historischen Figuren Sophie Scholl und François Mitterand. Und in beiden Fällen geht es auch um eine Verhörsituation: Sophie (glaubhaft verkörpert von Julia Jentsch) wird tagelang vom erfahrenen Nazi-Ermittler Robert Mohr (Alexander Held) in die Mangel genommen, bis sie schließlich ihre Widerstandsaktivitäten gesteht. Der todkranke Mitterand (Michel Bouquet) wiederum sieht sich den bohrenden Fragen eines jungen Journalisten (Jalil Lespert) ausgesetzt, der unbedingt die Verbindung des Präsidenten zum Vichy-Regime 1942 klären will.

Dieser Konstellation entsprechend sind beide Filme als Kammerspiele inszeniert, mit wenigen Figuren, langen (bisweilen arg gedrechselten) Dialogen und bedeutungsschweren Blicken. Das Tempo ist getragen, das Ambiente düster. In "Sophie Scholl" stellt die rote Strickweste der Protagonistin immerhin noch einen Farbtupfer in der graubraunen Umgebung dar, der "späte Mitterand" hingegen zeigt nur noch Bilder, aus denen alle Farbe herausgesaugt zu sein scheint. Kurz: Tristesse ist angesagt. Gleichzeitig versuchen beide Regisseure jedoch, ihre Figuren zu verklären: Robert Guediguian will seinen Mitterand als "Allegorie auf den Tod eines alten Königs" verstanden wissen, Marc Rothemund zeigt Sophie in mehreren Einstellungen als strahlende Heilige - wie etwa, wenn sie aus dem Fenster ihrer Zelle heraus den Fliegerangriff der Alliierten beobachtet und ihr Gesicht dabei hell aufleuchtet, unterlegt mit einem bombastischen Score. Solche Mätzchen sind dann doch ebenso unnötig wie ärgerlich.

 

Ungleich bunter präsentiert sich "U-Carmen eKhayelitsha",

eine afrikanische Version von Bizets Oper "Carmen". Statt im spanischen Sevilla spielt sich die Tragödie hier in einem Kapstadter Township ab, alle Texte sind in die afrikanische Sprache Xhosa übertragen, die auch diverse drollige Klicklaute enthält. Das Ganze ist originell und macht Laune, ist in sich erstaunlich stimmig (und auch stimmgewaltig vorgetragen), dürfte aber nur ein sehr begrenztes Publikum interessieren. Massentauglicher ist da schon die Globalisierungskomödie "In Good Company" mit Dennis Quaid und Scarlett Johansson. Obwohl sie von Paul Weitz ("American Pie", "About a Boy") stammt, ist sie nicht übermäßig lustig. Dafür zeigt sie streckenweise recht authentisch, welche Auswirkungen der derzeitige M&A-Wahn auf das Leben der jeweiligen Firmenangestellten hat, die dann gerne mal schnell wegrationalisiert werden. Letztlich ist der Film aber doch zu märchenhaft angelegt, als daß man ihn wirklich ernstnehmen könnte.

Einen Mangel an Ernsthaftigkeit konnte man dem deutschen Regisseur Christian Petzold ("Die innere Sicherheit", "Wolfsburg") dagegen noch nie vorwerfen - und dies gilt auch für seinen diesjährigen Berlinale-Beitrag "Gespenster". Eine Mutter (Marianne Basler), die sich seit 15 Jahren nicht mit der Verlust ihrer kleinen Tochter abfinden kann, und zwei orientierungslose Mädchen (Sabine Timoteo und Julia Hummer) stehen im Mittelpunkt eines Dramas um Identitätsssuche, Liebe, Freundschaft und Verrat. Thematisch einigermaßen komplex angelegt, krankt der Film vor allem an seinen statischen Charakteren und dem arg vorhersehbaren Plot.

Nach bisher sechs Tagen auf einem "A-Filmfestival" muß sich die Autorin nun doch mit Belustigung an die Worte der Internationalen Jury auf der Eröffnungs-Pressekonferenz erinnern, man dürfe sich von der hier dargebotenen "Creme de la Creme" der Filmkunst nicht blenden lassen. Aber immerhin kann sie mit Stolz verkünden, bisher nur bei einem Film den Kampf gegen den Schlaf verloren zu haben.

Anne Herskind

Berlinale 2005

55. Internationale Filmfestspiele Berlin


Berlin, 10. - 20. Februar 2005

 

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