Stories_Bad Gastein

Verfall am Wasserfall

Was blieb vom einst so stolzen Kurort Bad Gastein? EVOLVER-Autor Martin Zellhofer hat sich in seinem Reisebericht ein Bild davon gemacht - leider kein sonderlich erfreuliches.    16.04.2009

Bei der Lektüre von Stefan Zweig taucht es deutlich vor meinem inneren Auge auf: das Bild der Belle Époque, der Glanz vergangener Zeiten, das mondäne Leben um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Das Reisen zu einer Zeit, als Zug, Ozeandampfer und Kutsche die wichtigsten Verkehrsmittel waren und das Auto, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle spielte. Der Anblick großer, prächtiger Hotelanlagen, besucht von einer noblen, betuchten Gesellschaft. Ein Leben zwischen süßem Nichtstun, Bädern, Spaziergängen und Casino-Besuchen.

In Baden bei Wien lassen sich diese Beschreibungen mit ein wenig Phantasie noch heute nachvollziehen. Auch in Bad Ischl, Karlsbad und Marienbad, am Semmering oder wo auch immer die gehobene Gesellschaft um die Jahrhundertwende ihre Freizeit verbracht hat, finden sich Hotels, Kurhallen, große Postämter, Theatersäle oder gediegene Kaffeehäuser als steinerne Zeugen dieser Vergangenheit, läßt sich der damalige Lebensstil nachempfinden. Ich aber versuche, diese Zeit in Bad Gastein im Bundesland Salzburg einzufangen.

 

Sie alle kamen wegen des heilenden Wassers nach Bad Gastein: Bischöfe und Herzöge, Landesfürsten und Pfalzgrafen, Kaiser und Könige, Diplomaten, Künstler, Dichter, Philosophen, Schauspieler und Industrielle aus ganz Europa und von noch weiter her. Der erste namentlich erwähnte Kurgast war 1436 der spätere Kaiser Friedrich III., später kamen Kaiser Franz I. von Österreich, Kaiser Franz Joseph und Sissi, der deutsche Kaiser Wilhelm I., Bismarck, die Brüder Humboldt, Franz Schubert, Franz Grillparzer, Schopenhauer, Gogol, Thomas Mann, Gustav Klimt und Paula Wessely.

Ganz so, wie Kaiser Franz Joseph es schon getan hat, reise ich mit dem Zug an. 1905 hat seine Majestät "huldvoll geruht", die Strecke von Schwarzach hinauf nach Bad Gastein "allerhöchstselbst feierlich zu eröffnen", wie auf einer Erinnerungstafel am Bahnhof nachzulesen ist. Der Bahnhof ist heute noch groß und stilvoll, an diesem Nachmittag allerdings still und verlassen. Drei Bahnsteige sind hier vorhanden, aber die braucht niemand mehr, alle Züge fahren von Bahnsteig 1 ab. Der Brunnen in der großen Halle, aus dem eigentlich Gasteiner Heilwasser sprudeln sollte, ist defekt. "Die ÖBB schiebt die Reparatur auf die Gemeinde, die Gemeinde auf die ÖBB", weiß eine Vorbeigehende. Von 1905 bis 1909 hat sich die Besucherzahl Bad Gasteins durch den Bahnbau mehr als verdoppelt. Heute spielt die Bahn kaum noch eine Rolle für das Gasteinertal. Meine Begleitung, mit dem Metier Eisenbahn sehr vertraut, erinnert sich: "Bei meinem letzten Urlaub hier galt mein Skipaß noch als Fahrkarte für den Zug. Der regionale Zugverkehr wurde 2006 auf Autobus umgestellt, gleichzeitig wurden zahlreiche kleine Bahnhöfe entlang der Strecke aufgelassen." Außer an den Wochenenden, wenn die Gasteiner Touristen kommen und gehen, scheint die Bahn unwichtig geworden zu sein.

Vor dem prunkvollen Gebäude offenbart sich am sogenannten Bahnhofsplatz eine Verkehrshölle. Platz ist es eigentlich keiner - eine Tankstelle, häßliche Hotels und Geschäfte im Stil der 60er oder 70er, Fast-food-Buden, die wenig ansprechende, klobige Felsentherme, ein Supermarkt und die Post liegen aufgefädelt an der Bundesstraße und bilden das heutige "moderne" Zentrum des Ortes. Der Verkehr tobt, das Ambiente ist häßlich. Der um die Ecke liegenden Après-Ski-Bar entströmen alkoholgeschwängerte Dämpfe, seichte Klänge und Gegröle.

Doch schon wenige Schritte in Richtung Zentrum wird es ruhiger, und erste prächtige Hotelbauten tauchen auf. Als erste große Unterkunft ließ der Salzburger Erzbischof Hieronymus Colloredo von 1791 bis 1794 das Badeschloß für kirchliche Würdenträger errichten, das durch Kaiser Franz I. wenig später in ein öffentliches Hotel umgewandelt wurde. Die Gasteiner Wirte, die ihre Gäste bis dahin in Holzbauten untergebracht hatten, fürchteten um ihre Konkurrenzfähigkeit. Deswegen setzte - verbunden mit dem sich stets steigernden Bekanntheitsgrad der Thermalquellen - im 19. Jahrhundert ein reger Bau-Boom ein. Rund um die Quellen entstand eine künstliche Hotelstadt, bis 1914 wurden an die 25 Großhotels errichtet. Wäre damals eine Möglichkeit bekannt gewesen, das Thermalwasser ohne Wärmeverlust über weite Distanzen abzuleiten, so hätte man diese großen Hotels nicht an dieser exponierten Stelle an die Hänge gebaut.

Viele der Bauten stehen noch; sie sind heute die eigentlichen Stars, Zeugen einer glorreichen Vergangenheit. Kleine Plaketten an den Häusern erklären ihren Werdegang. Manche haben durch Modernisierung an Charakter verloren, wie das durch mehrere Umbauten umgestaltete, in den Jahren 1889 bis 1891 erbaute Hotel "Salzburger Hof". Hingegen konnte sich das 1883 erbaute "Kurhotel Gisela" seinen alten Charme bewahren. Auch das um diese Zeit errichtete "Hotel Elisabethpark", das auf einer Ansichtskarte nach erfolgter Modernisierung wie ein mißlungener Plattenbau aussieht, erstrahlt wieder in neuem, alten Glanz. Im "Hotel Weismayr" (errichtet ab 1832), findet sich jenes großstädtisch anmutende und gediegen aussehende Wiener Café, das dieser Umgebung angemessen ist.

Die Kaiser-Franz-Joseph-Straße ist stadtauswärts von prächtigen Villen gesäumt. An ihr findet sich auch das ehemalige "Grand Hotel de l´Europe", in dem heute Appartementwohnungen und das Casino untergebracht sind. Sobald das Casino abends öffnet, ist das Foyer des späthistorischen Hotelbaus (1906-1909) zugänglich. Es ist prächtig und weitläufig, voll mit Marmor, schweren Lustern, Spiegeln und Säulen. Die "Reception" mit Schlüsselkasten und "Cassa" ist erhalten, aber funktionslos. Wir fragen eine Einheimische über die Pläne, das Casino nach Niederösterreich zu verlegen. "Die haben sich zerschlagen, Gott sei Dank. Das Casino ist zwar reduziert worden, bleibt aber hier", zeigt sich die Dame sichtlich zufrieden.

Traurig hingegen sieht der Kongreßplatz aus. Das "Haus Austria", 1897 als Hotel erbaut, später Sitz der Gemeinde, der Kurverwaltung und des Heimatmuseums, steht leer. Gegenüber befindet sich die 1974 fertiggestellte und später mit einem Architekturpreis ausgezeichnete Kongreßhalle, die wie ein aus Beton gegossenes Parkhaus aussieht. Hier prallen architektonische Welten aufeinander; der frühere großstädtische Charme mit seinem baulich geschlossenen Ensemble und der Blick vom Tal auf Bad Gastein sind durch diesen Klotz zerstört. Um neben dem Straubinger Platz einen zweiten Hauptplatz aufzubauen, mußten Kur- und Wandelhalle Anfang der 1970er weichen. Ob denn niemand gegen den Abriß der alten Gebäude protestiert habe, fragt jemand bei der immer mittwochs stattfindenden Führung, an der ich mit weiteren sieben Interessierten teilnehme. "Nein", erklärt die Fremdenführerin, "zur Zeit der Erbauung hat weder die Bevölkerung noch das Denkmalamt protestiert, eine Grünbewegung gab es nicht, bloß der Fortschritt zählte." Heute steht das Kongreßzentrum leer, weil es schlecht gebaut und nicht beheizbar ist. Einen Nachnutzungsplan für die Betonhalle gibt es nicht. Große Schautafeln am Platz zeigen, wie es hier früher ausgesehen hat.

 

Jenseits des berühmen Wasserfalls liegt das ehemalige, jetzt verwaiste Zentrum, der Straubinger Platz. Hier spielte die Kurkapelle, hier steht das 1840 bis 1842 erbaute "Hotel Straubinger", in dem einst Kaiser Franz Joseph logierte, schon seit neun Jahren leer. Gegenüber liegt das leerstehende "Hotel Badeschloß", Unterkunft des deutschen Kaisers Wilhelm ... Wenn die beiden Hoheiten einander besuchten, benutzten sie eine Kutsche, obwohl die beiden Gebäude höchstens 30 Meter auseinander liegen. Das Hofzeremoniell verlangte es so.

Auch das Gebäude der ehemaligen Post (Bauzeit: 1886-1888) steht leer. Daneben gab es eine Filiale des Wiener Juweliers Jul. Hügler. Das Geschäft hat schon lange nicht mehr offen, die Schaufenster nutzt ein anderer Betrieb als Auslage. Zurück in Wien suche ich den Hauptsitz des Juweliers im Ersten Bezirk, dessen Adresse sich am Geschäft in Bad Gastein noch deutlich ablesen läßt. "Der Hügler", erklären mir zwei Verkäuferinnen in dem Strickwarengeschäft, das sich an der gleichen Adresse befindet, "der war da gleich daneben, den gibt´s aber schon länger nimmer". Angeblich hat sich nach dem Tod des Alten kein Nachfolger gefunden.

"Die Lage der ehemaligen Hotels rund um den Straubinger Platz ist heute schwierig", erklärt die Fremdenführerin. "Hier am Platz und in seiner Umgebung gibt es keine Parkplätze. Als diese Hotels gebaut wurden, kamen die Touristen mit dem Zug und weiter mit dem Pferdefuhrwerk hierher. Durch die Lage des Ortes ist hier auch kein Platz für die Schaffung von Parkplätzen - aber jeder will heute sein Auto bei sich haben." Von Glamour zeugt nur noch eine große Schautafel vor dem "Hotel Straubinger", das es in besseren Zeiten zeigt. Ein Schild weist auf die heutige Funktion des Platzes hin: er dient als Umkehrplatz für Busse.

Entlang der Bismarckstraße finden wir weitere leerstehende Geschäfte mit Portalen im Stile der 60er Jahre. Das "Kurhotel Mirabell" beherbergte mehrmals Fürst Bismarck, heute ist es ein Kurbetrieb mit Kassenvertrag. In Schaukästen zeigen stark vergilbte Bilder diverse Kurmöglichkeiten und Behandlungsmethoden. Ein Zettel an der Eingangstür weist auf den "Betriebsurlaub" hin. "Sehen Sie da unten den Parkplatz? Hier stand das erst kürzlich abgerissene 'Grand Hotel Gasteinerhof' ", erläutert unser Guide.

Stadtauswärts spazieren wir weiter zum "Hotel Kaiserhof" (1901 eröffnet). "Bei meinem letzten Aufenthalt hier war das ein verfallendes, leerstehendes Haus", erzählt meine Begleitung, "und drinnen war alles von einer dicken Staubschicht überzogen. Mein damaliger Vermieter war ganz stolz, weil er aus den alten Beständen des Kaiserhofes billig Bettwäsche erworben hat." Ein Touristikanbieter hat das Hotel wieder in alter Pracht hergestellt. Ehrfürchtig und staunend stehen wir mit anderen Schaulustigen im Foyer und dem Restaurant.

Entlang der Kaiser-Wilhelm-Promenade offenbart sich ein schöner Blick auf Bad Hofgastein. Man sieht auf der anderen Talseite mächtige, gefrorene Wasserfälle, blickt auf Belle-Époque-Bauten rund um die Kongreßhalle und entdeckt manch altes, mit einem Zubau verschandeltes Haus und riesige Neubauten, erbaut im pseudo-alpinen Stil.

Es wird finster. Von weitem ertönt ein Schlachtruf betrunkener Touristen. Ins Licht getaucht wirken die alten Kästen stilvoll, die Nacht hilft mir, störende Elemente auszublenden. Habe ich gefunden, was ich suche? Kann ich mir jetzt vorstellen, wie das Leben vor hundert Jahren war? Ich weiß es nicht ...

Martin Zellhofer

Kommentare_

Lisa - 16.03.2012 : 22.49
Bad Gastein macht den Eindruck einer stehengebliebenen Zeit.

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