Willy Vlautin: Motel Life
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Bvt (D 2010)
auch als Audiobook erhältlich
Drei Romane in vier Jahren: Ganz beachtlich, was der Künstler aus Reno/Nevada in letzter Zeit vorgelegt hat. Als hilfreich beim Lesen erweisen sich eine Badewanne und Dosenbier. Geht aber auch ohne. 28.01.2011
Eigentlich macht Willy Vlautin ja Musik, und das schon, seit er ein Teenager ist. 1994 gründete er eine Band mit dem klingenden Namen "Richmond Fontaine"; sie touren auch nach wie vor immer wieder um die Welt. Daß der Sänger und Gitarrist den Schritt in die Literatur gewagt hat, mag zunächst verwundern. Aber wer bei den Songs gut zuhört, der merkt bald: Jedes Lied ist eine Story.
Und so erweist er sich mit seinen ersten drei Romanen "The Motel Life" (2007), "Northline" (2008, inklusive CD, also Soundtrack zum Buch) und "Lean on Pete" (2010) auch als talentierter Schriftsteller.
Es ist eine beachtliche Liste an Dingen, die der 16jährige Charlie - die Hauptfigur aus "Lean on Pete" - in seinem Leben schon gesehen hat. Er hat zum Beispiel gesehen, wie einem Hund mit einer .22er in den Kopf geschossen wird, oder wie eine Liebhaberin seines Vater mit nichts als einem BH bekleidet bewußtlos auf der Rückbank des Autos liegt und sie anpinkelt. Aber es geht nicht um diese Episoden in "Lean on Pete". Denn, um es mit Bukowski zu sagen: Das Schlimmste kommt noch.
Auch für den jungen Charlie, der mit dem großen so gar nichts gemein hat. Tatsächlich erinnern viele der Begebenheiten in Vlautins Werken an die Geschichten, die Charles Bukowski vor rund 60 Jahren verfaßte. Man spürt auch bald, warum: Beide schreiben von jenen, die durch den Rost des Alles-geht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gefallen sind. Wobei "gefallen" vielleicht das falsche Wort ist; diese Leute haben den Rost eigentlich immer nur von unten gesehen.
Damit befindet sich Vlautin in bester Gesellschaft und darf sich getrost neben Größen wie John Steinbeck, Upton Sinclair, Richard Ford oder Raymond Carver stellen.
Seine Protagonisten sind keine guten Menschen. Es sind auch keine besonderen Menschen, die irgendetwas herausragend beherrschen. Oder einen bestimmten, großartigen Blick auf die Welt haben. Die meisten von ihnen trinken zu viel, werden - bzw. sind - schwach oder brutal, und bekommen so gar nichts hin in ihrem Leben.
Sie sind Mächten ausgesetzt, die sie nicht verstehen, sie spielen ein Spiel, dessen Regeln sie nicht kennen.
Man könnte auch zynisch behaupten, daß es sich im Großen und Ganzen um einen Haufen Idioten handelt, die in jeder entscheidenden Situation immer den Weg wählen, der einem selbst am dümmsten erscheint. Der sie der Lächerlichkeit und dem Leiden aussetzt. Wobei man zugeben muß, daß es teilweise nicht nur Dummheit ist, sondern auch ganz schönes Pech.
Aber warum sollte man etwas lesen, von dem man das Gefühl hat, der Protagonist sei ein Idiot und die Scheiße, in der er sich befindet, irgendwie hausgemacht? Und dann ist die Sprache noch nicht einmal besonders geschliffen, kein Ransmayerisches "Ich schreibe nicht mehr als einen oder zwei Sätze am Tag"-Gehabe.
Man liest es, weil man anfängt, die Protagonisten zu lieben. Obwohl sie alles andere als unschuldig sind und oft auch zu Tätern werden. Ob es nun die beiden Brüder Frank und Jerry Lee aus "The Motel Life" sind, die eigentlich nichts im Leben haben außer sich selbst und den einen oder anderen Rausch - und dann plötzlich einen toten Buben im Kofferraum. Oder die kleine Allison in "Northline", keine 25 und schon Alkoholikerin, und dann wird die auch noch von einem richtigen Mistkerl schwanger. Oder der schon erwähnte Charlie, der alles verliert, was man verlieren kann, und dem nur die Straße und ein Name bleibt.
Sie alle werden dem Leser zwar nicht zu Freunden, aber zu Menschen aus Fleisch und Blut, wahrhaftig, ehrlich und voller Fehler. Hier bleibt kein Platz für Romantizismen. Aber auch nicht für Verurteilungen. Vlautin versteht sein Handwerk. Seine Figuren sind Opfer und Täter in einem, wobei man nie weiß, ob nicht das eine das andere bedingt. Aber darüber verliert der Autor kein Wort, er schreibt nur, daß es eben so ist, wie es ist. Weil das Leben einfach nicht schwarz-weiß ist, aber manchmal genau so erzählt werden sollte.
Vlautin hört seinen Figuren zu. Deswegen weiß er wohl auch so gut über sie Bescheid. Er will sie nicht zu etwas machen, was sie nicht sind, und er will keine Urteile über ihre Handlungen fällen.
Über Franks, Jerry Lees, Allisons und Charlies Schicksale denkt man noch lange nach. Sie bergen eine Wehmut in sich, die einige Tage bleiben kann, die aber nicht bloß Wehmut ist, sondern auch ein bißchen Glück. Manchmal muß man auch weinen - weil es sehr traurig ist, aber auch, weil es schön ist.
Der Leser verliert die Hoffnung, je weiter die Figuren in das Elend abrutschen. Ein niederschmetterndes Gefühl, das man sich da eingesteht. Und auch noch pure Projektion. Aber der Autor ist ein guter Therapeut; beziehungsweise ein guter Beobachter. Er hat verstanden, daß das Letzte, was der Mensch über Bord wirft, die Hoffnung ist. Da frißt er vorher noch seinen besten Freund, wenn es sein muß.
Damit das aber nicht passiert, bringt Vlautin am Ende jedes Romanes - egal ob es nun happy oder not happy ist - die Fäden zusammen und entläßt den Leser mehr oder weniger stabil aus der Sitzung.
Der Verfasser des Nachwortes in "The Motel Life", Clemens Meyer, hat das Buch in der Badewanne gelesen. Schreibt er zumindest. Ich habe es dort fertiggelesen, aber ich hatte keinen Dosenprosecco (?!?) und kein Dosenbier. Also nicht ganz so romantisch (oder deppert; ich fange jetzt nicht von denen an, die genau so in der Badewanne ertrunken sind).
Meyer erwähnt jedenfalls eine Stelle, die Vlautin der Realität entnommen hat. Eine Geschichte, die im Kleinen beschreibt, wovon der Autor erzählt.
Es ist das Jahr 1996, und in Las Vegas steigen zwei Giganten in den Ring: Mike Tyson und Evander Holyfield. Letzteren in dieser Situation als einen Außenseiter zu bezeichnen, wäre die Untertreibung des Jahres gewesen. Die Wetten standen miserabel für Holyfield - und das in einer Stadt wie Las Vegas, die doch von naiven Träumern bevölkert zu sein scheint. Aber das Unmögliche geschah: Holyfield siegte in der 11. Runde durch technisches K.O.; die, die auf ihn gesetzt hatten, wurden mit einem Schlag ein bißchen reich.
Der Außenseiter gewinnt. Etwas, das man sich auch für Frank und Jerry Lee, Allison und Charlie von Herzen wünscht. Das Problem dabei, wenn der Außenseiter gewinnt, ist der Verlierer. Wer glaubt, schon vorab gewonnen zu haben, der wird im Normalfall ziemlich emotional, wenn sich das Spiel doch nicht als der erwartete Spaziergang herausstellt. Weswegen Tyson sich bei der Revanche ein halbes Jahr später nicht anders zu helfen wußte und Holyfield das Ohr abbiß.
Wie schon gesagt - das Leben ist nicht nur schwarz-weiß. Innen drin ist es nämlich rot.
Wer Lust hat, sich in schnörkelloser, schneller Sprache Geschichten vom richtigen Leben erzählen zu lassen, der sollte Vlautin lesen. Einziges Manko sind einige Passagen, die man als Längen empfinden könnte, was jedoch an der Art des Erzählens liegt - Stichwort Perlenkettenprinzip.
Aber bei diesen Figuren braucht er auch keine Raffinesse in der Erzählstruktur, er braucht keinen Glitzer und Glamour, der von Schwachstellen der Figurenentwicklung ablenken könnte. Da gibt's nämlich keine. Literaturwissenschaftlerehrenwort.
Jedenfalls: Vlautin lesen, sehr empfehlenswert. Und immer schön vorsichtig mit dem Bier in der Badewanne.
Willy Vlautin: Motel Life
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Bvt (D 2010)
auch als Audiobook erhältlich
Willy Vlautin: Northline
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Bvt (D 2010)
auch als Audiobook erhältlich
Drei Romane in vier Jahren: Ganz beachtlich, was der Künstler aus Reno/Nevada in letzter Zeit vorgelegt hat. Als hilfreich beim Lesen erweisen sich eine Badewanne und Dosenbier. Geht aber auch ohne.
Von 1941 an schickten die USA Zigtausende Soldaten an Plätze wie Guadalcanal, Palau, Peleliu, Pavavu, Iwo Jima oder Okinawa. "The Pacific" ist allerdings keine Geographiestunde, sondern betrachtet einen Krieg, der die größte Zäsur in der Geschichte der Neuzeit darstellt.
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