Hunter S. Thompson: Der Fluch des Lono
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The Curse of Lono
Heyne Verlag (D 2011)
Warum es 27 Jahre gedauert hat, bis dieses Buch des ebenso genialen wie manischen Journalisten und Autors bei uns erscheinen konnte, versteht kein Mensch. Aber jetzt ist es endlich soweit ... 23.11.2011
Wahrscheinlich gibt es zwei Hawaiis. Einmal das des Hula-Tanzes und der Blumen im Haar junger polynesischer Frauen, das Hawaii der Ukulele und Touristenströme; meterhohe Wellen, an denen sich braungebrannte Surfer in die tiefblauen Fluten stürzen und ihre waghalsigen Manöver vollführen, das Hawaii der endlosen Strände und der brennenden Sonne.
Wer an Hawaii denkt, schreit "Aloha", denkt an schwitzende Körper, die sich durch den "Ironman" quälen oder an die Straßen Waikikis, über die alljährlich 7 Millionen Touristen strömen, Japaner und Amerikaner, die sich duftende Blumenkränze um den Hals legen, damit man auch im Urlaub dem Kitsch frönen kann. Das ist das erste Hawaii, das Hawaii der Postkarten, auf denen Pärchen verliebt in den Sonnenuntergang starren und die Idylle genießen, derweil sie im Schatten einer Palme Cocktails genießen und eng umschlungen den Kopf auf der Schulter des anderen ablegen.
Das zweite Hawaii ist das des Hunter S. Thompson, des womöglich aufrichtigsten Irren der amerikanischen Literatur. Es war der 23. Mai 1980, als der Herausgeber des Magazins "Running" Thompson den Auftrag anbot, vom Honolulu-Marathon zu berichten, Spesen und Urlaub inklusive, die Cocktails gingen aufs Haus.
Thompson konnte solche Angebote nur selten ausschlagen, und wer sich seinerzeit den "Mann mit den neun Leben" ins Boot holte, mußte damit rechnen, daß womöglich nicht alles wie geplant laufen würde. Der bekennende Adrenalinjunkie hatte bis dato schon eine Schneise durch die amerikanische Literatur geschlagen, die es in sich hatte.
Ein Jahr lang war er mit den Hells Angels unterwegs, bevor er die dort gemachten Erfahrungen 1967 in einem Buch verarbeitete und seinem Hang zur Geschwindigkeit und anarchistischem Spaß Ausdruck verlieh. Vier Jahre später veröffentlichte er den Klassiker "Fear and Loathing in Las Vegas", eine drogen- und alkoholgeschwängerte Reisereportage über den Tod des amerikanischen Traumes, in welchem ein Wüstenrennen nur den Ausgangspunkt liefert, um in die Tiefe nationaler und menschlicher Abgründe abzutauchen.
Und spätestens als er 1974 vom "Rumble in the Jungle" berichten sollte und leblos in einem Pool lag, um ihn herum ein Beutel Marihuana und wahrscheinlich noch -zig andere Substanzen, während sich Foreman und Ali parallel dazu eine epische Schlacht lieferten, wußte man, daß der "Südstaatengentleman" auf einer ganz eigenen Strecke unterwegs war, auf der man jederzeit ins Schlingern geraten konnte. Oder, wie er selbst sagte: "Buy the ticket, take the ride".
Das Hawaii des Hunter S. Thompson ist bevölkert von Freaks und anderen obskuren Gestalten. An der Straßenecke lauern gewalttätige Transvestiten, ein Photograph erschlägt mit einer Flasche im Vorbeifahren einen streunenden Hund, und der erste Mensch, dem Thompson auf seiner Reise begegnet, ist ein Mann, der seinen Arm tief in der Bordtoilette eines Flugzeugs gesteckt hat. Es sind Thompsons Protagonisten, wilde Irre, die von jetzt auf gleich das Leben und die soziale Ordnung auf den Kopf stellen, um im nächsten Moment wie gierige Zombies dem Drogenkonsum zu frönen.
Wie in "Fear and Loathing" bildet der eigentliche Auftrag nur den Rahmen, in welchem sich diese Irren bewegen, und so verwundert es auch nicht, daß der Roman in einer Pilgerstätte endet, in welcher sich Thompson verschanzt hat, beseelt von dem Glauben, er sei die Wiedergeburt Lonos, eines hawaiianischen Gottes, der seine Frau erschlug und sich dem Überfluß hingab.
Neben seinem grimmig-exzessiven Humor bestand Thompsons Meisterschaft darin, die Momente des Irrsins und der Verzweiflung, des Kontrollverlustes und der Gewalttätigkeit als Folie dafür zu nutzen, die politische und emotionale Lage seines Landes zu sezieren. Und auch in der "Fluch des Lono" gelingen ihm messerscharfe, temporeiche Passagen.
"Was haben diese Leute zu feiern? Und warum an diesem blutbefleckten Arbeitstag?", fragt er angesichts von 6000 Läufern, die am Jahrestag von Pearl Harbour an ihm vorbeitrampeln und -schlurfen. "Dieselben Leute, die in den Sechzigern ihre Einberufungen verbrannten und dann in den Siebzigern von der Bildfläche verschwanden, haben sich jetzt aufs Laufen verlegt – als die Politik versagte und man persönliche Beziehungen nicht mehr in den Griff bekam; nachdem McGovern gescheitert war und Nixon direkt vor unseren Augen zerbarst [ ... ], und nachdem sich die Nation en masse den atavistischen Weisheiten Ronald Reagans zugewandt hatte".
Es sind die Momente, wo man bemerkt, was die amerikanische Literatur verlor, als sich Hunter S. Thompson am 20.Februar 2005 den Lauf einer Waffe in den Mund schob, um kurz darauf seinem Leben ein Ende zu setzen.
Hunter S. Thompson: Der Fluch des Lono
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The Curse of Lono
Heyne Verlag (D 2011)
Vor nicht ganz 25 Jahren starb der deutsche Literat, Ex-Junkie, Burroughs-, Beat- und Bukowski-Fan, Journalist und Rebell Jörg Fauser bei einem nächtlichen Spaziergang auf der Autobahn. Bis heute sind die Umstände seines Todes nicht ganz geklärt. Fest steht jedoch, daß Fauser den amerikanischen Noir-Roman als erster gekonnt nach Deutschland transponierte und sich bis an sein Lebensende nicht von der beamteten Kulturmafia vereinnahmen ließ. Michael Wildberg erinnert an einen großen deutschen Schriftsteller.
Nicht nur, weil wir Ihnen hier ein Buch über Fußball vorstellen (das Hochjubeln stumpfsinniger Massenspektakel überlassen wir ja sonst den Intellektuellen bei "Falter" & Co). Wir haben zudem - aus Gründen der Neutralität - einen Kollegen aus Deutschland gebeten, sich des Werkes anzunehmen ...
Warum es 27 Jahre gedauert hat, bis dieses Buch des ebenso genialen wie manischen Journalisten und Autors bei uns erscheinen konnte, versteht kein Mensch. Aber jetzt ist es endlich soweit ...
... schrieb "der Duke" 2003 über die Bush-Regierung - und solche Sätze waren typisch für ihn. Was bei diversen Interviews mit dem Mann herauskam, der den Gonzo-Journalismus erfunden hat, ist in einem soeben auf Deutsch erschienenen Buch nachzulesen.
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