Print_Guido Rohm - Die Sorgen der Killer
Im Hyperraum des Kriminellen
Rezensionen schlechter Bücher sind einfach. Gute Bücher rezensiert man eher ungern. Erst recht, wenn man sich ihnen auf eigentlich allen vieren nähern müßte, wie das bei diesem deutschen Autor der Fall ist.
23.04.2012
Warum um Himmels Willen hatte ich mir diese Rezension aufschwatzen lassen? Ich kannte den Kerl nicht mal. Aber nun gut. Der Krimi im allgemeinen. Guido Rohm im besonderen. Ein Fall für sich. Da kann man nicht wie üblich die Tomatensauce einer Inhaltsangabe auf den Pizzateig der Rezension schmieren und dann den Parmesan seiner Meinung drüberstreuen. Das wäre der Faktenlage nicht angemessen.
Zu Beginn meiner Ermittlungen hatte ich wenig. Nur einen Namen, "Guido Rohm", und einen Satz, "Die Sorgen der Killer - Crime Stories". Das roch nach Recherche. Nach Zigaretten. Nach Arbeit. Ich ging erst mal einen trinken. Und dann zur Kriminalbuchhändlerin wie einst Bogart zu Dorothy Malone. Diese dicke Brille! Dieser lockige Pferdeschwanz aus duftendem Haselnußbraun! Ich konnte mich kaum konzentrieren, nur meine Ohren hörten ihr zu. Sie kannte diesen Rohm, wußte viel über ihn. Versicherungsfritze. Vater. Fulda. Aha.
Brachte mich zwar nicht weiter, aber Dorothy, dich werde ich nie vergessen! Ich kaufte also auch das andere Zeug von diesem Rohm. Weitgehend komplett. Ist ja nicht viel. Ein Newcomer. Einer dieser Aufsteiger. Die literarische Frühlingssensation. Der Hype deprimierte mich jetzt schon. Ich ging wieder einen trinken. Blätterte im Rausch mal rein. Biß mich in der Badewanne dran fest. Konnte konstatieren: kein schlechtes Zeug.
So ging das tagelang. Trinken. Rauchen. Lesen. Das beschissene Leben eines zweitklassigen Rezensenten, der darauf wartet, was die anderen schreiben, die erstklassigen. Deren Formulierungen bräuchte man nur umzuformulieren, fertig wäre die Rezension. Wichtig auch: Würde sich einer von denen aus dem Schatten wagen, ein Haar in der Suppe finden, ihm vielleicht literarische Eitelkeit attestieren? Man könnte in die gleiche Kerbe schlagen. Der Rezensent schlägt gerne zu. Lobpreisungen gibt’s in der Kirche, Kritiker kritisieren.
Nichts. Ich konnte nicht länger warten, reimte mir also selbst zusammen, was an der Sache dran war. Stellte fest: Der Mann schrieb gar keine Krimis. Er schrieb über Krimis. "Metakrimis" konnte ich nicht schreiben, das hatte schon ein anderer Rezensent getan. Ich müßte das irgendwie anders formulieren, dachte ich. "So postmodernes Zeug"? Nein. "Godardsche Kriminal-Essays"? Schon eher. Traf es aber auch nicht. Er war nämlich spannend, der Herr Rohm. "Blut ist ein Fluss" ahmte atemberaubend gekonnt Vorbilder wie Jim Thompson nach und machte zugleich ihre Konstruktion sichtbar. Noch cleverer: "Blutschneise", das ich persönlich schon wegen des Titels irgendwie liebhatte, arbeitete ich doch seit Jahren selbst an einer Krimi-Trilogie, "Blutwurst", "Blutbad" und "Blutopia". Wie könnte ich dieses Detail in die Rezension einbringen, fragte ich mich, ohne dazustehen wie einer dieser typischen Kritiker, die verhinderte Autoren sind?
Mir fiel nichts ein. Ich las also "Blutschneise" nochmal. Ein Buch wie ein Exposé. Sätze dünn und piekend wie Fischgräten, die Story abgenagt wie Knochen im Kompost. Wie der andere Roman wirkte es stellenweise irgendwie konventionell, okay, und dann doch auch wieder überhaupt nicht: Warum wählte Rohm dort jene seltsam entlegene Szene, hier diese Perspektive, warum ließ er das da weg? Es schien alles keinen Sinn zu ergeben. Oder einen anderen, geheimen.
Rohm jedenfalls, kolportierte der Flurfunk, hatte sich damit nicht nur Freunde gemacht. Einigen Leuten paßte einfach nicht, daß der Krimi darüber sprach, ein Krimi zu sein. Ich beschloß, zur Entspannung etwas Tom Torn zu schreiben.
*
"Danke, Herr Torn, daß Sie unserer Einladung gefolgt sind." Inspektor Hoppenshire bretterte ihm sein Knie in die Weichteile. Torn sackte zusammen, blieb an den beiden Feuilletonisten hängen, die seine Arme brutalstmöglich stahlklammerten. Hoppenshire neigte seinen Kopf zwei Millimeter in Richtung des schalldichten Verhörraums.
"Bringt das Arschloch rein."
Sie schleiften ihn in den kahlen Raum zum Stuhl. Seine Absätze glitschten über den blutverschmierten Boden, heute morgen hatten sie schon einen Genre-Terroristen verhört. Es roch nach kaltem Urin, in der Ecke verweste der Kadaver einer Ratte. R wie Rezensent.
"Okay, Tom." Hoppenshire pflanzte sich breitbeinig auf einen Stuhl, drehte Torn die trübe 7-Watt-Energiesparlampe ins Gesicht, zündete sich eine NIL an und blies sich einen Tabakkrümel von den Lippen. "Erzähl mal. Hübsch der Reihe nach."
"Was denn?" robertmitchumte er.
"Alles."
"Ich schreibe Kriminalgeschichten, sonst nichts."
"Und warum? Eitelkeit? Eifersucht? Irgendso ein Vater-Ding?"
"Jeder Autor ist eitel. Aber ich mach’s für Geld. Ist das jetzt verboten?"
"Und die Leichen? Wo liegen die?"
Torn lachte. Aber er packte nicht aus. Wollte nur seinen Anwalt sprechen. Immer die gleiche Leier, dachte Hoppenshire, als die Putzkolonne an die Tür klopfte.
*
Totaler Mist. So würde ich nie Kriminalromanautor werden. Ich ging einen trinken. Rauchte was. Ging nochmal zu Dorothy, der Buchhändlerin aus 'The Big Sleep'.
"Was haben Sie rausgekriegt?" fragte sie. "Über den Krimi, meine ich."
"Ein Genre zappelnder Zombies", sagte ich. "Untote Ermittler, die mit nach Tätern ausgestreckten Händen durch triste Idyllen schlurfen, im tiefen Tal der entlegenen Kleinstadt oder hoch oben im Dorf unter düsterem Gebirge. In jedem Kaff ein Verhörgott mit dem Forensiker auf Kurzwahl, alle sauber mit gebrauchten Psychoticks durchetikettiert, dazu spleenige Pathologen im Dutzend, die kaltes Schaschlik verschlingend merkwürdige Verstümmelungen an der Leiche kommentieren."
"Und ab und zu Katzen und Kochrezepte, ich weiß." Die schöne Dorothy lockerte jetzt ihr Haar, nahm die Brille ab. "Aber was ist mit den Serienmördern? Die sind doch voll im Geschäft?"
"Lau durch die Schablone gekotzt. Verzeihung, Madame. Aber. Der Mambo-Mörder, der als Handschrift stets eine Kassette mit Musik von Perez Prado am Tatort hinterläßt. Der Kruzifix-Killer, der seine Opfer mit zugefeilten Kreuzen aus dem Rosenkranz-Shop pfählt. Der Metzger von Mistelbach, der aus seinen weiblichen Opfern (meist übergewichtige Touristinnen) wunderschöne Wurststatuen formt. Das ist doch alles mies geschriebener, mies übersetzter Scheißdreck. Verzeihung, Madame."
"Und Guido Rohm?"
"Hat damit rein gar nichts zu tun. Literatur, wenn Sie mich fragen. Mehr noch: Rohm hat ein neues Genre erfunden, eines, das erst noch definiert werden muß, vielleicht 'Crime-Slipstream'. Die Sorgen der Killer, das sind 13 Kurzgeschichten aus der Wirbelzone eines U-Boots im Bermudadreieck. Keine ist wie die andere, jede so einzigartig wie eine Perle. Wie Standbilder eines ungedrehten Weltfilms zeigen sie Mörder, Verbrecher, Kriminelle, gelegentlich auch nur Unmenschen. 13 grundverschiedene Herangehensweisen, 13 Perspektiven und Erzählstimmen."
"Keine Ladehemmung?"
"Keine einzige. Fiese, kleinkalibrige Geschichten, an deren Wunden man lange stirbt. Und die man bis zum Ende zwei, drei Mal lesen kann (ich hab’s getan). Ein bißchen anstrengend, das sind sie vielleicht, auch ungemütlich und unbehaglich, und ja, literarisch auch etwas zu bewußt aufgekunstet. Aber ich denke: darum gings."
Sie lächelte keck.
"Mmm-hm. Und, kauft das einer?"
Andreas Winterer
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