Rudolf Buchbinder - Der letzte Walzer
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aufgezeichnet von Axel Brüggemann
33 Geschichten über Beethoven, Diabelli und das Klavierspielen
Amalthea-Verlag
Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem mehr zu erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende Star-Pianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff - und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf. 27.04.2020
Die 1923 fertiggestellten "Diabelli"-Variationen sind ein Beethoven-Werk, das Rudolf Buchbinder als "Magnum Opus" bezeichnet. "Es ist sozusagen eine Zusammenfassung des gesamten Musikschaffens Beethovens", sagt Rudolf Buchbinder im Telefongespräch mit dem EVOLVER-Klassikexperten. Anton Diabelli, dessen Vater noch Demon hieß, italienisierte seinen teuflisch klingenden Namen passend zu Diabelli. Offenbar war es schon um 1820 ein Phänomen, daß sich exotisch klingende Pseudonyme besser verkauften als konventionelle Alltagsnamen ...
Im Kapitel drei von Buchbinders 33 Kapitel umfassendem Buch "Der letzte Walzer" ("Ich hielt mich beim Aufbau des Werkes genau an die Abfolge von Diabellis Werk") erzählt der Autor und Pianist ganz und gar nicht humorfrei, was für ein gewaltiges Marketinggenie Diabelli doch war. Er war ja neben seiner Kompositions- und Musiklehrertätigkeit auch noch Herausgeber und Verleger - doch selbst er hätte sich nicht träumen lassen, was Beethoven aus seiner relativ einfachen Melodie machen würde.
Der Landler oder Walzer ("Man soll ja nicht versuchen, nach diesem Walzer zu tanzen", sagt Buchbinder. "Das ist immerhin ein Prestowalzer") ist eigentlich relativ einfach und wurde von Beethoven etwas despektierlich "Schusterfleck" genannt. Der große Komponist entwickelte daraus ein ähnlich komplexes Werk wie seine drei letzten Klaviersonaten, seine späten Streichquartette oder eben auch die "Missa solemnis".
Rudolf Buchbinders neues Buch ist eine Mischung aus Autobiographie, Beethoven-Biographie und zeitgeschichtlichem Sachbuch. Es liest sich höchst angenehm, ohne je mit dem oberlehrerhaften Zeigefinger aufzufahren. Das Sujet ergab sich durch mehrere Treffen mit Freunden, bei denen auch der umtriebige Kulturexperte Axel Brüggemann dabei war; die damaligen Gespräche wurden sehr gekonnt in den Text verpackt.
Der sympathische Pianist erzählt in "Der letzte Walzer" auch, mit welcher Selbstverständlichkeit Beethoven fast immer den Rahmen sprengte. So gesehen passen sich die Diabelli-Variationen in Sachen Fortschrittlichkeit perfekt in seine letzten Werke ein. Buchbinder hat diese Variationen bereits zum dritten Mal aufgenommen (zuletzt bei der Deutschen Grammophon). Im Buch wird auch auf eine Neuerscheinung der fünf Klavierkonzerte mit fünf verschiedenen Orchestern und Dirigenten verwiesen. Diese sind der Reihe nach Andris Nelsons, Mariss Jansons, Valery Gergiev, Christian Thielemann und Riccardo Muti.
Das Buch ist in jedem Kapitel aufgehübscht mit netten Notenfaksimiles der Variationen. Buchbinder: "Ich habe sogar die Originalausgabe des Werkes. Der Autograph befindet sich im Beethoven-Haus in Bonn. Zuvor war er in Privatsitz bei einer Schweizer Familie. Ich habe mit einem Konzert den Ankauf des Werkes für das Beethoven-Haus unterstützt." Seitdem ist das kostbare Werk auch öffentlich zugänglich.
Der Autor hat übrigens drei Steinway-Flügel in Privatbesitz: "Steinway hat sozusagen ein Weltmonopol bei dieser Klasse von Flügel. Da tue ich mir auch bei Reisen leichter." Von Hammerklavieren hält er überhaupt nichts. "Beethoven war zeit seines Lebens mit den Instrumenten unglücklich. Stellen Sie sich vor, er hätte die heutigen Instrumente. Was denken Sie, was er da alles schreiben hätte können?!"
Rudolf Buchbinders Lieblingspianist war und ist übrigens Arthur Rubinstein. "Rubinstein war für mich ein Ausnahmekünstler", erzählt er. "Ob bei Beethoven, Mozart oder Rachmaninow - wenige haben diese umfassende Palette wie er."
In Kapitel fünf transferiert Buchbinder die Leser über Gneixendorf nach Grafenegg. Er beschreibt darin recht genau, wie sich Beethovens Aufenthalte im Haus seines Bruders in Gneixendorf bei Krems abspielten. Nur ein Jahr vor seinem Tod 1827 hielt sich der Meisterkomponist öfters dort auf. Das Haus "ist eigentlich sehr heruntergekommen und gehörte dringendst renoviert", sagt der Beethoven-Experte. Offenbar wartet der Besitzer des Privatmuseums darauf, daß ihm das Haus vom Land Niederösterreich abgenommen wird.
Wenige Kilometer von Gneixendorf befindet sich das Schloß Grafenegg, wo Buchbinder seit 2007 Intendant ist. Im Wolkenturm und im Auditorium werden jährlich im Sommer Konzerte veranstaltet. "Grafenegg kannte ich schon seit meiner Jugend, da ich in der Reitschule [Anm.: dem früherem Konzertsaal] viele Konzerte gegeben habe. Ich wollte damals ein Musikzentrum machen, ein Festival im Sommer." Dank der Unterstützung der niederösterreichischen Landesregierung ist ihm das auch gelungen. Für ihn hat der Ort den Vorteil, daß "ich keinen Kompromiß zu machen brauche. Ich kann dort künstlerisch machen, was ich will. Ich engagiere die Creme de la creme der Musikwelt - auch wenn ich viele der dort auftretenden Künstler nicht mag." Offenbar siegt da die Professionalität über persönliche Präferenzen.
Nun ist 2020 aber nicht nur das Beethoven-Jahr, sondern leider auch das COVID-19-Jahr. Das unselige Virus läßt viele freischaffende Künstler mit dem Rücken zu Wand stehen. Buchbinder empfiehlt ihnen: "Durchhalten, durchhalten!" Offenbar weiß er, daß sich das leicht sagt, denn im nächsten Augenblick fügt er zu: "Das ist eigentlich ein Krieg ohne Waffen." Stand April 2020 ist er der Ansicht, noch zuwarten zu können, obwohl er das Auftreten einzelner Ensembles bezweifelt: "Ob das Pittsburgh Symphony Orchestra im Sommer kommen wird, ist sehr, sehr fraglich."
"Der letzte Walzer" ist für Musikfreunde jedenfalls sehr lesens- und besitzenswert, nicht nur in Zeiten einer freiwilligen oder unfreiwilligen Quarantäne.
Rudolf Buchbinder - Der letzte Walzer
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aufgezeichnet von Axel Brüggemann
33 Geschichten über Beethoven, Diabelli und das Klavierspielen
Amalthea-Verlag
Hören darf man heuer auch ganz ohne Maske. Grund genug für den EVOLVER-Klassikexperten Herbert Hiess, seine Musiktips für die Weihnachtszeit unter den virtuellen Christbaum zu legen.
Nicht nur Thomas Angyan, der zukünftige Ex-Chef des Wiener Musikvereins, hätte sich den Abschluß seiner Karriere - ebenso wie Staatsoperndirektor Dominique Meyer - anders vorgestellt. Wie so viele Kulturschaffende gingen beide der angeblichen Pandemie in die Falle.
Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem mehr zu erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende Star-Pianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff - und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf.
Pech oder Schicksal - wie auch immer man es bezeichnen mag: Daß die großartige Berliner "Carmen" schon nach der zweiten Aufführung von Amts wegen gestoppt werden musste, hätte sich niemand gedacht. Jetzt kann man sie wohl einige Zeit nur als Stream oder Aufzeichnung betrachten. Die Staatsoper unter den Linden zeigt mit ihr jedenfalls, daß sie dank ihrer hervorragenden Musiker viele der angeblichen Spitzenhäuser übertrifft.
Wie Political Correctness als brutale Verlogenheit entlarvbar ist, zeigt das Stück "Der Vorname" des Autorenduos Patellière und Delaporte. Herbert Hiess hat es in den Kammerspielen erlebt.
Alle Jahre wieder ... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der "Streß", der oft zu Geschenkskäufen in letzter Minute führt. Um Verlegenheitsgaben wie Socken oder Bonbonnieren zu umgehen, hat der EVOLVER-Klassikexperte einige Tips zusammengestellt, die nicht nur eingefleischten Klassikliebhabern Freude bereiten werden.
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