Print_Tana French - Schattenstill

Begnadete Erbfolge

Der geneigte Leser wird wissen: Wenn Blurbs zu viel versprechen, ist der EVOLVER auf Anhieb skeptisch. Im Klappentext zum neuen Krimi von Tana French heißt es, sie sei "eine begnadete Erzählerin" (Zitat: "Die Welt") und habe sich "die Erbfolge unter den Crime-Königinnen gesichert" ("Taz"). Tatsächlich?    10.08.2012

In diesem Fall gilt: "Schattenstill" unterstreicht jedes einzelne Lob. Und das ist wirklich erstaunlich, denn in Frenchs neuem Roman passiert nach dem großen Knall zu Beginn auf den nachfolgenden 700 Seiten - nun ja, gar nichts. Keine bluttriefenden Gewaltorgien, keine kompliziert eingefädelte Kriminalstory und noch viel weniger ein großes, verwirrendes Figurenkabinett.

Stattdessen serviert die Autorin uns Detective Mike Kennedy, erfahrenen French-Lesern schon aus "Sterbenskalt" bekannt, durch dessen Augen wir die nachfolgende Geschichte erleben. Er wird an einen Tatort in Broken Harbour (so auch der Originaltitel) gerufen, ein auf den ersten Blick idyllisches Neubauviertel Dublins. Hier wurde eine junge Familie grausam niedergemetzelt. Die beiden Kinder sind tot, der Vater auch, nur die Mutter hat schwerverletzt überlebt.

Fortan nimmt der Leser Anteil an der Tatortuntersuchung und der daraus resultierenden Ermittlungsarbeit: Befragungen der Nachbarn, Zeugenvernehmungen, Obduktionen - und Stück für Stück, schonungslos, enthüllt French dabei die Wahrheit hinter der vermeintlichen Idylle.

Dies tut sie mit einer sprachlichen Wucht, daß die 700 Seiten nur so an einem vorbeifliegen. Man kann sich nicht mehr lösen vom Schicksal, das dem Tod der Familie vorausging - und das in diesen unseren Tagen jeden ereilen kann: Jobverlust, Pleite, der Kampf gegen Armut und Hoffnungslosigkeit. Und die Frage: Wie weit kann ich gehen, um meine Familie zu retten?

Nicht "nur" ein Kriminalroman, sondern auch ein fesselndes Psychogramm.

Marcel Feige

Tana French - Schattenstill

ØØØØØ

(Broken Harbour)


Scherz (D 2012)

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Kommentare_

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