Print_Russell Andrews - Icarus

Harter Aufprall

Als Schrecken ohne Ende entpuppt sich Jack Kellers Leben. Alle ihm nahestehenden Menschen werden ermordet. Und bei den Nachforschungen erfährt er mehr, als er wissen wollte ...    13.12.2004

Leicht hatte es Jack Keller nie. Der Vater ist verschwunden oder tot, so genau kann oder will ihm das keiner sagen. Seine Mutter wurde, als er noch ein Kind war, von einem Verrückten aus dem Bürofenster eines New Yorker Hochhaus geworfen. Da er keine weiteren Angehörigen hatte, wuchs er bei Dom, einem Freund seiner verstorbenen Mutter, auf. Dom, der ehemalige Boxer, den eine Auseinandersetzung mit der Mafia den rechten Arm gekostet hatte, besitzt eine Fleischfabrik, in der Jack neben dem Studium arbeitete.

Als Jack die schöne und reiche Caroline kennen und lieben lernt und diese seinen Heiratsantrag annimmt, scheint sein Leben perfekt. Er eröffnet ein Restaurant, aus dem - dank der Mithilfe seiner Frau - bald eine erfolgreiche Kette wird. Doch kaum hat er die Dämonen seiner Vergangenheit vergessen, taucht bei einer Restauranteröffnung ein maskierter Räuber auf, verletzt Jack schwer und tötet Caroline. Nach und nach kommt der Lokalbesitzer wieder auf die Beine, und zwar dank Kid Demeter. Kid ist ein Fitneßguru und war eine Zeitlang so etwas wie Jacks und Carolines Ersatzsohn, ehe er ohne Angabe von Gründen New York verlassen hat. Jetzt ist er wieder da und scheint mehr über Carolines Ermordung zu wissen, als er zugibt.

Doch ehe Jack Details in Erfahrung bringen kann, begeht Kid angeblich Selbstmord. Jack glaubt nicht an diese These, beginnt in Kids Vergangenheit herumzustochern und bekommt es mit der Mafia, rachsüchtigen Geliebten und einem Psychopathen der besonderen Sorte zu tun.

Russell Andrews - hinter dem Pseudonym verbirgt sich, je nach Quelle, ein amerikanischer Drehbuchautor oder ein Duo, bestehend aus einem Romancier und einem Lektor - gelingt mit "Icarus" ein kleines Kunststück. Er schafft es, trotz einer Geschichte, die bei näherem Hinsehen beinahe absurd in ihrer Unglaubwürdigkeit ist und auch dramaturgisch mehr Löcher aufweist als ein bekanntes Schweizer Molkereiprodukt, den Leser zu fesseln. Die Handlung bewegt sich weniger linear denn vielmehr spiralförmig auf den Höhepunkt zu und schlängelt sich auf dem Weg dorthin durch ein hermetisches New Yorker Universum, in dem allenthalben, ob im Nobelrestaurant, im Luxusapartment oder im düsteren Nachtclub, die latente Gewalt lauert, die irgendwann zum Ausbruch kommt und vor der es kein Entkommen zu geben scheint.

"Icarus" ist - weit davon entfernt, ein gelungenes Buch zu sein - das interessante Ergebnis des eigentlich fehlgeschlagenen Versuchs, eine altbekannte Thriller-These (daß nämlich die Vergangenheit nie so richtig vorbei ist) besonders ausgeklügelt zu beweisen. Trotz aller Mängel ein packender und phasenweise beinahe unerträglich spannender Roman.

Jürgen Benvenuti

Russell Andrews - Icarus

ØØØ 1/2

(Icarus)


Aufbau Taschenbuch Verlag (Berlin 2004)

 

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