Print_Robert Ferrigno - Bis aufs Blut

Offene Rechnungen

Warum Geschichten über Serienmörder so hoch im Kurs stehen, bleibt ein Rätsel. Als Vehikel für spannende Subplots hingegen eignen sich diese Killer ganz hervorragend.    23.09.2004

Der Amerikaner Robert Ferrigno gehört zu der kleinen, in ihrer Zusammensetzung stetig wechselnden, aber ingesamt ständig existenten Gruppe von Autoren, die immer kurz vor dem Durchbruch stehen, diesen aber - aus diversen Gründen - nie so recht schaffen. Probleme mit dem Verlag, Unstimmigkeiten mit dem Lektor oder der sogenannte Zeitgeist, dieses laue Lüftchen, das die unangenehme Eigenschaft besitzt, sich manchmal in einen formidablen Gegenwind zu verwandeln, sind nur einige davon.

Soeben erschien Ferrignos neuer Roman mit dem Allerweltstitel "Bis aufs Blut" - ein Buch, das den Ruf des Autors als einer, der weit über der Masse der Krimischreiber steht, aber doch nicht auf deren Olymp sitzt, festigt. Zur Handlung: In L. A., kurz nach der Jahrtausendwende, schreibt der Sensationsjournalist Jimmy Gage für das Boulevardmagazin "SLAP" Geschichten über die Reichen und Schönen, die Berühmten und die Berüchtigten. Dabei ist seine Klinge eher groß denn fein, und wo Gage mit seinen Artikeln austeilt, da wächst so schnell keine Palme mehr an Kaliforniens smogverseuchten Stränden. Böse Leserbriefe ist er also gewöhnt.

Nach einem kapitalen Filmverriß bekommt Gage aber den Brief eines Irren, der sich Eggman nennt und die Verantwortung für sechs Morde übernimmt. Bei der Polizei sieht man die Sache anders. Von einem Serienmörder namens Eggman weiß niemand nichts, und es kommt sogar der Verdacht auf, Jimmy habe den Brief selbst verfaßt, um für Publicity zu sorgen. Hey, schließlich sind wir in Hollywood!

Jimmy schmeißt seinen Job hin und geht für ein Jahr ins Ausland. Wieder nach Los Angeles heimgekehrt, hängt er herum, schreibt Artikel über Wrestling-Kämpfe und läuft zufällig seinem Bruder Jonathan über den Weg. Jonathan ist ein erfolgreicher Schönheitschirurg und mittlerweile mit Olivia, Jimmys Ex, verheiratet. Zwischen den Brüdern besteht seit ihrer Kindheit eine erbitterte Rivalität, die sich oft in gefährlichen Wettkämpfen entlädt. So langsam dämmert es dem armen Jimmy, daß hinter dem geheimnisvollen Eggman möglicherweise niemand anderer als sein verhaßter Bruder stecken könnte. Oder doch nicht?

Unschlüssig wendet er sich an die Polizistin Jane Holt, die als einzige an die Existenz des Eggman glaubt. Und während Jimmy herauszufinden versucht, ob Jonathan ein mehrfacher Mörder ist, taucht die Vergangenheit in Form des verkrüppelten und äußerst rachsüchtigen Gangsters Lee Macklen und seines Leibwächters, der auf den Namen Great White ("Weißer Hai") hört, auf und lechzt nach Blut.

Leider gelingt es Ferrigno nicht, die beiden Handlungsstränge unter einen Hut zu bringen, dafür sind sie einfach zu verschieden. Vor allem die Geschichte mit dem Serienmörder funktioniert nicht richtig; sie ist unoriginell und fast schon lächerlich. Zudem scheint sich der Autor selbst nicht so richtig dafür erwärmen zu können. Spannend und sehr vielschichtig hingegen ist die Story um den geläuterten Drogensüchtigen, der von Macklen erschossen wird und so die ganze Geschichte eigentlich erst ins Rollen bringt. Manche dieser Passagen erinnern an George Pelecanos - kämpferische Zivilcourage meets Coolness -, was ja kein geringes Kompliment ist.

Ferrignos Stärken sind eindeutig seine originellen Figuren, sein bissiger, farbiger Stil und seine zum Teil schlicht großartigen Dialoge. Dagegen hapert es manchmal an der Dramaturgie, und ein Freund von bewährten Strukturen scheint der Autor auch nicht zu sein. Natürlich ist vor allem der Anfang, mit seinen vielen Anspielungen auf vergangene Ereignisse, seinen kursiv gesetzten Rückblenden und den beiläufig eingestreuten Kindheitserinnerungen technisch 1A, aber sehr lesefreundlich ist das nicht gerade - um nicht zu sagen, es ist sehr verwirrend.

Ferrigno vergißt nämlich eine der elementarsten Regeln des Schreibens: Eine Geschichte fängt mit dem Anfang an. Wenn man endlose Verweise aufs Vorher braucht, wenn es fast bis zur Hälfte des Buches dauert, bis man endlich weiß, worum es eigentlich geht, ist die beste Technik vergebene Liebesmüh. Eine schlichte chronologische Abfolge ist vielleicht weniger elegant, aber auf jeden Fall um einiges effektiver. Könnte Ferrigno sich einmal dazu herablassen, seine Geschichten sauber durchzuerzählen, mit dem Anfang am Anfang, der Mitte in der Mitte und dem Schluß am Schluß, und darüber hinaus einfach auf seine vielfältigen Stärken zu vertrauen (siehe oben), würde er vermutlich den Sprung von fast ganz oben nach endgültig ganz oben schaffen. Vergönnt wäre es ihm.

Jürgen Benvenuti

Robert Ferrigno - Bis aufs Blut

ØØØ 1/2

(Flinch)


Goldmann (München 2004)

 

Links:

Kommentare_

Print
Harlan Coben - Keine zweite Chance

Ihr Kinderlein kommet

Manchmal geraten dem etablierten Spezialisten für besonders ausgefuchste Geschichten seine Bücher zu konstruiert, manchmal, wie hier, trifft er voll ins Schwarze.  

Print
Jane Adams - Die Stimme der Toten

Worte statt Taten

Früher galt Agatha Christie als Inbegriff des englischen Kriminalromans, im Moment gibt Ian Rankin auf der Insel den Ton an. Adams versucht sich an einer Mischung aus beiden.  

Print
Jeffrey Deaver - Hard News/Der faule Henker

Herz und Hirn

Der fleißige Bestseller-Autor arbeitet gleich an mehreren Krimiserien. Wir stellen den Abschluß der Rune-Trilogie und den neuen Titel mit Lincoln Rhyme vor.  

Print
Russell Andrews - Icarus

Harter Aufprall

Als Schrecken ohne Ende entpuppt sich Jack Kellers Leben. Alle ihm nahestehenden Menschen werden ermordet. Und bei den Nachforschungen erfährt er mehr, als er wissen wollte ...  

Print
Thomas Gifford - Ultimatum

Starker Anfang, schwaches Ende

Die Literaturszene an sich ist schon mörderisch. Wenn dann noch ein Psychokiller auftaucht, sollte eigentlich für Spannung gesorgt sein. Irrtum.  

Print
Robert Ferrigno - Bis aufs Blut

Offene Rechnungen

Warum Geschichten über Serienmörder so hoch im Kurs stehen, bleibt ein Rätsel. Als Vehikel für spannende Subplots hingegen eignen sich diese Killer ganz hervorragend.