Print_Print-Tips 4/2009

Verbrechen lohnt sich

Wir wußten es ja immer schon: Ob in den österreichischen Alpen, im gmiadlichn Wien oder in der prototypischen amerikanischen Kleinstadt - kriminelles Tun hat dauernd Saison. Ob schnittfreudiger Ritualmörder, Einbrecher im Hormonstau oder urlaubende Videothekarin mit Mordgelüsten - sie alle haben nur eines im Auge: Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, aufs Vortrefflichste zu unterhalten! Wir präsentieren dreimal menschliche Schlechtigkeit, die sich gewaschen hat.

   16.06.2009

Thomas Fröhlich

Nora Miedler - Warten auf Poirot

ØØØØ

(Ariadne-Krimi im Argument-Verlag)

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Will ich so etwas wie Absolution von Ihnen? Könnte sein.

 

Die Videothekarin Charlie hat´s nicht leicht. Ihr Leben ist nicht gerade von Erfolg geprägt, ihre Familie ist eine wandelnde Katastrophe, und vor gar nicht allzulanger Zeit hat es sie auch noch in eine Nervenklinik verschlagen. Und daß sie noch dazu in den Bruder ihrer intriganten Freundin Rita verliebt ist, macht das Leben auch nicht angenehmer, da diese Zuneigung nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit beruht.

Da scheint ein Neujahrs-Kurzausflug mit vier Jugendfreundinnen in die österreichischen Alpen wenigstens eine willkommene Abwechslung zu versprechen - allerdings mehr Abwechslung, als ihr lieb ist. Denn gleich nach Bezug ihrer einsam gelegenen (was sonst?) Berghütte kommt ein wuchtiger Schneesturm auf, der die fünf jungen Frauen völlig von der Außenwelt abschneidet. Keine Sicht, kein Handy-Empfang ... und ein Mord. Natürlich mit der Erkenntnis, daß eine von ihnen die Mörderin sein muß.

Was folgt, ist ein Setting, wie wir es von Agatha Christie kennen: ein klassischer Whodunit, allerdings einer, der atmosphärisch eher an "In 3 Tagen bist du tot" als an die distinguierte Welt untergegangener britischer Noblesse erinnert. Was nämlich wie ein etwas seifiger Zickenkrieg beginnt, wandelt sich unversehens in einen mit Survival-Horror-Elementen abgeschmeckten klaustrophobischen Thriller, der nicht nur die Psyche der Protagonistinnen freilegt.

Mit Warten auf Poirot legt die Wiener Schauspielerin Nora Miedler einen schnörkellosen Debütroman hin, dem man seine Debüthaftigkeit allerdings keine Zeile lang anmerkt. Natürlich hat Miedler nicht das Rad der Krimiliteratur neu erfunden - doch mixt sie (scheinbar) bekannte Sujets zu einem eigenständigen und spannenden Genreeintrag, der etwas darstellt, was in hiesigen Landen immer noch Seltenheitswert hat: eine gute Geschichte, und die auch noch gut erzählt.

Patient tot - Operation gelungen.

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Günter Brödl - Kurt Ostbahn: Blutrausch

ØØØØØ

(Milena Verlag)

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Wir, der Brödl und ich, mischen Dichtung und Wahrheit im Verhältnis 1:1. Es kann stimmen oder auch nicht.

 

Wir, das ist neben Günter Brödl zu 50 Prozent besagter Kurt Ostbahn, um dessen Leben und Wirken es in diesem Buch, dem ersten von insgesamt sechs Ostbahn-Krimis, geht. Doch nicht etwa um dessen "offizielles" Leben, wie man es aus zahllosen Konzertmitschnitten, Interviews und legendenbildenden Radiosendungen kennt, o nein! Vielmehr erfährt der geneigte Leser, was ein Rock´n´Roll-Musikant tut, wenn er nichts tut, außerhalb der Saison sozusagen. Da gerät er nämlich in einen Mahlstrom aus Mord, Totschlag, Laster und Perversion jeglicher Art. Obwohl das alles eigentlich recht unspektakulär beginnt: nämlich im Stammcafé des Herrn Kurt. Eigentlich will der ja nur sein Bier und einen Fernet dazu trinken. Doch dann tobt der Wickerl durchs Lokal, bedroht den Wirt mit einem Messer und läuft schlußendlich davon. Was weiter noch nicht so bemerkenswert wäre, risse nicht eine Blutspur auf dem Gehsteig vorm Café den Kurt beim Nachhausegehen aus seinen friedvoll-trunkenen Gedanken. Und daß am Ende der Spur der Wickerl liegt, zumindest das, was noch von ihm über ist, sorgt nicht nur beim Titelhelden für eine akute Entleerung des Magens.

Und das ist erst der Anfang.

Mit Hilfe des Trainers (Brödl) und eines gewissen Dr. Trash versucht Kurt Ostbahn Licht in eine überaus dunkle Angelegenheit bringen, die finstere Satanisten, perverse Sexmaniacs, grausame Mordgesellen und entmenschte Metal-Musiker sowie "die Sensation" umfaßt - letztere eine Frau wie Kurts Träumen entsprungen - ob allerdings Alp- oder Wunsch-, sei dahingestellt.

Nach mehr als 15 Jahren wurde also nun der erste Ostbahn-Krimi des im Jahre 2000 verstorbenen Günter Brödl dankenswerterweise vom Milena-Verlag neu aufgelegt. Und es ist - rückblickend - mehr als erstaunlich, daß es tatsächlich einmal Krimis Wiener Provenienz gab, die sich nix g´schissen haben und für die der Begriff political correctness nicht einmal einen Nasenrammel wert war. Blutrausch ist auf jeden Fall eine vergnügliche Reise ins dunkle Herz Wiens, aber mit Schmäh, Alk und literweise Körpersäften jeglicher Art gepflastert.

Und daß das Buch einem gewissen Peter Hiess gewidmet ist, sagt sowieso schon alles.

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Jack Ketchum - Hide and Seek

ØØØØØ

(Gauntlet Press)

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I don´t believe in omens but I think you can know when you´re in trouble.

 

Dead River ist nicht gerade eine Metropole. Eher das genaue Gegenteil: eine Kleinstadt, die sich von der Zeit der Großen Depression nie ganz erholt hat. Verschlafen und eintönig - zumindest für den jungen Dan, der als Holzfäller sein Leben fristet, schlecht bezahlt und ohne den Hauch einer Möglichkeit, jemals aufs College zu gehen. Oder auch nur Gleichgesinnte zu finden, mit denen er über seinen Lieblingsautor Dostojewski reden kann. Bleibt ihm nur übrig, mit Freunden Bier zu trinken und sich darauf einzustellen, nie etwas anderes zu tun, zu erleben oder gar wegzugehen. Doch eines Tages taucht ein Trio wohlhabender Gleichaltriger in der Stadt auf, allen voran die bezaubernde Casey, um hier mit ihren Eltern den Sommer zu verbringen. Und dieser Sommer wird Dans Leben verändern. Nachhaltig. Dan verliebt sich augenblicklich in Casey. Doch die ist spröde und hält Dan auf Distanz, obwohl sie ihn augenscheinlich mag. Zu dritt hecken sie jede Menge mehr oder weniger harmloser Dummheiten aus: kleinere Supermarktdiebstähle, mit gestohlenen Autos die Landstraßen unsicher machen, verbotenes Nacktbaden im Meer. Aber all der sommerlich-jugendlichen Unbekümmertheit zum Trotz liegt ein Schatten über Caseys Vergangenheit. Und als sich dieser zu lüften beginnt, vermeint Dan den Blick in eine ihm unbekannte Teenager-Hölle zu tun. Dabei hat das wahre Grauen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht begonnen. Das setzt nämlich ein, als Casey vorschlägt, in einem verlassenen Haus Verstecken (also Hide and Seek) zu spielen ...

Hide and Seek ist Jack Ketchums zweite längere Erzählung. 1984 erstmals, allerdings ohne nennenswerte Unterstützung durch den Verlag erschienen, ist sie eine coming of age-Geschichte, die den Leser lange Zeit in scheinbarer Sicherheit wiegt und mit einem (auch für Ketchum-Kenner) verstörend konsequenten Schluß aufwartet, wie er überraschender nicht sein könnte. Obgleich in seiner ökonomischen Erzählweise ein kleines Meisterwerk, galt diese Mischung aus Idylle und ultimativem Schrecken in den frühen 80ern offensichtlich als zu gewagt. Deshalb ist es besonders erfreulich, daß Gauntlet Press diese Story, die jahrelang nicht lieferbar war, nun neu aufgelegt hat.

Für Ketchum-Fans sowieso ein Pflichtkauf, für alle anderen ein wunderbarer Einstieg in die blutrote Welt des Jack Ketchum.

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