Print_Peter James - Stirb ewig

Stirb schneller

90 Minuten dauerte einst spannendes Kino - heute scheint das unmöglich. Ein Drehbuchautor geht leider auch bei seinem Roman unnötig in die Verlängerung.    04.07.2006

Ein Leben als Filmproduzent und Drehbuchautor in Hollywood, ein Anwesen in Sussex, eine Radiosendung auf BBC und dazu die obligatorischen schnellen Autos: Peter James hat so einiges erreicht - urteilt man nach den Maßstäben maskulinen Imponiergehabes.

In den frühen 70er Jahren verfaßte der gebürtige Brite (Jahrgang 1948) einige Drehbücher für TV-Serien und Filme in den USA. Zudem betätigte er sich erfolgreich als Produzent einiger Kinowerke (zum Beispiel als Executive Producer von "Der Kaufmann von Venedig" mit Al Pacino) und hatte eine Zeit lang eine eigene Radiosendung, die sich mit seinem Lieblingsthema beschäftigte: dem Paranormalen.

Ein erfülltes Leben, könnte man sagen - doch James wollte es doch noch einmal wissen: Er kehrte in seine Heimat zurück und wurde Schriftsteller, der bisher einige Thriller fabriziert hat. Einer davon ist der vorliegende Roman "Stirb ewig".

In dieser teilweise rasant geschriebenen Story hat Protagonist Michael Harrison Furchtbares durchzustehen. An seinem Junggesellenabend rächen sich seine Freunde für all die "lustigen" Ideen, die er sich für deren Abschied aus dem Single-Leben einfallen ließ. So kettete er zum Beispiel seinerzeit einen der Freunde mit Handschellen betrunken in einem Zug fest. Als dieser am nächsten Morgen - dem Tag seiner Trauung - erwachte, befand er sich in Edinburgh statt in London, wo seine Zukünftige verzweifelt im Brautkleid vor dem Altar wartete.

Vier der Jungs gehen mit Michael ordentlich einen heben, warten, bis er stockbesoffen im Auto eingeschlafen ist und fahren mit ihm in den Wald. Dort begraben sie ihn - lebendig natürlich. Die Grabbeigaben sind ein Schlauch zum Atmen, eine Flasche Whiskey, ein Sexheftchen und ein Walkie-Talkie. Bevor Michael die Situation überhaupt erfassen kann, ist er auch schon verscharrt, und die vier Spaßvögel machen sich auf den Weg, um die Sauftour fortzusetzen. Blöd nur, daß sie mit dem Auto auf halber Strecke tödlich verunglücken. Zumindest vier von ihnen; der fünfte Kumpel, Mark, auf dessen Mist die Beerdigung Michaels ursprünglich gewachsen war, konnte bei dem Spaß nicht dabei sein, da er von einem Termin verspätet nach Hause kam.

Nachdem Michael seinen Rausch halbwegs ausgeschlafen hat, wird ihm bewußt, wo er sich befindet, und er bekommt es mit der Angst zu tun. Das liegt nicht zuletzt daran, daß sich auf seine Hilferufe ins Walkie-Talkie niemand meldet - außer einem gewissen Carey. Der leicht zurückgebliebene Junge hat das Funkgerät gefunden, als er und sein Vater - stolzer Besitzer eines Abschleppdienstes - das Autowrack bargen, in dem Michaels Freunde ums Leben gekommen sind. Aufgrund seiner Behinderung begreift Carey den Ernst der Lage nicht und denkt, alles sei ein Spiel. So schreit sich der arme Michael die Seele aus dem Leib, ohne gerettet zu werden.

Bis zu diesem Punkt fiebert man mit, und Peter James schafft es, die Spannung aufrecht zu erhalten. Wie ein Film läuft die Geschichte vor den Augen des Lesers ab - bei einem professionellen Drehbuchautor als Verfasser kein Wunder. Leider ist dies auch die Stelle, an der James an einer an sich guten Story unnötig herumzudoktern beginnt. Sein Hang zum Paranormalen kommt hier zum Tragen. Kurz - es beginnt die alte Geschichte, die man schon tausendmal im Fernsehen gesehen hat: ein Cop, ein Medium, ein Vermißter. Den Rest kann man sich vorstellen.

Was viele Blockbuster zur Zeit betreiben, indem sie aus einem 90-Minüter krampfhaft einen Zwei-Stunden-Streifen zu machen versuchen, überträgt Peter James auf den Roman. Nach einem packenden ersten Teil, der den Leser kaum losläßt, folgen zahlreiche Seiten, die man nur noch überfliegt. "Stirb ewig" ist demnach ein recht akzeptabler Thriller, der auf halbem Weg ein bißchen abstürzt. Als Taschenbuch ist das Werk aber auf jeden Fall für den Nichtsommer geeignet.

Nikolaus Triantafyllidis

Peter James - Stirb ewig

ØØØ 1/2

(Dead Simple)


Scherz (Frankfurt am Main 2006)

 

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