Print_Andy McNab - Die Abrechnung

Rumble in the Jungle

Während sich Tom Cain, der Shooting Star des Polit-Thrillers, letztens etwas zu sehr in einer breitgetretenen Liebesgeschichte verlor, legt sein Kollege - der superharte britische Ex-SAS-Soldat - in seinem neuen Krimi wieder ordentlich los. EVOLVER-Rezensent Martin Compart entdeckt erstaunliche Parallelen.    31.03.2010

Nick Stone, der Protagonist von Andy McNabs "Die Abrechnung", ist permanent von Schudgefühlen getrieben - wie sich das für einen ordentlichen Krimihelden gehört. Doch nun scheint ihm endlich einmal das Glück zu lachen. Seine Freundin Silke ist die deutsche Stieftochter eines Milliardärs. Und die Schweizer Stadt Lugano, wo er mit ihr zusammenlebt, gefällt ihm auch ganz gut: "An leberfleckigen Handgelenken baumelten genug Gold und Diamanten, um die Staatsschulden eines Entwicklungslandes zu bezahlen und Bob Geldof genug Kleingeld für einen Haarschnitt übrig zu lassen." Silke und ihr Vater wohnen natürlich in bester Lage mit Blick auf See und Bankenviertel. "Manchmal fragte ich mich, ob Stefan dieses Haus gewählt hatte, weil sein Geld dort unten im Tresorraum einer Bank lag und er die ganze Nacht am Fenster sitzen und beobachten konnte, wie sich Zinsen ansammelten."

Natürlich ist der Herr Papa ein Riesenarschloch. Der Ex-Special-Force (SAS)-Mann McNab weiß schließlich nur zu gut, für welche Kretins er 19 Jahre lang sein Leben riskiert hat und wie er ununterbrochen von den Regierenden verarscht wurde. Silke hat den weit verbreiteten Schuldkomplex ihres Milieus, tut aber etwas dagegen, indem sie für eine weltweit operierende Hilfsorganisation arbeitet. Eines Tages jedoch verschwindet sie ohne ein Wort. Nick, den der Stiefvater sofort rausschmeißt, erfährt das Ziel ihrer Mission: die Provinz Ituri im Ost-Kongo. Und er findet auch heraus, daß just dieses Gebiet mit seinen Minen das Ziel einer Großoffensive von Joseph Konys Rebellengruppe Lord´s Resistance Army ist.

Kony sollte man googeln. Er ist momentan der wahrscheinlich durchgeknallteste Menschenfresser, der in Afrika kein offizielles Amt einnimmt. Mit seinen Kindersoldaten aus Uganda will er einen Staat gründen, der nach den Zehn Geboten ausgerichtet ist. "Der Typ war so durchgedreht, daß er glaubte, Fahrräder dienten nur dazu, die Behörden über seinen Aufenthalt zu informieren - wer mit einem Fahrrad erwischt wurde, bekam die Füße abgehackt. Und jetzt schien er seine Aufmerksamkeit auf den kongolesischen Bergbau zu richten."

Nick zögert nicht lange. "Ich wußte nur, daß ich Silke aus dem Scheißland holen wollte." Er mobilisiert alte Söldnerkontakte, reist in den Kongo und tut, was ein Mann tun muß - und das so authentisch, wie es nur jemand mit McNabs Background schreiben kann. Der Plot erinnert allerdings etwas an den zweiten Teil meines Romans "Die Lucifer Connection". Da mußte ich einmal tief Luft holen - hat es ein Andy McNab wirklich nötig, in meinen Schubladen zu wühlen? Mit seiner Ausbildung hätte er das durchaus hinkriegen können ... Aber nein, in England ist der Roman bereits 2006 erschienen. Also werde ich vielleicht künftig mit dem Vorwurf leben müssen, von "Die Abrechnung" inspiriert worden zu sein (obwohl ich das Buch während des Schreibens noch gar nicht kannte). Aber irgendwie sind die beiden Romane dann ja doch sehr unterschiedlich - und McNab ist zweifelsohne der bessere Autor.

   Seine zynischen Nick-Stone-Thriller sind eine Synthese aus Ian Fleming und Eric Ambler. Andy McNab ist sehr stark in der Analyse zeitgenössischer Konflikte, die er wie einst Forsyth geschickt als Katalysator für die Handlung einsetzt. Er schreibt wahrscheinlich die besten Action-Szenen im aktuellen Polit-Thriller; sie atmen alle die Erfahrungen des Exspezialisten, der 1993 als höchstdekorierter Soldat der britischen Armee aus dem Dienst schied. Mit seinen Erinnerungen an den Irak-Krieg ("Bravo Two Zero", verfilmt mit Sean Bean) gelang ihm der Durchbruch; es ist das meistverkaufte Kriegsbuch aller Zeiten. Und mit jedem neuen Thriller scheffelt er Millionen. Als aktiver Soldat war der Autor einst Gefangener Saddam Husseins und wurde zwei Monate lang gefoltert. Er steht immer noch auf der Todesliste verschiedener Organisationen, und niemand kennt sein Bild: Im Fernsehen oder bei Lesungen tritt er nur maskiert auf (oder wird im Schatten abgefilmt). Der eifrige Autor - er schreibt pro Jahr mindestens zwei Bücher und unzählige Artikel - gehört in England zu den bekanntesten Personen; dort hat sich seine Autobiographie eine Million Mal verkauft!

   Außerdem ist er der Wegbereiter für etwas, das man inzwischen fast als ein Subgenre bezeichnen könnte: Thriller früherer Special-Forces-Angehöriger wie etwa Chris Ryan oder Mike Curtis. Im deutschsprachigen Raum pflegt ihn der Verlag Blanvalet seit geraumer Zeit, und seine Fangemeinde wächst. "Die Abrechnung" mit der fünfzigseitigen Schlachtszene zu Beginn ist ein guter Einstieg für neue Leser - aber um die volle Droge zu bekommen, sollte man die Stone-Thriller chronologisch von Anfang an lesen.

Martin Compart

Andy McNab - Die Abrechnung

ØØØØ

(Recoil)

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Blanvalet (D 2009)

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