Print_Lee Child - Wespennest

Gegen alle Übeltäter dieser Welt

Jack Reacher sucht keinen Streit. Falls er ihn allerdings findet, was mit schöner Regelmäßigkeit geschieht, kämpft er bis zum bitteren Ende - und zwar dem seiner Gegner.    23.05.2014

"Wespennest", der inzwischen 15. Reacher-Roman des Autors Lee Child, setzt nahtlos dort an, wo der Vorgängerband "61 Stunden" quasi offen endete. Quasi deshalb, weil´s nicht wirklich ein offenes Ende war. Die eigentliche Geschichte wurde zu Ende erzählt, einzig eine Frage blieb: Hat Reacher die Explosion im Bunker überlebt oder nicht?

Natürlich hat er. Mit fürchterlichen Muskelzerrungen zwar, aber die halten ihn nicht von seinem Vorhaben ab, der netten Telefonstimme, die ihm über "61 Stunden" hinweghalf, nach Virgina zu folgen.

Mittlerweile ist er bis Nebraska gelangt, wo er sich zu später Stunde in einem ablegenen Kaff, in dem es nichts weiter gibt als öde Farmen und ein noch öderes Motel, ein Zimmer für die Nacht genehmigt. Dummerweise betrinkt sich an der Motelbar gerade der Dorfarzt, der jegliche Hilfe verweigert, als er zu einer kranken Frau gerufen wird. Also zwingt Reacher den Arzt zur Visite. Beim Anblick von Eleonor Duncan zeigt sich, daß ihrem Ehemann Seth nicht zum ersten Mal die Hand a ausgerutscht ist. Reacher stattet dem Schläger im örtlichen Steakhouse einen Besuch ab und bricht ihm die Nase. Das wiederum ruft Seths Vater und dessen Brüder auf den Plan - die Familie Duncan, die seit Jahrzehnten über den Ort herrscht und eine solche Einmischung keinesfalls akzeptieren darf. Deshalb hetzt sie Reacher gleich ein paar stiernackige Schlägertypen auf den Hals.

Ein großer Fehler.

 

An dieser Stelle darf die Frage erlaubt sein, weshalb Reacher sich überhaupt in das Ehedrama einmischen mußte. Oder warum er der mißhandelten Frau nicht anderweitig helfen konnte. Oder auch, wieso er - nachdem er ihrem Mann eine ordentliche Abreibung verpaßt hat - nicht einfach seine Zahnbürste eingepackt hat und weitergereist ist, seinem eigentlichen Ziel in Virgina entgegen.

Doch erstens ist Reacher durch und durch ein Gutmensch und zweitens lebt er in einer Welt, "in der man keinen Streit suchte, aber jeden Kampf, der einem aufgezwungen wurde, zu Ende brachte - siegreich beendete -, und war der Erbe einer über Generationen hinweg durch bittere Erfahrungen erworbenen Erkenntnis, daß man einen Kampf am schnellsten verlieren konnte, wenn man ihn für vorzeitig beendet hielt".

Also nimmt er den Kampf auf, der mit fortschreitender Zeit immer größere Kreise zieht, denn Reacher hat - nomen est omen - in ein wahres Wespennest gestochen. Im abgelegenen Nebraska nämlich steht die Familie Duncan nur am Anfang einer langen Nahrungskette, deren kriminelle Glieder durch Reachers unerbittliches Auftreten nun der Reihe nach auf den Plan gerufen werden.

Das wiederum hat etwas von einer Screwball-Komödie. Es wirkt fast witzig, wie die verschiedenen Gaunerparteien aus Las Vegas, Libyen und dem Iran im fremden Farmersland verzweifeln, sich gegeneinander ausspielen - und zu guter Letzt von Reacher ausgeschaltet werden, der trotz aller Blessuren, die er sich zuzieht, mit überraschendem Humor taktiert. Oder sollte man sagen: Galgenhumor?

Zum Beispiel, als er auf das erste Hindernis trifft - einen großen Mann, "fast so groß wie Reacher selbst, aber viel jünger, vielleicht etwas schwerer, mit gewisser primitiver Intelligenz im Blick. Kraft und Hirn. Eine gefährliche Kombination. Reacher bevorzugte die gute alte Zeit, in der Muskelmänner dumm gewesen waren. Daran war das heutige Bildungssystem schuld. Daß man Sportler dazu zwang, Vorlesungen zu besuchen, hatte seinen genetischen Preis."

Die Welt, durch die sich Reacher bewegt, mag sich verändert haben. Das hat sein Schöpfer bereits in früheren Abenteuern thematisiert, in denen der Held fassungs- und ahnungslos vor neuer Technik steht, die zugleich auch neue Bedrohungen bedeutet. Gleichwohl hat sich Reachers Welt keinen Deut geändert: Er ist und bleibt Ermittler, Richter und Henker in Personalunion. Damit mag er, während er die Übeltäter der Reihe nach ins Jenseits befördert, einer fragwürdigen Moral folgen - andererseits erweist sich diese nach wie vor als das probateste Mittel gegen alle Übeltäter dieser Welt.

"Reacher war von Experten ausgebildet worden, die einem so schnell das Genick brechen konnten, daß man erst merkte, was passiert war, wenn man mit dem Kopf nickte und ihn ganz allein die Straße davonrollen sah."

Und irgendwie verzeiht man Reacher diese erbarmungslose Härte, denn erstens erwischt er nur die, die es sowieso verdient haben. Und zweitens hat genau das bei ihm immer wieder einen großen Unterhaltungswert.

Marcel Feige

Lee Child - Wespennest

ØØØØ

(Worth Dying For)

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Blanvalet (D 2014)

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Kommentare_

Alexander - 28.05.2014 : 16.14
Wieder eine fundierte und witzige Kritik von Hrn. Feige. Ich habe das Buch schon vor drei Jahren auf Englisch gelesen und fand es ganz gut. Der Vorgänger "61 Stunden" gefiel mir allerdings besser.
Gestört hat mich beim "Wespennest" der etwas zu lang geratene Showdown, an dessen Stelle ich mir lieber eine Vertiefung des multinationalen Gegenübers von unserem Held Jack gewünscht hätte.

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