Print_Leïla Marouane - Entführer

Gestohlene Leben

Ein packender, mit schwarzem Humor angereicherter Roman über eine zerfallende algerische Familie läßt den Leser zwischen Lachen und Weinen schwanken.    23.10.2003

Was tut ein reicher algerischer Reeder, Vater von sechs Töchtern und einem Sohn, der gerade im Jähzorn seine Frau verstoßen hat? Er versucht das islamische Recht zu überlisten. Zu diesem Zwecke verheiratet er seine Frau mit dem Nachbarn und wartet darauf, daß dieser seinerseits die neue Gemahlin aus dem Haus wirft, damit die dann reumütig zu ihrer Familie zurückkehrt. Doch besagter Reeder Aziz Zeitoun hat nicht damit gerechnet, daß sein Plan schiefgehen könnte. Der Nachbar - ein Schriftsteller - muß nämlich aus Algerien flüchten und nimmt Frau, Stiefsohn und Schwiegertochter gleich mit. Zurück bleiben die 19jährige Erzählerin Samira, ihre zahlreichen jüngeren Schwestern, die sie nun versorgen muß - und der aus Verzweiflung trinkende, unberechenbare Vater.

So flott beginnt Leïla Marouanes Roman "Entführer", und die Spannung läßt nur wenig nach im Laufe der Lektüre. Was sich jedoch bald ändert, ist der Ton, in dem die Autorin über die Geschehnisse rund um die Familie Zeitoun berichtet. Der ironische Witz weicht bald schwarzem Humor, und der Leser ist hin- und hergerissen zwischen Lachen und Weinen. Hinter der lächerlichen Figur des gehörnten Vaters steckt ein egoistischer Mann, der schon viel früher begonnen hat, seine Familie zu zerstören. Algerisches Alltagsleben, die Situation der Frau in der islamischen Welt, Lüge, Heuchlerei und Brutalität bilden die Kulisse dieser Tragikomödie. Dabei verzichtet Autorin Marouane auf Kritik an ihrem Heimatland und auf unnötiges Pathos; ihre Story lebt von den Charakteren ihrer Figuren und zeigt das beklemmende Bild einer scheiternden (Familien-)Gemeinschaft.

Tanja Korn

Leïla Marouane - Entführer

ØØØØ

(Ravisseur)


Haymon-Verlag (Innsbruck 2003)

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