Print_Kurt Bauer - Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen

"Wenn morgen, Montag, in einer oberösterreichischen Stadt mit einer Waffensuche begonnen wird (...)"

Am 12. Februar 2018 jährte sich der Aufstand von Teilen der österreichischen Sozialdemokratie gegen die Regierung Dollfuß zum 85. Mal. Das 2017 abgehängte Dollfuß-Porträt im Parlament, die heute noch nach Aufständischen benannten Plätze und Bauwerke, Gedenktafeln für die linken Kämpfer und die regelmäßige mediale Wiederkehr des Themas beweisen: Das Ereignis ist uns näher, als es auf den ersten Blick scheint.    21.02.2019

Nach vier Jahren Weltkrieg mit Millionen Toten hatten das Haus Habsburg und weitere europäische Adelshäuser jeglichen Anspruch auf Machterhaltung verspielt und politisch ausgedient. Am 12. November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich ausgerufen, die eine Reihe revolutionärer Gesetze erließ und damit sozialpolitische Meilensteine wie das Wahlrecht für Frauen, den Achtstundentag, die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung, Urlaubsanspruch für Arbeiter und Arbeiterinnen, Abschaffung der Todesstrafe etc. setzte.

Doch die politischen Lager mißtrauten einander. Die Linke träumte von Klassenkampf und Sozialismus. Die konservative Rechte, die in den ersten Jahren der Ersten Republik ohne Nationalsozialismus zu denken ist, fürchtete nichts mehr als russische Verhältnisse (Stichwort Roter Terror durch die Bolschewiki) und kokettierte zunehmend mit faschistischem Gedankengut. Die Sozialisten unterhielten mit dem Republikanischen Schutzbund, die Gegenseite mit den Heimwehren bewaffnete Verbände. Immer wieder kam es zu Zusammenstößen.  

Doch selbst als Engelbert Dollfuß, der spätere Gottseibeiuns der österreichischen Sozialdemokratie, 1932 Bundeskanzler wurde, bedeutete das noch nicht das Ende der Demokratie. Er galt den Sozialisten als "aufrechter Demokrat". Allerdings wandte sich Dollfuß zunehmend autoritären Ideen zu und begann im März 1933 mit dem Abbau der Demokratie. Auf ein Versammlungs- und Aufmarschverbot und die Vorzensur der Presse folgten das Verbot des Republikanischen Schutzbundes und der Kommunistischen Partei, das Verbot des Maiaufmarsches und andere Demütigungen der Arbeiterschaft und ihrer Parteien. Annäherungsversuche der Sozialisten schlug Dollfuß wiederholt aus.

 

Auf wenigen Seiten führt der Historiker Kurt Bauer in diese Situation ein (wenn man mehr wissen möchte - in letzter Zeit sind einige Werke über die Erste Republik erschienen), um sich dann der unmittelbaren Vorgeschichte, den einzelnen Tagen des Aufstands und seinen Nachwirkungen zu widmen: Ende Jänner, Anfang Februar 1934 begann die Polizei mit systematischer Suche nach Waffen in sozialdemokratischen Einrichtungen und verhaftete rund 200 Personen aus dem Führungskader des Schutzbundes.

Vizekanzler Emil Fey hielt am 11. Februar seine "Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten"-Rede. Eine Gruppe des oberösterreichischen Schutzbundes schickte ebenfalls am 11. Februar einen Brief an hochrangige Wiener Genossen, in dem die Oberösterreicher im Fall einer weiteren Waffensuche in einer oberösterreichischen Stadt gewaltsamen Widerstand ankündigten. Als am Morgen des 12. Februars Polizeikräfte in das Linzer Hotel Schiff eindrangen, eröffnete der Schutzbund das Feuer. Bereits nach wenigen Minuten wurden die wichtigsten Führer des oberösterreichischen Schutzbundes verhaftetet.

In Wien beschlossen die Genossen den Generalstreik als Zeichen zum Beginn des Aufstands auszurufen - doch nur wenige Betriebe folgten dem Aufruf. Ungeklärt ist, wie viele Schutzbündler es von vornherein vorzogen, nicht zu kämpfen. Für Wien gibt es die zeitgenössische Schätzung, daß sich von 20.000 bis 25.000 potentiellen Mitgliedern 8.000 bis 10.000 am Kampf beteiligten. Die Regierung verhängte das Standrecht, besetzte widerstandslos das Rathaus und löste den Wiener Gemeinderat auf. Größere Kämpfe gab es in Linz, Wien, Graz, Steyr, der Bergarbeitersiedlung Holzleithen, Bruck an der Mur, Kapfenberg und Leoben. Otto Bauer und Julius Deutsch, die Führer des Kampfes, setzten sich am 13. Februar abends in die Tschechoslowakei ab. Im Wesentlichen war der von vornherein aussichtslose Aufstand am 14. Februar abends niedergekämpft.

Das Regime Dollfuß antwortete mit neun vollstreckten Todesurteilen, dem Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der ihr angeschlossenen Organisationen und Gewerkschaften und einer enormen Verhaftungswelle (bis Februar 1935 waren es 9.700 Verhaftungen). Es folgten Nazi-Terror und ein nationalsozialistischer Putschversuch, das Andocken von enttäuschten Sozialisten bei der illegalen KPÖ - und auch bei den Nationalsozialisten. Ehemalige Schutzbündler und deren Sympathisanten flohen zu Hunderten in die Tschechoslowakei und die Sowjetunion, viele nahmen später am Spanischen Bürgerkrieg teil.

 

Ein großer Teil des Buches widmet sich einer statistischen Einordnung der Opfer des Aufstands und deren biographischer Erfassung. Das Buch entstand aus einem 2012 bis 2014 laufenden Forschungsprojekt, das die Anzahl der Todesopfer des Februaraufstandes 1934 zu klären trachtete - denn diese war zuvor nie wissenschaftlich erhoben worden. Die bis dato in der Literatur genannten Opferzahlen schwanken zwischen ein paar Hundert bis hin zu einigen Tausend. Kurt Bauer erarbeitet 357 namentlich bekannte Todesopfer unter den Aufständischen, der Gegenseite und unbeteiligten Personen - und geht nach Überprüfung unklarer Fälle davon aus, daß die meisten Todesopfer unbeteiligte "Nicht-Kombattanten" gewesen sind.  

Besonders spannend ist das Kapitel "Mythen, Legenden, offene Fragen", das Fragen beantwortet und Überlegungen anstellt, die in Österreich noch heute für erbitterten Streit sorgen können. Zum Beispiel: Wurde der Aufstand vom Dollfuß-Regime provoziert? Ziemlich sicher ja. Handelte es sich um einen tatsächlichen Bürgerkrieg? Nein, dazu war der Aufstand lokal zu begrenzt. Sind die Bauten des Roten Wien von vornherein als Festungen errichtet worden? Nein, mit den Bauten betrieb die Sozialdemokratie Sozialpolitik "und bestimmt nicht Wehrpolitik".

Kurt Bauer gelingt es, den Februaraufstand kurz, bündig und spannend wie einen Krimi darzustellen. Die Schlüsse, die er zieht, möge sich jeder selbst erlesen. Für Kontroversen ist jedenfalls gesorgt: Der heute noch zentralen Frage oder Feststellung, ob oder daß die Aufständischen für die Wiederherstellung der parlamentarischen Demokratie kämpften, entgegnet er nämlich, unterlegt mit zahlreichen Quellen, mit "bestimmt nicht!"

Letztlich ist das aus heutiger Sicht vielleicht auch gar nicht mehr so wichtig. Tatsache bleibt: Die Linke erhob sich gegen das faschistoide System Dollfuß. Vermutlich hätte sie sich gegen die Demokratie nicht erhoben. Die Linke hat den Kampf verloren. Und was daraufhin 1934 bis 1945 passiert ist, ist allgemein bekannt.  

Martin Zellhofer

Kurt Bauer - Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen

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