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Schmauchspuren #50

Warren Ellis ist längst nicht mehr nur im Comics-Busineß bekannt, sondern auch in der Noir-Welt der Kriminalromane. Und zwar derart schräger, daß selbst Profis und Klassiker nur schwer mithalten können - findet Peter Hiess in seiner 50. Krimikolumne.    07.03.2016

Peter Hiess

Warren Ellis - Gun Machine

Heyne Tb. 2013

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Ein New Yorker Polizist, dessen Partner im Einsatz umkommt. Ein Serienkiller, der Hunderte Menschen erschossen hat. Und dann die Geschichte, wie der einsame Ermittler zusammen mit ein paar Sidekicks und gegen eine Verschwörung der Mächtigen den Fall klärt.

Hat man alles schon tausendmal gelesen? Vielleicht - aber garantiert nicht so. Und ganz bestimmt nicht von einem Schriftsteller wie Warren Ellis, dessen meisterhafte Comicserie "Transmetropolitan" schon vor Jahren bewies, daß er Genregrenzen stets überraschend transzendieren kann. Sein Romandebüt "Gott schütze Amerika" erging sich eventuell noch etwas zu sehr in Skurrilitäten, doch mit "Gun Machine" zeigt er, wie sattelfest er auch hier längst geworden ist. Der obige Detective entdeckt die Trophäenkammer des besagten Killers: eine Wohnung, in der 200 Mordwaffen kunstvoll arrangiert sind. Damit hat er ganz allein einen Fall in der Hand, den eigentlich niemand aufgeklärt haben will ... Nur zwei völlig durchgedrehte Kriminaltechniker stellen sich an seine Seite und jagen den psychotischen Killer, der halb in der Gegenwart und halb in der indianischen Vergangenheit Manhattans lebt.

Zwischendurch demonstriert Ellis sein umfassendes Wissen um Popkultur und die Science-Fiction-Technik - von Überwachung bis zu Computer-Börsendeals - die uns heute sowie zehn Minuten in der Zukunft allerorten umgibt. Schwarzer Humor, gelungene Dialoge und geschickt eingesetzte Gewaltszenen machen "Gun Machine" zum Buch der Saison, ob im englischen Original (empfohlen) oder in der Übersetzung.

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Kriminelles Quartett


Cody McFadyen - Die Blutlinie/Der Todeskünstler/Das Böse in uns/Ausgelöscht

Bastei-Lübbe Tb. 2012/2013

 

Daß auch in einer Jubiläumskolumne wie dieser nicht nur Highlights vorkommen können, ist angesichts des aktuellen Krimimarkts logisch. Doch der Verlag Bastei-Lübbe wird wohl seine Gründe gehabt haben, die ersten vier Romane des US-Autors Cody McFadyen um seine Heldin Smoky Barrett neu aufzulegen. Smoky ist FBI-Agentin, logischerweise auch gleich am Beginn ihrer literarischen Karriere schwer traumatisiert, und fortan stets hinter Serienmördern, gefährlichen Psychopathen und Hobby-Gehirnchirurgen her - und die Irren nehmen auch gezielt die Ermittlerin aufs Korn, was so gehäuft nicht nur unwahrscheinlich, sondern auch ein Klischee geworden ist. "Die Blutlinie" & Co. sind durchaus professionell und spannend geschrieben, erschöpfen sich aber zu oft in Emotionsausbrüchen und Alltagsbeschreibungen. Wahrscheinlich nicht umsonst in Deutschland beliebter als in den USA.

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J. J. Preyer im Doppelpack


Rosmarie Weichsler und das Lächeln des Teufels

Der Butler jagt das Rungholt-Ungeheuer

Ennsthaler Tb. 2013/Blitz Tb. 2013

 

Viel mehr Bekanntheit im deutschen Sprachraum hat Josef Preyer - ein alter Freund dieser Kolumne - verdient. Und da er soviel schreibt, hat die Leserschaft auch viele Gelegenheiten dazu, ihn besser kennenzulernen. Mit "Rosmarie Weichsler und das Lächeln des Teufels", Preyers erstem Lokalkrimi (der in seiner Heimatstadt Steyr spielt), stellt er eine neue Amateurdetektivin vor, ähnlich wie Miss Marple, aber mit mehr Ecken und Kanten. Und Witz. Den braucht sie auch, wenn sie den Mord am Intendanten der örtlichen Sommerspiele aufklären will. Im zweiten Preyer-Buch des Frühjahrs, "Der Butler jagt das Rungholt-Ungeheuer" (über den Mann, der aus rechtlichen Gründen nicht mehr "Parker" heißen darf), geht es um die Suche nach einer versunkenen Stadt im nordfriesischen Wattenmeer. Daß die Lady und ihr Butler dabei allerlei Grusliges, aber auch Kriminelles erleben, ist ein Markenzeichen der Serie - und auch hier wieder gut gelungen.

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James M. Cain - The Cocktail Waitress

Hard Case Crime (Titan Books) 2012

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Hard Case Crime liefert mit der Entdeckung eines unveröffentlichten Romans von Großmeister James M. "Wenn der Postmann zweimal klingelt" Cain eine ihrer bisher größten Leistungen. Cain (1892–1977) beschreibt in seinem letzten Werk "The Cocktail Waitress" eine der fatalsten Femmes der Noir-Geschichte: die junge Witwe Joan, die als Kellnerin arbeitet, muß sich zwischen zwei Männern entscheiden - einem ebenso wohlhabenden wie grauslichen Alten und einem attraktiven und aggressiven Jungen. Und das hat dann eben die üblichen, nicht gewaltlosen Folgen. Cains Roman hätte zwar noch etwas poliert gehört, aber dazu hatte der Autor halt keine Zeit. Historisch trotzdem wertvoll.

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Dan Simmons - Kalt wie Stahl

Festa Pb. 2013

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Dasselbe könnte man auch von der Joe-Kurtz-Trilogie des in allen Genres begabten Dan Simmons behaupten, der mit diesen Hardboiled-Krimis um den supercoolen Privatdetektiv Kurtz nur zeigen wollte, daß er das auch draufhat. Hat er. Und der Krieg zweier Mafiabanden im dritten Band "Kalt wie Stahl" wird dadurch mehr als eine pure Blutorgie. Bisher keine Aussetzer in der neuen Festa-Crime-Reihe. Das ist gut so.

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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