Print_Jess Walter - Die Agenda

Der einzige Zeuge

Wie die Hauptfigur im Roman des Pulitzer-Preisträgers und Krimiautors hat sich auch das Buch selbst zu verstecken versucht. In beiden Fällen ist dies nicht gelungen.    06.02.2007

Der Journalist Jess Walter schreibt einen Thriller - nicht seinen ersten, wohlgemerkt - und erhält dafür den Edgar Allan Poe Award. Der "Edgar", wie man ihn unter Insidern liebevoll nennt, ist unter Krimiautoren sehr begehrt, wird er doch von der Vereinigung Mystery Writers Of America verliehen. Spannungsexperten wie Ian Rankin, Joe R. Lansdale und John Le Carre dürfen die kleine Statuette, deren Aussehen dem Erfinder der Kriminalgeschichte schlechthin, Edgar Allan Poe, nachempfunden ist, bereits ihr eigen nennen.

Trotz der Auszeichnung rief die Frage nach Walters Roman "Die Agenda" bei den Verkäufern in der Krimiabteilung eines Wiener Buchsupermarkts nur ratlose Gesichter hervor. Auch kleine Anhaltspunkte ("Das Buch hat den Edgar als bester Thriller des Jahres 2006 bekommen") fruchteten nicht, und der (an)gespannte zukünftige Leser des Krimis bekam die oft, wenn auch ungern gehörte Ansage: "Wenn sie wollen, kann ich eines bestellen" zu hören. Die Antwort auf diesen Buchhändler- Fauxpax sollte normalerweise "Bestellen kann ich mir´s selber" lauten.

Aber nein - der gutmütige Käufer gibt sich damit zufrieden, eine Woche später wiederzukommen. Und siehe da: kein Buch. Das Spielchen geht von vorne los, eine Woche vergeht, und diesmal muß man sich anhören, es seien nur fünf Stück bestellt worden und die leider schon weg, weil: "Wissen Sie, das Buch hat nämlich einen Preis bekommen und dürfte ein Geheimtip sein."

Ach so!? Und da wurden nur fünf Stück bestellt? Nun ja, egal. Amazon sei dank findet man sich zwei Tage später, auf der Couch liegend, in folgender Geschichte wieder:

Vince Camden, ein Zuckerbäcker in Spokane, Washington, bessert sein klägliches Gehalt in einer Bäckerei ein wenig auf, indem er nächtens in seiner Stammkneipe pokert. Den finanziellen Background für das teure Glücksspiel liefern ihm Betrügereien mittels gestohlener Kreditkarten. So lebt er sehr gut von seinen selbstgebackenen Semmeln, ist bei den Provinznutten beliebt und genießt unter den anderen Spielern ob seines Talents hohes Ansehen. Das funktioniert so lange, bis eines Tages ein neuer Bewohner das Vorstadtidyll Camdens bedroht. Er erkundigt sich nach Vince, stellt unangenehme Fragen und trachtet ihm scheinbar nach dem Leben.

Der Zuckerbäcker wider Willen befindet sich nämlich im FBI-Zeugenschutzprogramm, hat er doch ein paar Mafiosi aus New York verpfiffen und mußte daher an einen Ort abtauchen, wo ihn kein Capo vermuten oder freiwillig suchen würde. So ist die Verwunderung Vince Camdens über den anscheinend von der Cosa Nostra entsandten Killer Ray groß - und er beschließt, reinen Tisch zu machen. Also macht er sich auf nach New York, um die Schulden zu bezahlen und sich für den Verrat an den Gangstern zu entschuldigen. Gute Idee, Vince!

Walter siedelt seine Geschichte in der Zeit an, als Ronald Reagan zum US-Präsidenten gewählt wurde. So versucht er nicht nur einen spannenden Thriller zu erzählen, sondern der Leserschaft auch die "höchste" Verantwortung jedes guten demokratischen Bürgers zu vermitteln. Leider gelingt ihm beides nur teilweise.

Walter schildert das Desinteresse der amerikanischen Bevölkerung an Wahlen und beschreibt das wiedererlangte Stimmrecht anhand eines geläuterten Gesetzlosen als höchstes Privileg. In einem Land mit einer Wahlbeteiligung unter 40 Prozent ist dies ein durchaus nachvollziehbarer Ansatz, etwas verändern zu wollen.

"Ich liebe diesen Roman", gibt sich Nick Hornby voll der vorgezogenen Frühlingsgefühle auf der Rückseite des 400seitigen Taschenbuchs. Für aufrichtige Liebe reicht die teilweise zähe Geschichte jedoch nicht wirklich. Interesse und Sympathie lassen dafür den Beginn einer zarten Beziehung zwischen Leser und Autor aufkeimen. Das muß reichen.

Nikolaus Triantafyllidis

Jess Walter - Die Agenda

ØØØ

(Citizen Vince)


Heyne (München 2006)

 

Links:

Kommentare_

Stories
In 3 Tagen bist du tot 2/Interview Pt. 2

Big Brother is watching you

Bei Sabrina Reiter hat sich der Einfluß des großen Bruders durchaus positiv ausgewirkt. Der EVOLVER unterhielt sich mit Österreichs erster Scream-Queen. Teil zwei: über die Anfänge als Schauspielerin, ihre Lieblings-Horrorfilme und den Hang zur Komödie.  

Print
Chuck Palahniuk/Porträt

Master of Puppets

The first rule of Chuck: you talk about Chuck. Seine Bücher erreichen zwar nicht alle die Genialität von "Fight Club" - aber besser als das meiste auf dem internationalen Literaturmarkt sind sie trotzdem noch. Und das ist Grund genug für den EVOLVER, das bisherige Schaffen eines seiner Helden etwas ausführlicher zu betrachten.  

Print
Rex Miller - Fettsack

Dunkler Speck

Während die Buchempfehlungen in allen Medien derzeit weihnachtlich andächtig ausfallen, sucht EVOLVER noch einmal die dunkle Seite der Trash-Literatur auf und warnt: Für stille oder gar heilige Nächte ist dieser Titel garantiert nicht geeignet.  

Stories
In 3 Tagen bist du tot 2/Interview

Blutiges Schneegestöber

Mit "In drei Tagen bist du tot" drehte Andreas Prochaska nicht nur einen gelungenen Horrorstreifen, sondern auch den meistbesuchten österreichischen Film 2006. Und weil sich das Publikum für gelungene heimische Unterhaltung sehr wohl ins Kino begibt, startet in Kürze das Sequel. Der EVOLVER traf Hauptdarstellerin Sabrina Reiter und sprach mit ihr über die Fortsetzung.  

Video
John Rambo

There will be blood ...

... und zwar ohne Ende. Während es sich beim Titel des Andersonschen Ölfilms jedoch eher um eine leere Drohung handelt, fliegen in der neuen "Dschungelbuch"-Adaption à la Stallone gehörig die Fetzen.  

Print
Charlie Huston - Blutrausch

Von denen Vampyren auf Drogen

Im zweiten Teil seiner Blutsauger-Reihe begibt sich der amerikanische Noir-Autor mit Joe Pitt in ein neues Territorium der nächtlichen Parallelwelt New Yorks: Er soll eine Droge finden, die die Untoten nur allzu lebendig macht ...