Print_Kühn/Stiller/Treudl (Hrsg.) - In vollen Zügen
Ssssuuugfääadap!
Eisenbahnfahren in Österreich - das letzte Abenteuer. Zumindest seit der, äh, Reorganisation der ÖBB. Daß es auch anders ginge, zeigt eine literarische Anthologie der Edition Aramo.
08.10.2007
"Ich bin tausend Jahre Bahn gefahren. Manchmal glaube ich, ich habe mehr Zeit in der Bahn verbracht als in meinem Leben." So schreibt Magda Woitzuck in ihrem Beitrag "Sich ein wenig nahe stehen". Und: Wer von denen, die - aus welchen Gründen auch immer - mehr oder weniger regelmäßig mit dem Zug fahren, kennt das nicht?
Nicht zufällig lautet der der Untertitel der Anthologie "In vollen Zügen" so treffend "Vom Warten und Reisen". Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Spätestens seit der blindwütigen und wirtschaftlich völlig unbegründeten Zerschlagung der ÖBB in lauter Sub- und Subsubgesellschaften, die einzig dazu diente, verdienten Parteibuchrittern, die im wirklichen Leben ja völlig unvermittelbar sind, ein nettes Auskommen ohne störenden Arbeitsaufwand zu ermöglichen, heißt Bahnfahren auch in Österreich sowieso in erster Linie Warten, Warten, Warten, um danach in hoffnungslos überfüllten Waggons stehend eingepfercht, durch haufenweise "unplanmäßige" Zwischenstops aufgehalten, weit verspätet den Zielbahnhof zu erreichen.
Schade. Es ginge ja auch anders.
"In vollen Zügen" ist eine ein wenig wehmütig anmutende Anthologie. Da steht neben einem grauslichen Ist-Zustand auch eine Idee des Zugfahrens, das tatsächlich "Nerven spart", Zeit und Muße zuläßt, während man von einem Ort zum anderen gelangt, vielleicht mit einem lesenswerten Buch bewaffnet ... Es ist eine mitunter beinahe nostalgisch anmutende Antithese zur Hektik des (Billig-)Flugverkehrs sowie zur Schein-Freiheit der "freien Fahrt für freie Bürger", wie sie benzindunstumnebelte Ministergehirne und deren Vertreter auf Erden, die Autofahrerclubs, ersinnen.
Der Zug, der Waggon, das Abteil auch als sozialer Ort - berührend beschrieben von Andreas Nastl, schwarzhumorig von Ditta Rudle, subtil hinterhältig von Margit Hahn (um Beispiele zu nennen). In Anlehnung an einen alten Burt-Bacharach-Song gibt Helga Laugsch die Order aus: "Trains! No Boats! No Planes!" Aber auch nicht so ganz auf der Hand Liegendes gelangt zu seinem Recht. Oder haben Sie sich schon einmal gefragt, ob der "Lungenzug" (gefunden bei Andreas Nastl) von vornherein nur mit einem One-Way-Ticket zu befahren ist? Wissen Sie etwa, was es mit den "traurigen Zügen" von Michael Stiller auf sich hat? Es ist alles anders, als es scheint. Und Wolfgang Kühn macht seinen Führerschein ... um nachher nur noch Zug zu fahren (!).
Ein takt-voller Mix aus Prosa und Lyrik wird da einer Leserschaft kredenzt, die mit den "Schwellen" von Sylvia Treudl im Endbahnhof landet: "wie viel schmerz/faßt ein zug/die anzahl der waggons/proportional zu den/tränen/: wird nicht ausreichen".
Der ideale Leseort für diese Anthologie: klarerweise in der Eisenbahn, sollten Sie das Glück haben, einen freien Sitzplatz zu ergattern. Ansonsten eignet sie auch vortrefflich zur Überbrückung längerer Wartezeiten; es ist aber auch nicht verboten, das Buch zur Sicherheit dort zu lesen, wo es wohl am angenehmsten ist: nämlich zu Hause.
"fährt ab. fährt ein."
Thomas Fröhlich
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