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Schmauchspuren #34

Same procedure as last year? Same procedure as every year. Der amerikanische Flughafen-Thriller wurde auch Anfang 2011 nicht neu erfunden. Dafür erfahren wir, daß der Tod auch heute noch "ein Meister aus Deutschland" ist und dürfen uns irischem Fatalismus hingeben. Peter Hiess hat wieder Krimis gelesen.    03.09.2014

Peter Hiess

John Verdon - Die Handschrift des Todes

Heyne Tb. 2011

Leserbewertung: (bewerten)

Die Blurbs der Kollegen hypen den Debütroman des Ex-Journalisten und -Werbetexters John Verdon ja ganz ordentlich. Die Handschrift des Todes sei "einer der besten Thriller seit langem", "die Neuerfindung des Serienmörderromans" und natürlich "atemberaubend". Mit entsprechend hohen Erwartungen geht man an das Buch heran - und findet es anfangs tatsächlich faszinierend. Ex-Detective Dave Gurney (nach seiner Polizeizeit immer noch nicht fähig, sich ganz von der Verbrecherjagd zu trennen und das Landleben zu genießen, daher recht klischeehaft auf dem besten Weg in die schwere Ehekrise) stößt auf einen rätselhaften Fall. Potentielle Opfer erhalten einen Brief mit der seltsamen Aufforderung, an eine Zahl zwischen eins und tausend zu denken. Und tatsächlich: In einem zweiten Kuvert steht die richtige Antwort. Danach folgen bedrohliche Gedichte und schließlich ein Mord, der außer höchst mysteriösen Spuren kaum Hinweise hinterläßt. Die Faszination legt sich allerdings bald, wenn man als Leser die Rätsel schneller löst als Gurney und auch sonst oft ahnt, was als nächstes kommt. Und die Auflösung ist dann so hanebüchen, daß selbst die gute alte Agatha Christie zweimal darüber nachgedacht hätte, sie zu verwenden. Ablegen unter "Die drei ??? und der Serienkiller".

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Gemischtes Doppel


George T. Basier - Der Killer und die Hure

Edition BoD Pb. 2008

 

George T. Basier - Jägers Fall

BoD Tb. 2010

 

Eine echte Überraschung hingegen ist George T. Basier, der in deutschen Krimikenner-Kreisen nicht umsonst als Geheimtip gehandelt wird. Der Protagonist seines Romans Der Killer und die Hure (mit dem ungeschickten Endlos-Untertitel "Die Lust am Töten. Verkaufte Mädchen, Koks und jede Menge Waffen") war Scharfschütze für die Bundeswehr, danach Söldner für jene Private-Contractor-Firmen, die für die Imperialisten von heute ihre Kriege führen, und gelegentlich auch Auftragskiller. Jetzt ist er müde geworden und arbeitet in Hamburg als Personenschützer, der unter anderem Frauen vor Stalkern rettet. Als er seine neue Klientin kennenlernt, ist es um ihn geschehen: Er verschaut sich in die Prostituierte, verliebt sich gar erstmals in seinem Leben, vergißt seine Vorsicht, verliert sein Mädchen an die Bösen. Und da die richtig böse sind, endet alles furchtbar blutig. Daß man dabei seitenlang viel über die richtige Handhabung von Waffen, mörderische Missionen in aller Welt und Sniper-Techniken erfährt, macht Der Killer und die Hure zum echten Männerbuch - aber das ist ja in unserer vergenderten, verqueerten Zeit ganz gut so.

Alles andere als ein Techno-Thriller ist Basiers zweiter Roman Jägers Fall, der einige der Themen des Vorgängers aufgreift, aber durchaus eigenständig zu lesen ist. Ein Kommissar in Hamburg auf der Spur von Serienmördern, albanischen Syndikatsbossen, Snuff-Dealern. Härter als hart. Blutig, pervers, total out of control. Bad Lieutenant meets Jim Thompsons Antihelden. Und ein Schluß, der einem richtig auf den Magen drückt. Hätte man von "Books on Demand"-Titeln nicht erwartet. Sollte man haben.

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Ken Bruen - London Boulevard

Suhrkamp Tb. 2010

Leserbewertung: (bewerten)

Da sich der Ire Ken Bruen verdientermaßen (und nicht zuletzt wegen der Harry-Rowohlt-Übersetzungen) gut verkauft, werden jetzt auch seine älteren Werke auf deutsch aufgelegt - zum Beispiel London Boulevard. Machen wir´s kurz: Natürlich auch wieder eine tragische Geschichte, gezeichnet vom Fatalismus des Alkohols und der Kleinkriminalität: Mitchell kommt aus dem Gefängnis, wo er drei Jahre wegen schwerer Körperverletzung verbringen durfte, rutscht sofort in seine alten Gewohnheiten zurück, arbeitet als Geldeintreiber und sieht nur eine Chance: als Gehilfe und Geliebter einer alternden Diva das "life of crime" hinter sich zu lassen. Doch das organisierte Verbrechen vergißt nicht so schnell - und zusammen mit dem, was sich in der Sunset Boulevard-Villa der Schauspielerin ankündigt, erwartet uns eine Story wie eine griechische Tragödie, unausweichlich, hart, trotzdem spielerisch und trotzig bis zum Schluß. Ja, wir wollen weiterhin wissen, was Bruen früher gemacht hat.

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Max Allan Collins - Quarry in the Middle

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2009

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Bringen wir den Rest flott hinter uns: Hard Case Crime, Sie wissen schon. Gerettet, wie wir alle hoffen. Aber wegen solcher Bücher hätte es nicht sein müssen: Quarry in the Middle führt Max Allan Collins’ Profikiller-Protagonisten nach dem Last und dem First Quarry in ein Karriere-Tief mitten in den 80er Jahren des gottlob vergangenen Jahrhunderts, in einem miesen kleinen Glücksspiel-Kaff in Illinois, wo er seine neue Aufgabe - gegen Honorar andere Berufsmörder von der ordentlichen Ausübung ihres Berufs abhalten - durchführen will. Aber Collins fällt wieder auf sich selbst herein: zu postmodern und durchschaubar der Plot, zu "witzig" (und nervend oft) der Rückblick auf Eighties-Modetorheiten, zu verliebt in die eigene Cleverness. Da wundert man sich nicht, daß der Mann eine Ironiebrille trägt ... aber schade ist es trotzdem.

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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