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Schmauchspuren #43

Es brennt - in den Hügeln von Hollywood, in den Ausländervierteln von Berlin und in den verräterischen Herzen der Mörder, die wir aus der Kriminalliteratur so gut zu kennen glauben. Genre-Experte Peter Hiess hat wieder einmal gelesen, bis ihm die Augen brannten.    11.02.2015

Peter Hiess

Don Winslow - Die Sprache des Feuers

Suhrkamp Pb. 2012

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In seiner fast durchwegs brillanten Krimireihe veröffentlicht der Suhrkamp-Verlag nach Don Winslows erfolgreichen Surfer-Romanen und dem Monumentalwerk "Tage der Toten" nun auch ältere Werke des Amerikaners - und das ist gut so. In "Die Sprache des Feuers" (1999) lernen wir Jack Wade kennen, der in Kalifornien als Schadensregulierer für eine Versicherung arbeitet und überprüfen soll, ob das Feuer im Haus eines Immobilienhais von einem Brandstifter gelegt wurde. Sein korrupter Exkollege von der Polizei hat die Sache längst als Unfall eingestuft (betrunkene Ehefrau + Zigarette im Bett), doch Wade erkennt bald, daß mehr dahintersteckt. Und so wird der Leser auf mehr als 400 Seiten nicht nur in Sachen Brandstiftung geschult, ohne sich dabei auch nur eine Sekunde zu langweilen, sondern auch in eine spannende Story über Russenmafiosi und Ex-KGB-Folterer, Psychopathen, vietnamesische Gangs und die Wurzeln des Immobilien-Crashs gezogen, die ihn das Buch bis zur letzten Seite nicht mehr aus der Hand legen läßt. Und lernt dabei auch noch, wer die übelsten aller Berufsverbrecher sind: Anwälte und Spekulanten. Das gilt weltweit.

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Marcel Feige - Kalte Haut

Goldmann Tb. 2012

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Türkische Kommissarin? Versuchter Ehrenmord? Ein ausländerfeindlicher Politiker, dessen Sohn gekidnappt und live via Internet ermordet wird? Der Klappentext des neuen Berlin-Kriminalromans von Marcel Feige läßt Gutmenschiges befürchten, beschwört Migrantenschicksale im ewig selbstzerfleischenden Deutschland herauf. Doch der Schein trügt: "Kalte Haut" läßt sich auf keine billigen Klischees ein. Stattdessen führt der äußerst lesenswerte Roman die Schicksale der Polizistin, des aus den USA heimgekehrten Profilers und der Boulevardjournalistin auf geschickte Weise zusammen und legt dabei jede Menge falsche Spuren, die einen bis zum Schluß miträtseln und -fiebern lassen. Gekonnt vermeidet Feige dabei auch die übliche Serienkiller-Schablone - und zeichnet stattdessen mit Mitteln des Mystery-Thrillers ein überzeugendes Sittenbild der deutschen Hauptstadt, das weit mehr Realität erzeugt als jede Betroffenheits-Doku. Gehört verfilmt ... aber bitte nicht vom deutschen Fernsehen!

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Duane Swierczynski - Der Bewacher

Heyne Tb. 2011

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Vom US-Kabelsender HBO (bekannt durch geniale Serien wie "Die Sopranos" und "Boardwalk Empire") umgesetzt werden sollten Duane Swierczynskis Romane um den Ex-Cop Charles Hardie, deren erster "Der Bewacher" heißt und von Zeile eins an ein unglaublich rasantes, witziges und adrenalinförderndes Abenteuer bietet, zu dem im Kopf schnell geschnittene Szenen ablaufen. Hardie hat sich darauf verlegt, als Housesitter für reiche Menschen zu arbeiten, dabei Schnaps zu trinken und alte Filme auf DVD zu betrachten. Als er jedoch im Haus eines Drehbuchautors in den Hollywood Hills auf eine lädierte Filmschauspielerin trifft und ab sofort gegen die Killertruppe kämpft, die ihr auf den Fersen ist, besinnt er sich schnell wieder auf seine Hardboiled-Wurzeln. Und von da an geht´s Schlag auf Schlag: irrwitzige Ideen, eine großbusige Berufsmörderin, die mediengerechte Inszenierung typischer Promi-Todesfälle, phantasievolle Action-Einlagen - und ein (Anti-)Held, über den man unbedingt mehr lesen will. In der nächsten Ausgabe dieser Kolumne erfahren Sie, wie´s weitergeht.

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Mickey Spillane & Max Allan Collins - The Consummata

Hard Case Crime (Titan Books) 2011

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Pastiche-Experte Max Allan Collins nimmt sich in "The Consummata", Band drei der neuen Serie von Hard Case Crime, eines unvollendeten Romans von Mickey Spillane an, der seinen Helden "Morgan the Raider" aus Mangel an Erfolg nie weiterentwickelte. Eigentlich hätte sich auch Collins die Mühe sparen können. Der Roman um Exilkubaner in Miami, einen diebischen Verräter, eine legendäre S/M-Prinzessin und die üblichen Nutten mit Herz ist künstlich aufgeblasen, hat eine noch kindlichere Auffassung von Sexualität als der alte Spillane selbst und ergeht sich in Sixties-Versatzstücken - statt darauf zu achten, daß in den Jahren nach dem Kennedy-Attentat niemand mit einer Glock-Pistole hantieren konnte. Die wurden nämlich erst Anfang der Achtziger erfunden.

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Guido Rohm - Die Sorgen der Killer

Kulturmaschinen Pb. 2012

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Zeitlos und dennoch mit beiden Beinen in der Gegenwart verwurzelt sind die 13 kurzen Crime-Stories in Guido Rohms "Die Sorgen der Killer". Die Geschichten über das Innenleben von Mördern, Amokläufern, Snuff-Gehilfen und Menschenschlächtern schlagen sich auf den Magen, zerren an den Nerven, wirken wie Fieberschübe. Auf den Punkt gebracht, lakonisch, böse, hoffnungsvoll, Skizzen aus dem Inferno - und eigentlich keine Kriminalliteratur, sondern eine, die sich auf einer Metaebene mit Thriller-Themen auseinandersetzt und dem Publikum einen Spiegel vorhält. Rohm erreicht damit auf wenigen Seiten scheinbar mühelos das, woran der zeigefingerschwingende Moralist Michael Haneke regelmäßig scheitert. Man darf das Genre, über das man spricht, eben nicht verachten ...

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"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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