Musik_Join/Written on Skin/Le Retour
Festwochen-Highlights 2013
Hier hätten sich eigentlich die Reviews aller vom EVOLVER-Klassikexperten besuchten Festwochenaufführungen des Jahres 2013 finden sollen - doch Verdis geflopptes "Il Trovatore" machte diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Die zwei modernen Opern "Join!" und "Written on Skin" sowie das Schauspiel "Le Retour" waren nämlich so gelungen, daß sie einen Ehrenplatz verdient haben. Und Luc Bondy konnte mit seiner Regie des Theaterstücks einen mehr als würdigen Abgang hinlegen.
01.07.2013
Zu Beginn des Festwochenreigens stand Join!, eine Oper des österreichischen Jazzers Franz Koglmann, auf dem Programm. Angesiedelt im Management eines Großkonzerns, zeigte das Libretto von Alfred Zeilinger die menschlichen Abgründe, die Oberflächlichkeit und die emotionale Kälte eines "modernen" Unternehmens. Sehr gekonnt arbeitete der Autor die menschlichen Zwistigkeiten, die im Arbeitsalltag so üblichen Intrigenspielchen und den Opportunismus heraus. Und nicht nur einmal wird man brutal darauf gestoßen, wie oft man selbst von derlei Dingen betroffen ist.
Regisseur Michael Scheidl schaffte den gefährlichen Spagat, das Publikum in das Werk zu integrieren, ohne in irgendwelche Peinlichkeiten abzudriften. Ab der ersten Pause öffnete sich von Halle E des Museumsquartiers durch die Bühne ein Durchgang zur Halle G, wo dann mit Publikumsbeteiligung die Oper zu Ende spielte. Das von allen Protagonisten (vor allem vom Ensemble "die reihe") großartig gespielte und gesungene Werk Koglmanns überzeugte in jeder Hinsicht - von den Jazzstandards über die Ensembleszenen bis hin zu Tanznummern.
Ebenfalls in Halle E des Museumsquartiers fand kurze Zeit später eine der schönsten Theaterproduktionen der letzten Jahre statt. In Kooperation mit dem Pariser Odeon-Theater führte Regisseur Luc Bondy in einem Werk des britischen Literaturnobelpreisträgers Harold Pinter durch noch mehr menschliche Abgründe.
Le Retour handelt von der Rückkehr des Sohns eines Fleischhauers samt Gattin zum Vater und den zwei Brüdern. Der Heimkehrer ist (im Gegensatz zu den primitiven Brüdern) Universitätsdozent und wird nach der Rückkehr sinnbildlich von den krakenhaften Armen seiner Familie in den Würgegriff genommen.
Nicht nur Bondys Personenführung war großartig, sondern auch und vor allem das geniale rollendeckende Spiel von Bruno Ganz als Max und Emmanuelle Seigner als Ehefrau des Sohnes. Seigner spielte bestürzend echt die Rolle der Frau als Sexualobjekt in einem Männerhaushalt - eine ungewollte Rückkehr zur Rolle der Prostituierten, die sie vorher war. Bruno Ganz´ nicht perfektes Französisch störte dabei gar nicht; dank der ausgezeichneten Übertitel (und ein paar rudimentären Kenntnissen der Sprache) merkte man überhaupt nicht, daß man sich in einer fremdsprachigen Theateraufführung befand. Chapeau!
Zum Abschluß der Festwochen gab man die zeitgenössische Oper Written on Skin des Franzosen George Benjamin. Einzig negativer Aspekt dabei war der Umstand, daß diese musikalische Sternstunde nur dreimal gebracht wurde. Die 2012 in Aix-en-Provence uraufgeführte Festwochenproduktion ist eine Kooperation mit der Bayerischen Staatsoper München - und das war insofern ein Glücksfall, da Kent Nagano, der Noch-Musikdirektor des Hauses, dem Publikum schmerzlich vor Augen führte, wie sehr solche Leute in der Wiener "Musikszene" fehlen.
Mit dem Klangforum Wien ließ Nagano die (musikalische) Nähe des Komponisten zu Alban Berg hören. Benjamin selbst bestätigte in seinem Interview im Programmheft, daß vor allem Bergs "Wozzeck" und Claude Debussys "Pelleas et Melisande" sein musikalisches Leben bestimmten. Die Affinität vor allem zu "Wozzeck" ist in seinem Werk tatsächlich nicht zu überhören.
Martin Crimps Libretto erzählt die Sage vom katalanischen Troubadour Guillem de Cabestanh, der die Liebschaft mit Seremonda, der Ehefrau von Raimon von Castel Rossillon, mit seinem Leben bezahlte. Als Strafe für den Frevel ließ Raimon Seremonda das Herz ihres Liebhabers verspeisen; sie stürzte sich daraufhin aus dem Fenster.
Regisseuse Katie Mitchell versetzte die Story auf beeindruckende Weise in die heutige Zeit: Der Ehemann ist hier der "Protektor", Agnès die Ehefrau, und der Troubadour der "Boy". Kostümwechsel auf offener Bühne und die Handlung auf mehreren Ebenen machten aus den 90 Minuten ein Theatererlebnis pur.
Äußerst überzeugend waren Audun Iversen als Protector, Barbara Hannigan als Agnès und der Countertenor von Iestyn Davies. Gemeinsam mit der Regisseuse führte Kent Nagano durch das reiche musikalische Panoptikum des Komponisten; nicht nur einmal wird deutlich, wie zeitlos dieses Stück und diese Handlung sind.
Herbert Hiess
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