Musik_"La Traviata" im Theater an der Wien
Orchestrales Disaster
Eine verpaßte Sternstunde - oder: Wie drei hervorragende Sänger und eine großteils beeindruckende Regie eine unterdurchschnittlich orchestrale Aufführung der Verdi-Oper retteten, die von einer nicht übermäßig begabten Dirigentin fast in den Sand gesetzt worden wäre ...
15.07.2014
Nach Peter Konwitschnys "Attila-Trottelei" von 2013 bot man dem Publikum diesmal eine Neubearbeitung der "La Traviata"-Regie, die 2011 in Graz aufgeführt wurde. Wer den Regisseur und seine Neigung kennt, das Original weitgehend zu ignorieren, wurde bei der Aufführung durch viele geniale Schachzüge überrascht, die sich Konwitschny für die Oper aus der "Trilogia Populare" einfielen ließ.
Die Bühne bestand aus mehreren Ebenen von roten Vorhängen, die in Wirklichkeit die Lebensabschnitte der Kurtisane Violetta Valerie darstellen sollten. Das Hauptrequisit war ein schlichter Holzsessel, um den sich die ganze Handlung der drei Akte abspielte. Es war richtig beeindruckend, wie Konwitschny in seiner Regie die widerliche, oberflächliche und sensationsgeile "Spaß- und Seitenblicke-Gesellschaft" aufs Korn nahm - lauter Personen, die glauben, ihr leeres Leben auf Kosten anderer aufwerten zu müssen. Richtig bestürzend wurde es, als im dritten Bild, wenn Alfredo Violetta vor allen aufs Ärgste demütigt, die nette Gesellschaft vor Reue wie Schmutz zu Boden fiel und dann während des traurigen Vorspiels zum letzten Bild wie Ungeziefer von der Bühne kroch.
Der Regisseur blieb auch bei der "Traviata" seinen Prinzipien treu und ließ die Solisten vereinzelt vom Publikum aus singen. Schade, daß er damit die äußerst berührende Sterbeszene der Kurtisane durch diesen sinnlosen Klamauk fast zerstörte. Warum nur mußten sich Vater und Sohn Germont während der Szene durch die erste Reihe Parkett zwängen - vielleicht als Stimmungskiller? Dafür war das Duett Violetta-Germont, in dem die im Text erwähnte Schwester Alfredos (also Germonts Tochter) als Statistin zu Ehren kam, wieder unnachahmlich. Noch nie durfte man diese Duettszene so eindringlich und berührend erleben.
Hauptanteil an dem Erfolg der Produktion hatten auch Marlies Petersen als Violetta und Roberto Frontali als Germont. Gemeinsam mit Arturo Chacón-Cruz waren sie trotz mancher Einschränkungen das Atout der Aufführung - obwohl Petersen manchmal die hohen Töne der "Sempre Libera" zu hoch sang und das hohe D am Schluß sicherheitshalber gleich ausließ.
Richtig unangenehm war dafür die Dirigentin (manche würden sagen "Taktschlägerin") Sian Edwards, die das ORF-Orchester schlecht bis gar nicht vorbereitet hatte. So unpräzise, verwaschen und fast unmusikalisch hat man "La Traviata" noch nie hören müssen. Wenn Violetta und Germon dreifache Piani sangen, war das der Dame unten am Pult ziemlich egal; der Mezzoforte-Brei wurde weiterhin erbarmungslos durchgerührt. Zudem hat Edwards viele der möglichen Kantilenen ignoriert, so auch in der eigentlich grandiosen Germont-Arie im dritten Bild.
Das ORF-Orchester gilt nicht zu Unrecht als das "vierte Orchester" von Wien. Das bedeutet, daß es einen Dirigenten braucht, der intensiv mit ihm arbeitet und es fordert. Passiert das offenbar nicht - wie bei dieser Vorführung -, dann muß man sich auf derart inferiore Hörerlebnisse einstellen. Und die hätte das Theater an der Wien wirklich nicht notwendig.
Herbert Hiess
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