Musik_Neujahrskonzert der Tonkünstler in St. Pölten
Neujahr in der Provinz
Anläßlich des Jahresbeginns 2015 begab sich der EVOLVER-Klassikexperte ins Festspielhaus St. Pölten, um dem traditionellen Neujahrskonzert der Niederösterreichischen Tonkünstler beizuwohnen. Was mit etwas mehr orchestralem Feinschliff ein schönes Ereignis hätte werden können, drohte dank des nies- und hustfreudigen Publikums zeitweise in eine Provinzposse abzurutschen.
16.01.2015
Das Fazit, das hier schon vor ziemlich genau einem Jahr festgehalten wurde, kann man hier nur wiederholen: Das Publikum des St. Pöltner Festspielhauses ist von einer beispiellosen Ignoranz und Penetranz. Heuer verhallte der mehr oder minder dezente Einwurf des dirigierenden Urgesteins Alfred Eschwé, das dauernde Niesen und Husten doch bitte etwas einzudämmen, nicht nur wirkungslos - im Gegenteil, beim Pianissimo-Schluß des "Ägyptischen Marsches" konnte sich eine "Dame" ein herzhaftes, brunftartiges Niesgeräusch nicht verkneifen. Eschwé nahm es mit Humor und konzidierte der Person, dass sie "wenigstens im Takt" gewesen sei.
Was sich an dieser Stelle vielleicht lustig lesen mag, ist in Wahrheit natürlich eine totale Respektlosigkeit den Künstlern gegenüber. Für solche Leute gibt es wahrlich keine andere Bezeichnung als "Provinzpublikum" - und das nicht wegen ihrer Herkunft, sondern wegen ihres unbeschreiblich schlechten Benehmens.
Abgesehen davon kam man in den Genuß eines wunderschönen Konzerts mit einem interessanten Programm. Die musikalische Europareise begann bei Franz von Suppé (Kroatien), ging dann von Gounod (Frankreich), Elgar (Großbritannien), Smetana (Böhmen), Enescu (Rumänien) und Rossini (Italien) bis hin zur Strauß-Famile nach Österreich.
Mit der slowenischen Sopranistin Bernarda Bobro stand eine interessante Sängerin auf dem Podium, die bravourös die vier Gesangsnummern meisterte (Arie der Norina aus Donizettis "Don Pasquale", Walzer der Margarete aus Gounods "Faust" und jeweils eine Arie aus den Operetten "Eine Nacht in Venedig" von J. Strauß und von Carl Millöckers "Bettelstudent".
Alfred Eschwé verband die Musikstücke mit netten Bonmots und interessanten Anmerkungen. Schade, daß das Orchester des öfteren Präzision vermissen ließ - vor allem bei den Walzern waren manche Einsätze und Übergänge leicht verwackelt, und aufgrund der Raumakustik klangen Bässe, Blech und Schlagwerk auch nicht wirklich ausbalanciert.
An der Mehrheit des Publikums dürfte dies jedoch spurlos vorübergegangen sein; der gesellschaftliche Anlaß war da offenbar wichtiger. Immerhin wurde ein minutenlanger Kotau vor den versammelten Ehrengästen (Landeskaiser, Justizminister etc. pp.) vorgetragen, bevor endlich die Musik begann. Die provinziellen Konzertgäste dürften an diesem Tag eher die räumliche Nähe zu den Honoratioren gesucht haben als den musikalischen Genuß. Selber schuld.
Herbert Hiess
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