Musik_Rossini und Händel im Theater an der Wien
Liebe, Macht und Intrige
100 Jahre zwischen den Uraufführungen, zwei Komponisten, ein Thema: Liebe und damit zusammenhängende Macht- und Intrigenspielchen bestimmen sowohl Rossinis Tragödie "Otello" als auch Händels Beinahe-Komödie "Agrippina". Beide wurden von begabten Regisseuren an der Wien gekonnt in ein aktuelles Gewand verpackt - bei hoher musikalischer Qualität.
29.03.2016
Gioachino Rossinis "Otello" stammt aus der mittleren Schaffensperiode des italienischen Komponisten, der mit 37 Jahren sein letztes Meisterwerk "Wilhelm Tell" uraufführte und sich dann sozusagen ins Privatleben zurückzog. Heute würde man oberflächlich von "Burnout" murmeln; offenbar war der quirlige Italiener vom Musikbetrieb so sehr angewidert, daß er die Notenblätter gegen Kochlöffel tauschte und fürderhin lieber schmackhafte Gerichte komponierte.
Bereits im zarten Alter von 24 Jahren brachte Rossini im Jahre 1816 die Shakespeare-Vertonung des Dramas "Otello" in Neapel auf die Bühne. Allein dieses Werk würde seinen musikalischen Weltruhm schon rechtfertigen. Anscheinend konnte man damals sängermäßig in Italien aus dem vollen schöpfen, da Rossini in seiner bekannt "rücksichtslosen" Art die Oper für drei Tenöre und einen Sopran in den Hauptrollen schrieb, wobei er den Herren absolut nichts schenkte. Das ist auch ein Grund, warum sein "Otello" heutzutage fast nicht mehr aufgeführt werden kann; man muß ja mittlerweile froh sein, wenn man auch nur einen adäquaten Tenor auftreibt.
Das Theater an der Wien schaffte den Spagat und konnte für die Serie drei wirklich virtuose Sänger aufstellen, die jeder für sich eine hochklassige Leistung lieferten - allen voran der farbige John Osborn als Otello. Die Desdemona wurde von der hervorragenden Spanierin Carmen Romu gegeben, die aufgrund der Erkrankung von Nino Machaidze die Gelegenheit nützen konnte, das Wiener Publikum für sich zu begeistern. Mit ihrer glockenklaren und bis ins Dramatische hineinreichende Stimme zog sie alle Register von sanfter Wehmut (im bezaubernden "Lied von der Weide") bis zum wilden Ausbruch.
Phantastisch und symbolbeladen war die Regie Damiano Micheliettos, der natürlich auch wieder seine blutrünstige Seite zeigte. Die Wiener Symphoniker unter Antonello Manacorda spielten dazu mitreißend.
1709 kam es in Venedig zur Uraufführung von Georg Friedrich Händels "Agrippina". Daß der Komponist damals erst 24 Jahre alt war, wie Rossini bei der Uraufführung von "Otello", war sicher nur ein Zufall.
Kein Zufall ist aber, wie genial der junge Händel tatsächlich war. "Agrippina" sprüht nur so vor musikalischen Einfällen; das Orchester ist interessant besetzt (Theorben, Harfe, Orgel usw.), und Händel weiß das Instrumentarium perfekt auszunützen. Schade, daß sich der Komponist in seiner späteren Schaffensperiode zu einem Vielschreiber verwandelte, der sich musikalisch in ein allzu enges Korsett pressen ließ.
Die Besetzung der Aufführungsserie war durchwegs phantastisch - allen voran die Damen Patricia Bardon und Danielle de Niese. Als ebenbürtig erwiesen sich vor allem Filippo Minecchias Countertenor als Ottone und der sonore Baß Mika Kares als Kaiser Claudius. Thomas Hengelbrock debütierte mit seinem hervorragenden Balthasar-Neumann-Ensemble leider allzu spät; dennoch lieferten sie den exemplarischen Beweis, daß eine Barockoper trotz historischer Aufführungspraxis nicht seelenlos klingen muß. Dieses Ensemble sollte man bald wiederhören dürfen.
Der kanadische Regisseur Robert Carsen machte aus dem Drama um Liebe, Macht und Intrige eine regelrechte Parodie auf verblichene und gegenwärtige Herrscher und Regenten. Die Handlung verlegte er in die Schaltzentrale einer Regierung oder eines Konzerns - und entlarvte damit die Zeitlosigkeit der offenbar ewigen Themen.
Herbert Hiess
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