Musik_Bolschoi im Theater an der Wien
Russische Begegnungen
Trotz politischer Unbilden hat Rußland als musikalischer Botschafter bewiesen, auf welch hohem Niveau die kulturelle Ausbildung in diesem Land ist und was für großartige Künstler dort leben. Und die anwesende Anna Netrebko mußte in der Oper "Die Zarenbraut" hören, daß sie mit einer jungen Sopranistin ihre Meisterin gefunden hat.
16.05.2014
Rußland ist ein durch Zaren und sonstige Herrscher schwer traumatisiertes Land; nur so ist es erklärlich, daß sich viele der romantischen russischen Komponisten immer auf historische Themen eingelassen haben. So auch Nikolai Rimski-Korsakow, der mit der Oper "Die Zarenbraut" eine Charakterstudie über den Zaren Iwan ("der Schreckliche") vertont hat.
Rimski-Korsakow war als Brahms-Zeitgenosse ein fortschrittlicher und fast unnachahmlicher Instrumentator. Neben seinen bekannten symphonischen Werken wie "Scheherazade" und der Konzertouvertüre "Russische Ostern" schrieb er auch einige Opern, von denen die schon erwähnte "Zarenbraut" und "Der goldene Hahn" durch das Bolschoi-Ensemble im Theater an der Wien präsentiert wurden.
Dabei wurde wieder bestätigt, daß der russische Komponist als Dramaturg etwas weniger begnadet war. So interessant seine Werke gesetzt sind, so viele Leerläufe gibt es in den Opern, was vor allem in den dreieinhalb Stunden Dauer der "Zarenbraut" oft ermüdend auffiel. Da war der bekanntere "Goldene Hahn" schon weit fesselnder, wenn auch nicht wirklich begeisternd.
Rimski-Korsakow hat einige Werke von Modest Mussorgski bearbeitet, darunter auch die symphonische Dichtung "Eine Nacht auf dem kahlen Berge" und vor allem die Oper "Boris Godunow", die natürlich auch von einem Zaren handelt. Mussorgski hatte hier den genialen Einfall des "Zarenthemas" (Leitmotiv in der Krönungsszene des "Boris"), das Rimski-Korsakow offenbar so gut gefiel, daß er es auch bei der "Zarenbraut" mehrmals verwendete.
Musikalisch waren beide Aufführungen aus einem Guß, was man vor allem den Musikern zu verdanken hatte - in der "Zarenbraut" vor allem dem Grand-Seigneur Gennadi Roschdestwenski, den man wie so viele hervorragende andere Dirigenten in Wien erfolgreich von seinem Posten als Chefdirigent bei den Symphonikern wegintrigiert hat. Der russische Maestro konnte das hervorragende Orchester zu wahren Höhenflügen motivieren. Auch der Dirigent Pawel Klinitschew war beim "Goldenen Hahn" sehr gut, aber leider nicht viel mehr als nur "brav". Da wurde von einem Tag auf den anderen bewiesen, was für einen Einfluß ein Dirigent auf ein Orchester haben kann. Schade, daß es (zumindest für Wiener) wahrscheinlich eine der letzten Begegnungen mit dem großartigen russischen Maestro Roschdestwenski war ...
Die Solisten waren insgesamt auf höchstem Niveau. Hervorheben muß man hier Agunda Kulaeva als Ljubascha und ganz speziell Olga Kultschinskaja als Marfa in der "Zarenbraut". Kulaeva betörte mit ihrem hervorragenden Mezzo, gleichzeitig lieferte Kultschinskaja die größte Überraschung seit langem: Mit einem glockenklaren und höhensicheren Sopran interpretierte sie aufs Innigste die unglückliche, weil unfreiwillige Braut des Zaren, die noch dazu vom Widersacher des Herrschers vergiftet wurde. Beispiellos war Marfas Schluß- und Wahnsinnsszene, die sehr an das Finale von Verdis "Traviata" erinnerte. Hier hat Olga Kultschinskaja der anwesenden Anna Netrebko vorgeführt, daß es einen neuen, echten und absolut unaffektierten Gesangsstar zu hören und entdecken gibt.
Herbert Hiess
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