Musik_Weihnachtsklänge
Kunstvolle Präsente
Alljährlich macht sich der EVOLVER-Klassikexperte Gedanken darüber, welche der Neuerscheinungen des Jahres er als Empfehlung für Musikfreunde auswählen soll. Auch diesmal sind hochinteressante Produktionen dabei, die man nicht verpassen darf. Zur Abwechslung gibt es heuer auch zwei Titel aus anderen Genres dazu - wobei Udo Jürgens ja eigentlich schon zu den Klassikern zählt.
10.12.2012
Udo Jürgens ist nicht nur wegen seiner mittlerweile 78 Lebensjahre ein Klassiker. Trotz dieses fortgeschrittenen Alters ist er auf dem Konzertpodium so präsent, daß sogar Jüngere neidisch werden könnten. Mit seiner Tour Der ganz normale Wahnsinn reiste er heuer kreuz und quer durch die deutschsprachigen Länder, wobei jedes Konzert insgesamt drei Stunden dauerte. Die beiden Wiener Konzerte im Frühjahr und im Herbst gerieten zum Triumph; daher produzierte die Firma Sony für Jürgens-Fans eine Live-CD vom ebenso erfolgreichen Münchner Konzert, auf der die knisternde Atmosphäre deutlich spürbar ist. Jürgens´ aktuelle Lieder sind sogar noch mitreißender als die alten "Hadern". "Du bist durchschaut" (im Reggae-Rhythmus) oder "Der ganz normale Wahnsinn" sind ebenso humor- wie geistvoll; die Pepe-Lienhard-Band und das hervorragende Schweizer Sängerquartett als Begleitung sind beide exzellent.
Die Seer erzeugen österreichisch-alpenländische Winteratmosphäre und vorweihnachtliche Stimmung, ohne dabei in volkstümlich-stumpfsinnige Schunkelgaudi abzurutschen. Die acht Österreicher bringen mit ihrer CD Grundlsee/Winteredition musikalische Freuden in die kalten und dunklen Tage - wobei vehemente Volksmusikgegner naturgemäß auch diese hervorragende Gruppe ablehnen werden.
Klassische Schätze aus den Archiven offenbaren die Verdi-Opern-Compilation der Universal mit Claudio Abbado sowie eine Raritätenbox mit Georg Solti unter dem Namen Solti - The Legacy. Der britische Sir mit ungarisch-jüdischer Abstammung war ein fanatischer und exzentrischer Orchestererzieher, Pianist und musikalischer Gipfelstürmer. Er produzierte seine besten und interessantesten Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern in den legendären Wiener Sophiensälen (erst am Schluß dann im Wiener Konzerthaus). Die Philharmoniker begegneten ihm mit einer Haßliebe und machten den unverzeihlichen und beschämenden Fehler, ihn nie ein Neujahrskonzert dirigieren zu lassen, was aus heutiger Sicht angesichts mancher aktueller Stabwedler geradezu haarsträubend ist. In seinem "Vermächtnis" wird das ganze musikalische Spektrum des großartigen Maestros von 1937 bis 1997 dokumentiert. Wem das noch nicht reicht, dem steht ja Soltis reiches Musikschaffen bei der Decca zur Verfügung; im Wagner-Jahr 2013 wird sein legendärer "Ring der Nibelungen" wohl wieder ganz oben in den Charts landen. (Die Produktion ist angeblich der meistverkaufte Tonträger der Musikgeschichte.)
Der ehemalige Musikdirektor der Wiener Oper, Claudio Abbado, den man in Wien in den vergangenen Jahren regelrecht fallenließ, ist als Protagonist einer 14-CD-Box zu hören, die man auch als Best of Verdi bezeichnen könnte. Da finden sich sämtliche Verdi-Produktionen, die der mittlerweile fast 80jährige bei der Deutschen Grammophon eingespielt hat. Sei es der legendäre "Simone Boccanegra", der französische Original-"Don Carlos", dann "Aida", "Un Ballo in Maschera", der "Macbeth" und nicht zuletzt der "Falstaff", der als einzige Oper nicht mit dem Orchester der Mailänder Scala aufgenommen wurde, sondern mit den Berliner Philharmonikern. Als Solisten sind die Spitzenkräfte der 70er und 80er Jahre zu hören (Domingo, Freni, Ghiaurov, Cappuccilli usw.). Für Opernfreunde ein Leckerbissen!
Plácido Domingo ist vorweihnachtlich auch auf einer CD der Sony mit dem lapidaren Titel Songs vertreten. Mit 14 Nummern beweist er, daß er trotz (oder gerade wegen) seiner nunmehr 46 Jahre währenden Bühnenpräsenz noch immer einer der führenden Welttenöre ist. Seine Fans werden sich über diese neue CD sicher freuen.
Zu guter Letzt sei eine der besten Carmen-Aufnahmen empfohlen, die locker in der Karajan/Maazel/Solti-Liga mitspielen kann. Sir Simon Rattle hat in Berlin die Produktion der Osterfestspiele 2012 aufgenommen, bei der seine Gattin Magdalena Kozena die Titelrolle sang. Kozena und ihr dirigierender Ehemann machen mit den Berliner Philharmonikern aus dieser Aufnahme ein Musikfest. Es ist grandios, wie die Berliner kammermusikalisch jedes Detail ausleuchten. Mit auf dem Besetzungszettel stehen noch Jonas Kaufmann als überzeugender José, Genia Kühmeier als traumhaft schön singende Michaela und als einziger Schwachpunkt Kostas Smoriginas als rauhstimmiger und wenig mitreißender Escamillo. Über Details der Aufnahme könnte man noch lange berichten - das große Duett José-Michaela hat man jedenfalls noch selten so schön und stimmig von Solisten, Chor und Dirigenten gehört.
"Carmen" ist schon seit ihrer Entstehung eine Einstiegsdroge für die lebenslange und unheilbare Opernsucht. Mit dieser Aufnahme könnte man leicht einige Beschenkte "infizieren". Aber Vorsicht - in der CD-Box gibt es keinen diesbezüglichen Beipackzettel!
Herbert Hiess
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