Musik_Marschner und Monteverdi an der Wien
Wehmütiger Abschied
Das Theater an der Wien konnte mit zwei Opernserien zu Saisonbeginn 2015/16 gleich einen Riesenerfolg verbuchen - wobei bei Marschners "Hans Heiling" sogar Hausherr Roland Geyer eine ausgesprochen interessante Regie lieferte. Und im Konzerthaus galt es, mit zwei Spitzenkonzerten Valery Gergiev als Chefdirigent des London Symphony Orchestra zu verabschieden.
04.11.2015
Das Theater an der Wien ist mittlerweile als Treffpunkt für Opernfans bekannt, die Werke abseits vom Wagner/Verdi-Mainstream genießen wollen. Intendant Roland Geyer liebt das Risiko und bringt jede Spielzeit Opernspezialitäten heraus, die ansonsten äußerst selten zu sehen (und zu hören) sind.
Den Anfang machte heuer Heinrich Marschners romantische Oper "Hans Heiling", die man als Bindeglied und Ideenlieferant für Wagner und Weber bezeichnen kann. Beide Komponisten ließen sich offenbar nur allzugern von Marschners Musik inspirieren. Da wird auf einmal klar, woher Weber seine Ideen für die "Wolfsschluchtszene" oder Wagner beispielsweise die Inspiration für den "Holländer" herhatte.
In dem Werk, das irgendwie in der Halbwelt zwischen Geistern und Dämonen spielt, ist Hans Heiling sozusagen der Antiheld. Ganz ähnlich wie in Dvoraks "Rusalka" ist er von den Erdgeistern in die reale Welt aufgestiegen, da er Anna liebt. In Wirklichkeit ist aber die Mutter die einzige und dominante Frau in seinem Leben, das noch dazu von den ödipalen Aktionen dieser Person zerstört wird.
Nach Roland Geyers Scheitern als Regisseur 2012 bei "Hoffmanns Erzählungen" ist ihm dieses Mal eine tatsächlich bravouröse Regiearbeit gelungen. Hier konnte man eine Kombination aus exzellenter Personenführung und Darstellung von Beziehungsgeflechten erleben und bewundern; großartig, wie er diese ödipalen Auswüchse darstellt, ohne die Zuseher mit der Nase darauf zu stoßen.
Mit Angela Denöke als gestörter Königin und Michael Nagy als Antihelden standen Geyer nicht nur Spitzensänger, sondern vor allem phantastische Schauspieler zur Verfügung. Der junge Salzburger Tenor Peter Sonn zeigte hier sein großes Talent, das ihn mit Sicherheit immer häufiger auf die Weltbühnen führen wird.
Die darauffolgende Aufführungsserie war die Komplettierung des Monteverdi-Zyklus mit dem Regisseur Claus Guth. Der Deutsche, der im Sommer Beethovens "Fidelio" in Salzburg verunstalten durfte, lieferte zur großen Überraschung im Theater an der Wien einen großen Wurf. Die Geschichte um den psychisch kranken römischen Kaiser Nero wurde hier in vier Stunden so nacherzählt, daß keine Sekunde Langeweile aufkam. Guth deutete die Grausamkeiten und die Morbidität Neros immer nur an, ohne je ins Ekelhafte abzurutschen. Beeindruckend, wie Nero beispielsweise nach dem unfreiwilligen Selbstmord Senecas das blutige Wasser aus der Badewanne trank.
Der rumänische Countertenor Valer Sabadus ist nicht nur ein Weltklassesänger, sondern noch dazu ein ausgezeichneter Schauspieler. Ebenso stark und präsent war Franz-Josef Selig, der mit seinem profunden Baß Neros Freund und Mentor Seneca personifizierte. Als "Veteranin" konnte man endlich wieder einmal Jennifer Larmore bewundern, die nach wie vor eine große Bühnenpräsenz hat. Mit Jean-Christophe Spinosi, der fast eine Kopie (auch von der Physiognomie her) von Carlos Kleiber ist, hatte man einen Dirigenten zur Hand, der offenbar sehr mit Monteverdis Idiom vertraut ist. Phantastisch, mit welcher Akribie sein Assistent Felice Venanzoni die Partitur rekonstruiert hatte. Dazu muß man wissen, daß Monteverdi bis auf ein paar Stücke zumeist nur die Gesangsstimmen und einen Generalbaß (bezifferter Baß, der vom Musiker mit Harmonien gefüllt werden muß) notiert hat. Die schwierige Arbeit besteht also darin, die Partitur so aufzubauen, daß sie mit der Spielweise im 17. Jahrhundert einigermaßen konform geht.
Zwischen den beiden Opernaufführungen gab es im Wiener Konzerthaus ein Doppelkonzert im Rahmen der Abschiedstournee des London Symphony Orchestra unter Valery Gergiev. Nach einer achtjährigen Erfolgsgeschichte als Chef verabschiedete sich der russische Maestro in Richtung Münchner Philharmoniker - mit dem Trost, daß er wenigstens als Gast immer wieder an der Themse erscheinen wird. Bei den beiden Konzerten, die Strawinsky und Bartok gewidmet waren, brillierten Musiker, Dirigent sowie Solist und ließen eine selbst für Wien ungewohnte Qualität hören. Bronfman spielte sich bei Bartoks "unspielbaren" Klavierkonzerten Nr. 2 und 3 fast die Finger blutig, und Gergiev machte sowohl mit Strawinskys "Feuervogel" und Bartoks "Konzert für Orchester" die beiden Konzerttermine zu einem selten gehörten Fest. Die Münchner Philharmoniker können sich über ihren neuen Chef freuen - und Wien kann nur hoffen, auch in Zukunft nicht leer auszugehen.
Herbert Hiess
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