Musik_Grafenegg 2012 - Teil II
Bravouröser Sommerabschluß
Auch von drei weiteren Konzerten des "Musik-Festivals 2012" in Grafenegg kann der EVOLVER-Klassikexperte nur das Beste berichten. Wenn auch da und dort einige Nadelstiche schmerzhaft spürbar waren (wie die sprachliche Unbeholfenheit eines Textdichters oder die schlechte Akustik bei einem Klavierkonzert) - auch im sechsten Jahr ihres Bestehens wurde die Veranstaltungsreihe begeistert angenommen.
24.09.2012
Fangen wir mit dem Negativen an, damit wir´s hinter uns haben: "Peer Gynt" kann man nicht kaputtmachen - aber der heimische Staatsschriftsteller Franzobel hätte es beinahe geschafft, das dramatische Gedicht Henrik Ibsens zu einer lächerlichen Farce verkommen zu lassen. Der geniale Norweger Ibsen hat es sich wirklich nicht verdient, daß man den Helden seines dramatischen Gedichts als verkommenen Volltrottel darstellt. Wenn dann noch so sprachliche Freiheiten wie "Eiweismond", "wo ist die Zeit nur abgeblieben (!!)" usw. als Würze verabreicht werden, kann auch (die zeitweise übertriebene) Deklamation des Nicholas Ofzcarek dagegen nichts ausrichten. Wenigstens die Musik erhob sich über dieses Elend. Hier brillierten der superb vorbereitete Singverein und die großartigen Tonkünstler quasi um die Wette. Der dänische Dirigent Michael Schønwandt und seine Solisten machten musikalisch wett, was auf der Textseite verbrochen wurde - und sorgten damit trotz allem für eines der erfreulichsten Konzerte 2012.
Den absoluten Spitzenreiter aber produzierte heuer das Gewandhausorchester Leipzig unter seinem Chef Riccardo Chailly. Die Musiker exerzierten eine veritable Lehrstunde in Sachen Mendelssohn und bewiesen, welche musikalischen Schätze der deutsche Komponist (der übrigens auch Gewandhaus-Kapellmeister war) in seinen nur 38 Lebensjahren geschaffen hat. Neben der Ouvertüre zu "Ruy Blas" und "Die schöne Melusine" war im ersten Teil das berühmte Violinkonzert in e-moll das erste Highlight des Abends im Wolkenturm. Das brillante Spiel Nikolaj Znaiders und die grandiose Begleitung des deutschen Meisterorchesters verzauberten offenbar Petrus auch so sehr, daß er das drohende Gewitter rasch wieder vertrieb.
Die Reformationssymphonie Nr. 5 in d-moll (D-Dur) hat man in dieser Form noch selten so gehört wie an diesem Abend. Chailly, ein Anhänger von Urfassungen, vermittelte dem Publikum mit der Fassung von 1830 völlig neue Eindrücke. Erwartete sich das Publikum nach dem 3. Satz (Andante) eine Flötenkadenz als Überleitung zum Choral "Eine feste Burg ist unser Gott", so wurde es mit einem völlig eigenständigen Satz überrascht. Auch das Finale war ganz anders komponiert als in seiner revidierten Fassung. Schade, daß man im Programmheft darauf hinzuweisen vergessen hat ...
Riccardo Chailly und sein Leipziger Orchester machten aus der Symphonie eine selten gehörte Kombination von Spieltechnik, Gefühl und Musikalität. Da war es nur logisch, daß sich die Musiker danach mit dem Hochzeitsmarsch aus Mendelssohns "Sommernachtstraum" bei ihm bedankten.
Das Konzert mit dem London Symphony Orchester konnte leider nicht ganz an den Leipziger Erfolg anschließen (was auch unmöglich gewesen wäre). Mit Beethovens drittem Konzert (gespielt von Emanuel Ax, einem amerikanischen Pianisten mit polnischen Wurzeln) wurde der Abend eröffnet. Ax litt allerdings an einer nicht ganz ausgewogenen Verstärkung des Klaviers im Wolkenturm. Während das Orchester hier brillant spielte, wurde der zeitweise "leere" Klang des Klaviers ärgerlich. Nicht daß es zu leise geklungen hätte - die Klangfülle hat einfach gefehlt.
Nach der Pause spielte das Orchester unter dem Amerikaner Michael Tilson Thomas die 1. Symphonie in D-Dur von Gustav Mahler. Das symphonische Einstiegswerk des österreichischen Komponisten stellt höchste Ansprüche an die Musiker. Das ist wohl mit ein Grund dafür, daß der EVOLVER-Klassikexperte dieses Werk noch nie fehlerfrei in einem Konzert erleben durfte. Auch an diesem Abend im Wolkenturm waren einige ordentliche Schnitzer zu hören. Schade, daß Tilson Thomas seine vielfach interessanten interpretatorischen Intentionen nicht wirklich durchbringen konnte. Trotzdem war es ein hochinteressanter Abend.
Nach der gelungenen Saison 2012 kann die Grafenegger Intendanz ruhigen Gewissens das Jahr 2013 planen. Wenn es so weitergeht, wird auch die nächste Spielzeit ein riesiger Erfolg. Garantiert.
Herbert Hiess
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