Musik_Tonkünstler in Grafenegg
Dirigenten-Vergleichstest
Die Niederösterreichischen Tonkünstler sind im Jahr 2014 besonders oft im Einsatz - sowohl bei den bereits vergangenen Sommerkonzerten als auch beim Grafenegg-Festival. Wie unterschiedlich ein und dasselbe Orchester mit zwei verschiedenen Dirigenten klingen kann, bewies es sehr eindrucksvoll innerhalb nur einer Woche.
12.09.2014
Mit einer Zusammenstellung von Opernausschnitten und Symphonik des Jahresregenten Richard Strauss wurde die Eröffung des Festivals zelebriert. Unter dem Orchesterchef Andres Orozca-Estrada spielten die Tonkünstler gemeinsam mit namhaften Solistinnen ein zumindest auf dem Papier interessantes Programm.
Angefangen von der Tondichtung "Don Juan" über Ausschnitte aus den Opern "Capriccio" und "Der Rosenkavalier" bis hin zur Suite aus dem "Rosenkavalier" wollte das Orchester seine Affinität zu dem Komponisten zeigen. Leider blieb es nur bei dem Versuch, da der scheidende Chefdirigent kolumbianischer Abstammung (der mittlerweile österreichischer Staatsbürger ist) alles dazu tat, um ja keine Stimmung aufkommen zu lassen.
"Don Juan" klang hektisch und knallig; die elegischen Momente (vor allem das herrliche Oboensolo) wurden regelrecht zertrümmert. Problematisch waren teilweise die Sängerinnen, allen voran Angela Denoke. Sie hatte nicht ihren besten Tag, weder als Gräfin Madeleine in "Capriccio" noch als Marschallin im "Rosenkavalier". Ihre Stimme klang fahl und manchmal brüchig, was man von ihr gar nicht gewohnt ist. Daniela Fally war weit besser - sie versteht es stets, mit ihrem glockenhellen Sopran zu bezaubern. Leider ließ ihr Orozca-Estrada keine Chance, die einzigartige Kantilene bei der "Überreichung der silbernen Rose" auszusingen. Das Schlußterzett der Oper gelang da weit besser.
Das Ereignis des Abends war jedoch Marina Prudenskaya, die mit ihrem wunderschönen und fülligen Mezzo als Oktavian begeistern konnte. Sie war schon 2013 als Azucena in der vertrottelten Wiener Festwocheninszenierung von Verdis Il Trovatore der einzig wirkliche Lichtblick. Die St. Petersburgerin ist ein echter Stern am Opernhimmel.
Am Ende des Konzerts spielten die Tonkünstler noch die "Rosenkavalier"-Suite, in der man all die gesungenen Stellen des Abends noch einmal symphonisch instrumentiert hören konnte. Auch hier hatte man nur den Eindruck einer fahrigen und hektischen Wiedergabe.
Genau eine Woche später war das Orchester unter dem phantastischen Dirigenten Kent Nagano zu hören - und zwar diesmal auf Weltklasseniveau. Gegeben wurde als Uraufführung eine Suite aus Jörg Widmanns Oper "Babylon". Das Stück klingt am Anfang eher konstruktivistisch, wird aber im Lauf seiner etwa 30minütigen Dauer immer interessanter. Widmann, ein hervorragender Klarinettist und "Composer in Residence 2014" in Grafenegg, versteht es brillant, eigene Ideen und musikalische Zitate (z. B. aus dem Marsch "Holzhackerbuam" des Wiener Komponisten Josef Wagner oder dem englischen Volkslied "Scarborough Fair") ineinander zu verflechten. Seine Oper, die 2012 in München uraufgeführt wurde, handelt von einer verbotenen Liebe in der Stadt Babylon zwischen einer Babylonierin und einem jüdischen Exilanten. Auch in der Musik wurde zeitweise die babylonische Verwirrung hörbar.
Kent Nagano war schon Dirigent der Uraufführung in München; auch hier in Grafenegg spornte er das Orchester zu Höchstleistungen an. Den Maestro mit den japanischen Wurzeln jedoch immer als Spezialisten für moderne Musik zu bezeichnen, ist nur die halbe Wahrheit - anhand von Mozarts Klarinettenkonzert (dessen Solo übrigens der Komponist Widmann spielte) demonstrierte er nämlich, daß er auch in Sachen österreichischer Klassik mitreden kann. Dirigent, Orchester und Solist zelebrierten vor allem das Adagio mit seinen unendlichen melodischen Bögen und schufen hier eine Symbiose der Musikalität.
Genauso verhielt es sich bei der 4. Symphonie von Gustav Mahler. Auch hier verstand es Nagano, die Musiker über sich selbst hinauswachsen zu lassen. Jede Stimmengruppe war klar zu hören, wobei aber niemals das Gesamtkunstwerk verlorenging. Der zweite Satz klang mit seinen Landlern so skurril, wie er klingen soll, und vor allem das Adagio war mehr als berührend - und das ganz ohne Zuckerguß. Zu guter Letzt besang die Schwedin Camilla Tilling die himmlischen Freuden, und der Schlußapplaus ließ hören, daß man da am 21. August 2014 eine wahre Sternstunde erleben hatte dürfen.
Eine russische Journalistin vertrat die Ansicht, es sei schade, daß Nagano nicht der neue Chef der Tonkünstler wird; nach diesem großartigen Konzert kann sich der EVOLVER-Klassikexperte ihrer Meinung nur anschließen. Der unprätentiöse Künstler ist in Österreich viel zu wenig bekannt - was sich mit dem neuen Buch "Erwarten Sie Wunder" von Inge Klopfer (Berlin-Verlag) ändern sollte. Der hochintelligente und sehr menschlich porträtierte Musiker erzählt darin vor allem von seinen Sorgen über die Zukunft der klassischen Musik. Die Realität gibt ihm traurigerweise durchaus recht; dümmliche Politiker und Sparsamkeit am falschen Platz höhlen die Klassik - die Nagano als wesentlichen Bestandteil der menschlichen Kultur sieht - mehr und mehr aus.
Der Dirigent setzt derzeit seinen Beethoven-Zyklus bei Sony fort (Symphonien 2 und 4) und bringt demnächst beim Label Edel eine Neuaufnahme der Beethovenschen Klavierkonzerte (inkl. Tripelkonzert) heraus. Letzteres dürfte höchst interessant werden, da Naganos Frau Mari Kodama Solistin bei dieser Aufnahme ist.
Herbert Hiess
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