Musik_Wiener Festwochen 2015 und Grafenegg 1

Musikalischer Sommerbeginn

Die Wiener Festwochen 2015 schlossen musikalisch mit einer beispiellosen Aufführung von Bartoks "Herzog Blaubart"; die Grafenegger Saison begann mit drei Konzerten mit dem Hausorchester des Festivals, die leider etwas uneinheitlich waren. Hier erfahren Sie, wie ein Dirigent ein Konzert maßgeblich beeinflussen kann!    21.07.2015

Die große deutsche Regisseurin Andrea Breth gab bei den Wiener Festwochen ihren Opern-Regieeinstand mit Bela Bartoks "Herzog Blaubarts Burg" und machte aus dem schon an sich blutrünstigen Sujet einen 50minütigen Horror-Psychotrip.

Das Märchen "Blaubart" erzählt über gewisse menschliche Eigenschaften, von Beziehungsschwäche bis hin zur (todbringenden) Neugier; diese Schwäche wird von Judith verkörpert, die für Blaubart ihre Eltern und ihren Verlobten verläßt, um ihrem Liebsten in die düstere Burg zu folgen. Doch das verbotene Zimmer, das sie sich irgendwann mit ihren drei Vorgängerinnen teilen muß, ist letztlich Judiths Untergang.

Andrea Breth nutzte die Drehbühne, um die Wanderung von Zimmer zu Zimmer zu zeigen. Die düstere Burg wurde immer heller; bei der Folter- oder Waffenkammer und beim Tränensee waren immer alte Männer als Verlierer zu sehen, bis im siebten Zimmer die Burg wieder in die alte Düsternis verfiel. Es war einfach atemberaubend, wie Frau Breth mit Symbolik die Stationen andeutete, ohne bluttriefende Bilder zu zeigen.

Der zweite Teil "Geistervariationen" dagegen war ein formidabler Flop, der nichts anderes als eine peinliche "Performance" war. In der Kulisse eines Hotels (oder einer psychiatrischen Anstalt?) agierten lauter ältliche Personen vor sich hin - ohne jeglichen Sinn oder irgendeine Bedeutung zu vermitteln. Das ganze Spektakel dauerte 50 Minuten und war nur auszuhalten, weil man auf die letzten zehn Minuten wartete, in denen Elisabeth Leonskaja unsichtbar Schumanns spätromantische Variationen zelebrierte. Breth schoß sich mit dieser "Burleske" selbst ins Knie; um ein Haar hätte sie mit der eigenartigen Aufführung ihre großartige Regiearbeit von "Blaubarts Burg" zerstört.

So oder so hatten der großartige und bei uns weithin unterschätzte Dirigent Kent Nagano, die Sänger Gabor Bretz und Nora Gubisch sowie das hervorragende Gustav-Mahler-Jugendorchester einen gewaltigen Anteil an der Opern-Sternstunde.

 

 

Der "Grafenegger Kultursommer" 2015 begann mit drei Konzerten des Hausorchesters (Niederösterreichische Tonkünstler), die unterschiedlicher nicht sein konnten. Da wurde auch wieder eindrucksvoll bewiesen, wie sehr das Orchester von Dirigenten abhängig ist. Bei wirklich guten Orchesterleitern können die Musiker über sich hinauswachsen, während es bei eher schwächeren Dirigenten zeitweise mühsam und schmerzhaft für sie sein kann, dem Mann am Pult zu folgen.

Beim ersten Konzert unter dem Deutsch-Asiaten Jun Märkl spielte man Werke mit italienischem Einschlag. "Capriccio Italien" war nicht nur das Motto des Abends, sondern auch als Entrée in Form des gleichnamigen Werks von Pjotr Iljitsch Tschaikowski zu hören. Schon hier war es eine Freude, den Musikern bei ihrem brillanten Spiel zuzuhören. Das steigerte sich dann noch bei Nino Rotas Suite zu Felllinis Film "La Strada" und letztlich Mendelssohn-Bartholdys "Italienischer Symphonie" Nr. 4 in A-Dur.

Ebenso interessant war die "spanische Nacht", die man genau eine Woche später gab. Unter dem Titel "Viva España" packte man Orchesterreißer diverser Komponisten zu einer formidablen Reise in den  Süden. Der südamerikanische Dirigent Giancarlo Guerrero ließ Musikwerke mit Spanien-Einschlag großartig erklingen; der echte Höhepunkt war Rimsiki-Korsakows "Capriccio Espagnol", das beim Publkikum immer zieht.

Das dritte Konzert mit dem Titel "Große Deutsche Opernchöre" war hingegen beinahe ein Flop. Der deutsche Dirigent Claus Peter Flor ist wahrlich keine charismatische Erscheinung, was letztlich ein Hindernis für einen großen Erfolg war. Es fing damit an, daß der Chor (vor allem der Damenchor) nicht wirklich ausgelastet war. Chorstücke waren eher selten zu hören - und die wenigen waren aufführungsmäßig weit von jeder Spitzenklasse entfernt.

Chor und Orchester wirkten ungewohnt unkonzentriert. Flor schaffte es nicht, die Musiker wirklich auszubalancieren. Manchmal hatte man das Gefühl, ein Konzert für Baßtuba bzw. Piccoloflöte zu hören. Letztere pfiff sich fröhlich durchs Programm; offenbar war es der Flötistin gleichgültig, ob sie damit die restliche Musik unangenehm übertönte oder nicht.

Die verschiedenen Chöre von Otto Nicolai bzw. Richard Wagner hätten ein Konzert-Hit werden können, wenn die Aufführung nicht so eigenartig gewesen wäre. Schade, daß Claus Peter Flor damit eine Riesenchance vergeben hat. Wenigstens war das Konzert eine Chance für den Tenor Peter Sonns, den man dank seiner durchschlagskräftigen Stimme bei einigen der deutschen Arien exzellent hören und als Talent entdecken konnte.

Herbert Hiess

Bela Bartok - Herzog Blaubarts Burg (Geistervariationen)

ØØØØ 1/2

Oper in einem Akt und Performance

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Regie: Andrea Breth

 

Solisten: Gabor Bretz, Nora Gubisch

 

Gustav-Mahler-Jugendorchester/Kent Nagano

 

Elisabeth Leonskaja, Klavier ("Geistervariationen")

 

Wiener Festwochen 2015/Theater an der Wien

 

Premiere: 19. Juni 2015

Reprisen: 21., 23. und 25. Juni 2015

 

(Photo: Bernd Uhlig)

Links:

Capriccio Italien

ØØØØØ

Orchesterkonzert

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Niederösterreichisches Tonkünstlerorchester/Jun Märkl

 

Werke von Pjotr I. Tschaikowski, Nino Rota und Felix Mendelssohn-Bartholdy

 

Konzert am 27. Juni 2015 im Auditorium/Grafenegg

Links:

Viva España

ØØØØ

Orchesterkonzert

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Solist: Javier Perianes, Klavier

Niederösterreichisches Tonkünstlerorchester/Giancarlo Guerrero

 

Werke von Richard Strauss, Manuel de Falla, Claude Debussy und Nikolai Rimski-Korsakow

 

Konzert am 4. Juli 2015 im Wolkenturm

Links:

Große Deutsche Opernchöre

ØØ 1/2

Orchesterkonzert

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Solist: Peter Sonn, Tenor

 

Tschechischer Philharmonischer Chor, Brünn

Niederösterreichisches Tonkünstlerorchester/Claus Peter Flor

 

Werke von Lortzing, Flotow, Weber, Nicolai und Wagner

 

Konzert am 11. Juli 2015 im Wolkenturm, Grafenegg

Links:

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