Musik_Gergiev und Buchbinder live
Heißes Wiener Konzertwochenende
Rudolf Buchbinder und Valery Gergiev bescherten den Klassikfreunden in Wien ein fulminantes Konzertwochenende. Der Pianist brillierte mit den Beethoven-Klavierkonzerten im Theater an der Wien, und das Mariinski-Ensemble demonstrierte tags darauf, daß die Wiener Staatsoper und die Philharmoniker starke Konkurrenz haben.
04.11.2013
Als Vorbereitung zur großen Japan-Tournee der Wiener Philharmoniker nutzte Rudolf Buchbinder die Gelegenheit, wieder einmal in der Doppelrolle als Pianist und Dirigent aufzutreten. Noch dazu wurde im Theater an der Wien seine neue CD mit den Klavierkonzerten von Ludwig van Beethoven aus dem Musikverein präsentiert. Diese großartig gelungene Aufnahme stammt aus dem Jahre 2011 und ist sozusagen ein Nebenprodukt der Videoaufzeichnungen dieser Konzerte.
Nur befand sich Maestro Buchbinder beim aktuellen Konzert nicht in der sanft-gnädigen Akustik des Musikvereinssaals, sondern in der hochkomplexen Umgebung des Theaters an der Wien. In der offenen Kulisse der aktuellen Produktion von "A Harlot´s Progress" spielten die Philharmoniker in konventioneller Orchesteraufstellung, wobei Buchbinders Steinway-Flügel ebenso konventionell quer zum Orchester stand und der Pianist damit mit Blick zu den Bratschen saß.
Wie immer schluckte die schwierige Konzertakustik des Theaters an der Wien die Klänge der Holz- und Blechbläser (inklusive Schlagwerk), während Klavier und Streicher überproportional laut klangen. Das hatte zur Folge, daß Beethovens Dialoge zwischen Klavier und Bläsern bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurden.
Ungeachtet dessen musizierten (im besten Sinne des Wortes) Buchbinder und die Philharmoniker mehr als bravourös; ganz abgesehen von der körperlichen Leistung waren Pianist und Orchester exzellent und homogen. Mit Rainer Küchl hatte Buchbinder noch dazu die denkbar beste Unterstützung. Mögen die Konzerte Nr. 1 und Nr. 2 noch relativ einfach vom Klavierhocker zu leiten sein, so verlangt Nr. 5. in Es-Dur normalerweise einen exzellenten Dirigenten. Mit Konzertmeister Küchl gemeinsam gelang Buchbinder das, woran Daniel Barenboim im gleichen Haus 2008 scheiterte - nämlich, ein Kunstwerk aus diesem schwierigen Musikstück zu schaffen.
Noch ein Tip in Sachen schwierige Akustik: Wie einfach wäre es gewesen, Bläser inklusive Pauke anstelle der Bratschen zu setzen. Damit hätte Buchbinder die Musiker bequem im Blickfeld gehabt, und die Akustik wäre um Klassen besser gewesen. Schade um diese vergebene Chance.
Weltklasse demonstrierte am Tag danach Star-Maestro Valery Gergiev mit seinem Mariinski-Ensemble im Wiener Konzerthaus. Der russische Dirigent präsentierte mit den St. Petersburgern Hector Berlioz´ Opern-Koloß "Les Troyens". Mit zwei Pausen dauerte die Erzählung von den Nachkriegswirren um Troja fast fünf Stunden. Kaum hatte der charismatische Dirigent das Podium betreten, knisterte die Spannung die ganze Zeit über ungebrochen. Das hochvirtuose Orchester brillierte in allen Facetten, ob beim fast unhörbaren Pianissimo oder beim extremen Fortissimo.
Der französische Komponist Berlioz war fast ein Zeitgenosse Beethovens und in Sachen Instrumentation mehr als experimentierfreudig. So kann man bei ihm etwa Orchesterklänge vernehmen, die zu Beethovens Zeit noch regelrecht "unerhört" waren. Gergiev hat mit dieser berauschenden Aufführung bewiesen, daß er trotz seines enormen Terminpensums in der Lage ist, sich auch derart anspruchsvoller Werke anzunehmen.
Das Atout des russischen Maestros sind nicht nur Orchester und Chor des Mariinski-Theaters, sondern auch das Aufgebot der Weltklassesolisten, die wahrscheinlich viele Intendanten vor Neid erblassen lassen. Besonders beeindruckend waren Ekaterina Semenchuk - die Salzburger Eboli von 2013 - als Dido und Sergej Semishkur als heldisch klingender tenoraler Aeneas. Mit einem mörderisch schweren Lied brillierte darüber hinaus Alexander Timchenko als Hylas.
Wegen der akustischen Malaise war Buchbinders Auftritt leider eine Sternstunde mit Abstrichen, während Gergiev das Wiener Konzerthauspublikum am Tag darauf in die musikalische Königsliga führte. Wer das Pech hatte, das Konzert zu versäumen, dem sei der Auftritt Gergievs mit seinem London Symphony Orchestra am 9. November 2013 im St. Pöltner Festspielhaus ans Herz gelegt. Mit einem reinen Berlioz-Programmm (inkl. der "Symphonie fantastique") steht damit wohl die nächste Sternstunde auf dem Programm. Tonträgerkonsumenten sollten auch Gergievs Spitzenproduktionen mit Marrinski und dem London Symphony Orchestra ihre Aufmerksamkeit schenken.
Herbert Hiess
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