Musik_Berliner Philharmoniker

Duell der Dirigenten

Anläßlich der mißlungenen Wahl eines neuen Chefdirigenten waren die Berliner Philharmoniker in letzter Zeit stark in den Medien präsent. Das Meisterorchester ließ sich davon allerdings nicht zu sehr beeindrucken - und erobert den Klassikmarkt mit zahlreichen Neuveröffentlichungen.    16.07.2015

Die Wahl des Nachfolgers von Sir Simon Rattle 2015 warf ein deutliches Licht auf den traurigen Zustand des heutigen "Dirigentenmarkts". Favorisierte Anwärter auf den Posten waren Gustavo Dudamel, Andris Nelsons und Daniel Barenboim - und man mußte befürchten, daß tatsächlich einer der drei Taktstockschwinger auserkoren wird. Erfreulicherweise haben die Musiker dann doch die richtige Entscheidung gefällt und die Wahl um ein Jahr verschoben.

Das Weltklasseorchester mit seinen geschichtsträchtigen musikalischen Leitern würde schließlich endgültig seinen Ruf aufs Spiel setzen, da schon Karajans Nachfolger Abbado und Rattle es sukzessiv in die Mittelmäßigkeit geführt haben. Einer der drei erwähnten Kandidaten wäre aus heutiger Sicht der sichere Garant für einen weiteren Abstieg.

 

 

Manchmal muß man tatsächlich in die Vergangenheit zurückhören, um sich daran zu erinnern, wie toll die Berliner Philharmoniker tatsächlich klingen können. Der jetzige Chef Sir Simon Rattle überrascht in den vom Orchester selbst aufgelegten Boxen mit beiden Bach-Passionen, die vom britischen Regisseur Peter Sellars überwältigend in Szene gesetzt wurden. Auf der DVD kann man Jesus Leiden und Sterben in bedrückender Inszenierung miterleben; dank der hervorragenden Solisten und Chöre sowie vor allem der hervorragenden Berliner werden hier beide Leidensgeschichten von Bach zum Ereignis. Besser hätte man das nicht zusammenfassen können.

Ein Dokument der besonderen Art ist auch die Neuerscheinung von Schubert-Werken unter Nikolaus Harnoncourt. Der eigenwillige Maestro, den man einmal schwer vermissen wird, lehrt hier seine besondere Sicht auf den genialen Biedermeier-Komponisten. Ein besonderes Schmankerl bei ihm sind immer die Scherzi, wo er mit Spaß an der Freud´ das "Landlerhafte" demonstriert. Aber auch die langsamen Sätze sind von unendlicher Musikalität erfüllt. Allein der Finalsatz der kleinen C-Dur-Symphonie Nr. 6 ist die ganze Box wert. Es ist ganz wunderbar, wie sehr Harnoncourt das "moderato" des Allegros im Finalsatz wörtlich nimmt; hier wird jede noch so minimale Phrasierung hörbar. Die Neuerscheinung stellt Harnoncourts Einspielung der Symphonien mit dem Concertgebouw-Orchester aus dem Jahre 1993 mühelos in den Schatten. 

 

 

Nicht mit den Berliner Philharmonikern, sondern mit dem Orchestra Mozart hat der leider mittlerweile verstorbene Claudio Abbado Schuberts "Große C-Dur"-Symphonie aufgenommen. So schön transparent und interessant die Aufnahme klingt - an das Monumentale eines Böhm, Karajan oder Harnoncourt reicht sie absolut nicht heran, ist aber für überzeugte Abbado-Anhänger trotzdem ein Muß.

Natürlich darf man auch auf den großen (wenn nicht gar größten) Ex-Chef der Berliner nicht vergessen: Herbert von Karajan. In einer 70-CD-Box gibt es nun alle bei Universal von ihm aufgenommenen Opern, ergänzt um einige hochinteressante Live-Mitschnitte von den Salzburger Festspielen. Mit den Berlinern eingespielt wurden da beispielsweise "Parsifal", "Carmen", "Die Lustige Witwe", "Die Zauberflöte", "Don Giovanni" usw. Über die Qualität der Aufnahmen braucht man nicht mehr zu diskutieren. Spätestens hier wird klar, was das Orchester unter Karajan gehabt hat - und daß diese Ära nie mehr zu übertreffen sein wird.

 

Herbert Hiess

Johann Sebastian Bach - Johannespassion

ØØØØØ

Live aus der Berliner Philharmonie

Leserbewertung: (bewerten)

Camilla Tilling, Mark Padmore, Christian Gerhaher u. a.

 

Rundfunkchor Berlin

Berliner Philharmoniker/Sir Simon Rattle

 

Inszenierung: Peter Sellars

 

DVD/Blu-ray-Box

 

Label der Berliner Philharmoniker/D 2014

Links:

Johann Sebastian Bach/Matthäuspassion

ØØØØØ

Live aus der Berliner Philharmonie

Leserbewertung: (bewerten)

Camilla Tilling, Magdalena Kozena, Mark Padmore, Christian Gerhaher u. a.

 

Rundfunkchor Berlin

Berliner Philharmoniker/Sir Simon Rattle

 

Inszenierung: Peter Sellars

 

DVD/Blu-ray-Box

 

Label der Berliner Philharmoniker/D 2014

Links:

Franz Schubert - Symphonien, Messen, "Alfonso und Estrella"

ØØØØØ

Live aus der Berliner Philharmonie

Leserbewertung: (bewerten)

div. Sänger und Solisten

 

Rundfunkchor Berlin

Berliner Philharmoniker/Nikolaus Harnoncourt

 

Live aus der Berliner Philharmonie

 

CD/Blu-ray-Box

 

Label der Berliner Philharmoniker/D 2015

Links:

Franz Schubert - Symphonie Nr. 7 in C-Dur (D944)

ØØØØ

Live-Mitschnitt

Leserbewertung: (bewerten)

Orchestra Mozart/Claudio Abbado

 

Deutsche Grammophon/Universal (D 2015)

Links:

Karajan - The Opera Recordings

ØØØØØ

70-CD-Box

Leserbewertung: (bewerten)

alle Opernproduktionen bei Universal (Deutsche Grammophon, Decca, Philips)

 

div. Solisten

 

Berliner Philharmoniker/Wiener Philharmoniker/Orchester der Mailänder Scala

Herbert von Karajan

 

 

Deutsche Grammophon/Universal (D 2015)

Links:

Kommentare_

Martina - 25.10.2015 : 19.48
Abbado hat also die Berliner Philharmoniker in die Mittelmäßigkeit geführt.... Diese Aussage kommt als "post-it" an meine Beethoven Symphonien!

Musik
Weihnachtliche Musiktips im Corona-Jahr

Geschenktips für Klassikfreunde

Hören darf man heuer auch ganz ohne Maske. Grund genug für den EVOLVER-Klassikexperten Herbert Hiess, seine Musiktips für die Weihnachtszeit unter den virtuellen Christbaum zu legen.  

Musik
Orchesterkonzert der Wiener Philharmoniker

Seltsame Zeiten

Nicht nur Thomas Angyan, der zukünftige Ex-Chef des Wiener Musikvereins, hätte sich den Abschluß seiner Karriere - ebenso wie Staatsoperndirektor Dominique Meyer - anders vorgestellt. Wie so viele Kulturschaffende gingen beide der angeblichen Pandemie in die Falle.  

Print
Rudolf Buchbinder im Interview

Reise durch den Beethoven-Kosmos

Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem mehr zu erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende Star-Pianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff - und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf.  

Musik
Wiederaufnahme in der Berliner Staatsoper

Carmen in der Corona-Krise

Pech oder Schicksal - wie auch immer man es bezeichnen mag: Daß die großartige Berliner "Carmen" schon nach der zweiten Aufführung von Amts wegen gestoppt werden musste, hätte sich niemand gedacht. Jetzt kann man sie wohl einige Zeit nur als Stream oder Aufzeichnung betrachten. Die Staatsoper unter den Linden zeigt mit ihr jedenfalls, daß sie dank ihrer hervorragenden Musiker viele der angeblichen Spitzenhäuser übertrifft.  

Stories
"Der Vorname" in den Kammerspielen

Makabre Wohnzimmerkomödie

Wie Political Correctness als brutale Verlogenheit entlarvbar ist, zeigt das Stück "Der Vorname" des Autorenduos Patellière und Delaporte. Herbert Hiess hat es in den Kammerspielen erlebt.  

Musik
Last-Minute-Ideen für Klassikliebhaber

Weihnachtliche CD-Tips aus Wien

Alle Jahre wieder ... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der "Streß", der oft zu Geschenkskäufen in letzter Minute führt. Um Verlegenheitsgaben wie Socken oder Bonbonnieren zu umgehen, hat der EVOLVER-Klassikexperte einige Tips zusammengestellt, die nicht nur eingefleischten Klassikliebhabern Freude bereiten werden.