Musik_Bach und Beethoven/Osterklang 2012
Die Akustikfalle
Anläßlich des heurigen "Osterklang"-Festivals wurde eindrucksvoll bewiesen, daß ein Konzert mit einem Meisterorchester und relativ prominenter Besetzung weitaus belangloser sein kann als eine Veranstaltung mit einem schwächeren Orchester. Die Wiener Philharmoniker scheiterten an der Akustik des Hauses an der Wien, während ein englisches Ensemble drei Tage später ebendort brillierte.
11.04.2012
Das Festival ist mittlerweile etwas in die Jahre gekommen; immerhin beging man heuer bereits die 16. Wiederkehr dieser Veranstaltungsreihe. Das heißt aber nicht, daß die Veranstaltungen verstaubt wären - im Gegenteil: Immer wieder werden spezielle Ensembles und Künstler eingeladen, die man ansonsten selten hört.
Zur liebgewordenen Ostertradition gehört es jedoch, daß die Wiener Philharmoniker die Eröffnung bestreiten - einst im Wiener Musikverein, heute im Theater an der Wien. Und das ist für jedes größere Symphonieorchester sowie für Chor und Solisten eine ernste Herausforderung. Das Haus weist nämlich eine der heimtückischsten Akustik-Konstellationen der Stadt auf. Dennoch baut man dort immer wieder eine größere Konzertmuschel auf, läßt aber zugleich den Schnürboden offen. Man kann sich bildlich vorstellen, wie die Klänge aus den hinteren Reihen (Holz- und Blechbläser, Schlagwerk, Chor) zum Großteil nach oben entschwinden, während man die Streicher direkt im Publikum spielen hören kann. Wenn sich ein Dirigent und ein Meisterorchester wie die Philharmoniker einer solchen Herausforderung stellen, sollte man wenigstens auf diese Gegebenheiten Rücksicht nehmen.
Genau das Gegenteil war der Fall. Der sogenannte Jungstar Philippe Jordan wachelte mit übermäßigen Bewegungen durch das Beethoven-Programm, während das Orchester eher lustlos Partitur und Armbewegungen exekutierte. Lustig war anzusehen, wie der massige Johan Botha so knapp neben Jordan stand, daß der Dirigent kaum den rechten Arm ausstrecken konnte.
Nur haben auch all die Bewegungen nicht wirklich genützt. Die zweite Symphonie in D-Dur war mehr als belanglos heruntergespielt; das österliche Oratorium "Christus am Ölberge" schön gespielt und gesungen - doch durch die Akustik und Bothas immense Lautstärke wurden die Feinheiten des großartigen Chorwerkes rasch zunichte gemacht. Botha kennt offenbar nur "laut", "sehr laut" und "weniger laut"; offenbar war ihm nicht bewußt, daß er hier den leidenden Jesus Christus darstellen sollte und nicht einen Bravour-Tenor aus einem Opernhaus. Die philharmonischen Bläser und den Chor vermeinte man dank der Akustik überhaupt nur von der nordwärts gelegenen Mariahilfer Straße zu hören.
Ganz anders klang drei Tage danach Johann Sebastian Bachs "Johannes-Passion". Die englischen Ensembles Orchestra of the Age of Enlightenment und Polyphony sind vielleicht nicht gerade die Spitzenreiter ihres Fachs, doch mit welcher Sinnlichkeit und Bravour sie Jesus' Leidensgeschichte zum Vortrag brachten, das sucht seines gleichen. Sowohl die Choräle als auch die Fugen und Rezitative waren hochpräzise intoniert.
Maestro Stephen Layton dirigierte äußerst konzentriert jeden Takt aus, während die hervorragenden Solisten (traumhaft schöner Gesang von Sopran Carolyn Sampson und Baß Neal Davis als Jesus) und der Chor mit einer besseren Aussprache begeisterten als viele deutschsprachig aufgewachsene Künstler - allen voran der singuläre Tenor Ian Bostridge als Evangelist. Seine brillante Tenorstimme begeistert mit ihren Farben und Schattierungen, wobei jede Phrase und jeder Ton sitzen. Wie direkt man dabei Jesu Leiden und Schmerzen mitfühlen konnte, das war geradezu unnachahmlich.
Herbert Hiess
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