Musik_Brahms im Wiener Konzerthaus
Philharmonischer Tourneestart
Daniele Gatti, einer der besten heutigen Dirigenten, präsentierte im Konzerthaus mit den Wiener Philharmonikern einen Teil des Brahms-Zyklus, der demnächst in der New Yorker Carnegie Hall zelebriert werden soll. Daß der Abend hervorragend begann und leider nur mittelmäßig endete, lag hoffentlich nur an der Tagesverfassung der Künstler und/oder des EVOLVER-Rezensenten.
17.02.2015
Die großartige Brahms-Tradition der Wiener Philharmoniker ist nicht zuletzt durch die enge Verbindung von Johannes Brahms mit dem Ensemble begründet; auch deshalb kann man das Weltklasseorchester als Vorzeigeinterpret in Sachen Brahms bezeichnen.
Maßstabsetzende Dirigenten wie Karajan, Furtwängler, Böhm, Giulini, Bernstein usw. legten die Latte für Interpretationen seines symphonischen Œuvres extrem hoch; da hat es selbst ein so hervorragender Maestro wie der Italiener Daniele Gatti recht schwer, dieses Niveau auch nur annähernd zu erreichen. Das war bei dem Vorkonzert zur USA-Tournee im Wiener Konzerthaus manchmal mehr als deutlich hörbar.
Gatti setzt stets auf klare Zeichengebung und Strukturen, ohne daß dabei der musikalische Zusammenhang verlorengeht. Das Konzert begann mit der 3. Symphonie in F-Dur, die kompositorisch etwas ganz Besonderes ist - vor allem deswegen, weil das Hauptmotiv des ersten Satzes in der Coda des Finalsatzes quasi als "gedanklicher Ausklang" hörbar ist (diese Motivtechnik kommt in der Romantik höchst selten vor). Gatti nahm den ersten Satz "Allegro con brio" recht getragen und breit; faszinierend, wie er und die Philharmoniker trotzdem die Spannung hielten. Auch das "Andante" (2. Satz) war von betörender und seelenvoller Schönheit. Leider waren der dritte und der vierte Satz dynamisch nicht sehr ausgefeilt. Das ohrwurmlastige "Poco Allegretto" floß irgendwie vorbei (hervorragend aber das Hornsolo) und der Finalsatz, der mit den gedämpften Streichern fast flüsternde Kaskaden hörbar machen sollte, begann viel zu laut und zu wenig geheimnisvoll.
So ähnlich ging es in der 1. Symphonie weiter; hier wurde sogar noch weniger zwischen Fortissimo und Pianissimo differenziert. Der Paukist setzte viel zu wenige Akzente; die "Nachschläge" in der Coda des Finalsatzes, die normalerweise zu den Höhepunkten gehören, waren kaum bemerkbar. Im Finale ging überhaupt die ganze Spannung verloren - so setzte etwa die Blechbläserhymne in der Finalsatz-Coda fast ohne Steigerung ein.
Daniele Gatti ist ein hervorragender und sympathischer Dirigent; bei Brahms muß er es sich halt gefallen lassen, an seinen prominenten Vorgängern gemessen zu werden. Bis zur Tournee ist aber noch etwas Zeit; vielleicht kann er die paar Hänger bis dahin ausmerzen.
Herbert Hiess
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