Musik_UNKLE - Never Never Land

Alone with Everybody

James Lavelle bleibt auch ohne Partner DJ Shadow eine unumstößliche Instanz im TripHop - und bastelte trotz fortwährender Kritik eine nahezu perfekte Platte zusammen.    28.11.2003

Das Intro faßt die Situation zusammen: "Life goes back and forth, back and forth" erklärt die Stimme, bevor ein gesampelter Ozzy Osbourne Gänsehaut erzeugt, indem er den Refrain von "Changes" intoniert.

"Never Never Land" ist eine schwierige Platte. Schwierig dürfte auch schon die Geburt des Albums an sich gewesen sein: Hatte James Lavelle bei seinem Debüt "Psyence Fiction" nebst Partner DJ Shadow noch Thom Yorke, Richard Ashcroft und Dutzende von weiteren Gästen an Bord, bleibt er hier bis auf ein paar prominente Sänger und eine Band, die seine Sachen umsetzt, weitgehend allein. Und das wiederum macht "Never Never Land" zu dem Album, mit dem er sich selbst und den Zuhörern beweisen muß, wie gut er wirklich ist. Und er ist verdammt gut.

Die Binsenweisheit, daß man den Song vollkommen auf sich wirken lassen müsse, trifft bei dieser Platte ausnahmsweise komplett zu: "Eye For An Eye" beispielsweise, die erste Single-Auskopplung und ein wahnsinnig intensiver Track, ist ein Geniestreich. TripHop, wie man ihn besser kaum machen kann, es sei denn, man heißt Tricky und bringt sein erstes Album heraus. Akustikgitarren, verträumt-vertrackte Beats und ein Refrain, der sich im Melodiezentrum des Gehirns festsaugt wie ein aus Tönen bestehender Blutegel.

Danach geht die Reise dorthin, wo höchstens die LSD-User in den 70ern schon gewesen sind: in eine Welt aus akustischen Formen und Farben, die vielseitig, merkwürdig, klaustrophobisch entrückt und märchenhaft zugleich ist. Psychedelische Musik in ihrer schönsten Ausprägung, warme elektronische Beats und Songs von einer fragilen Grazie, wie man sie sonst selten antrifft in diesem von soviel Oberflächlichkeit geprägten musikalischen Universum.

Es sind ganz spezielle musikalische Momente, die "Never Never Land" prägen. Wenn Josh Homme von den Queens of the Stone Age auf dem psychotischen Elektro-Bastard "Safe In Mind" in einer Tonlage singt, die es schwer macht, ihn überhaupt zu erkennen, zum Beispiel. Wenn Ian Brown, früher bei den Stone Roses, einen Track namens "Reign" intoniert, der auf perfekt-bezaubernde Art den Geist des aktuellen Brit-Rock einfängt und ihn mit lässigen englischen Club-Techno-Beats vermischt. Wenn mit "Glow" am Ende ein fast nur mit Gitarre dargebotener Diamant folgt, der auch ohne Thom Yorke wie ein vergessener Radiohead-Song klingt. Wenn man sich in den Songs verliert wie in einem dunklen und alptraumhaft spacigen Keller, in dem dennoch hier und da warmes Licht durch die Ritzen scheint.

UNKLE waren und sind das Kind von James Lavelle, das wird bei "Never Never Land" eindeutig klar. Das Fehlen von Rhythmusmeister und Ex-UNKLE-Mitglied DJ Shadow macht die Platte dabei nicht schlechter, sondern sorgt im Gegenteil eher dafür, daß die Songs eher von ihrer Struktur selbst als von allzuvielen Beats und elektronischen Spielereien leben müssen und dadurch berückender, ruhiger und eben Song-orientierter werden. Ein ganzes Füllhorn aus Ideen ergießt sich über dem Zuhörer, fast zu überladen wirkt dieses mehr an Massive Attack denn an Shadows Solowerken orientierte Album mit Melodien, Experimenten und guten Kompositionen.

Neben dem ebenso psychedelischen Soloausflug des Cypress-Hill-Plattendrehers DJ Muggs vielleicht die beste TripHop-Platte des Jahres.

Sebastian Baumer

UNKLE - Never Never Land

ØØØØ 1/2


Mo´Wax/Island/Universal (GB 2003)

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Kommentare_

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