Musik_Tweaker - 2 a. m. Wakeup Call

Nachtstücke in Moll

Trent Reznor, Chef der Nine Inch Nails, hat ein Händchen
für neue Talente - wie auch das Schizo-Trip-Projekt eines seiner ehemaligen Gehilfen beweist.    12.08.2004

Laut Chris Vrenna, früher als Teilzeitgehilfe am Schlagzeug bei Sound-Gott Trent Reznor angestellt, ist zwei Uhr morgens die surrealste Zeit des Tages. Seltsame Dinge passieren, die Menschlein schlafen alle, das Fernsehen schaltet auf Wiederholungen um, und die Bars machen dicht.

Den passenden Soundtrack für diese Uhrzeit liefert er mit "2 a. m. Wakeup Call", dem zweiten Album seiner Band Tweaker, gleich mit: einen schizophrenen, beklemmenden und verstörenden Trip, auf Platte gepreßt in Form von Musik, die klingt, als ob Massive Attack und die ehemaligen Arbeitgeber von Chris Vrenna zu einer Band fusioniert wären. Industrial-TripHop, der immer wieder Schönheit und Chaos, Beats und brachiale Gitarren mit verschiedenen Sängern zusammenbringt, unter denen neben dem allgegenwärtigen Cure-Frontman Robert Smith vor allem Will Oldham herausragt, der mit "Ruby", das ziemlich gelungen zwischen Manson-Gitarren und A-Perfect-Circle-Akustikklampfen pendelt, das herausragendste Stück dieses schlichtweg genialen Albums einsingen darf.

"It´s Still Happening" funktioniert nach ähnlichem Muster: Unter knarzenden Beats und futuristischer Elektronik wabert ein klassischer Singer/Songwriter-Track, der durch Verfremdung an Schönheit und Ausdruck gewinnt. Nach dem zentralen, instrumentalen Titelstück der Platte wird der Grundton nicht wesentlich optimistischer, sondern die Kompositionen gewinnen noch einmal an Psychotik und Alptraumhaftigkeit, bis zu dem am Ende von Jennifer Charles mitreißend intonierten Sechseinhalbminüter "Crude Sunlight", der das Äquivalent zum Sonnenaufgang nach einer dieser irren Nächte bildet, die unvergeßlich bleiben.

Anspruchsvolle und visionäre Musik, die mehr als nur ein bißchen bewegt und tatsächlich in den späteren Abendstunden am besten wirkt. Bislang eines der packendsten TripHop-Alben des laufenden Jahres.

 

Sebastian Baumer

Tweaker - 2 a. m. Wakeup Call

ØØØØØ


I-Music/Rough Trade (USA 2004)

 

Links:

Kommentare_

Musik
Team Sleep - Team Sleep

Schwebezustand

Jahrelang nur ein Gerücht, jetzt real: Das deutlich elektronisch orientierte Debüt des Deftones-Nebenprojekts wirft Fragen auf, beantwortet diese nur notdürftig und ist daher interessant.  

Musik
Ken – Stop! Look! Sing Songs of Revolutions!

Nebenschauplatz

Blackmail-Sänger Aydo Abay ist offenbar in Arbeitswut verfallen und wirft gleich zwei Platten seines Nebenprojekts auf den Markt. Zumindest beim "richtigen" neuen Album stimmt die Qualität.  

Musik
Mudvayne - Lost And Found

Identitätssuche, die dritte

Die New-Metal-Chamäleons versuchen auf ihrem Drittwerk die bisherigen Ausflüge in progressiven Rock und Metal zu einem schlüssigen Gesamtkonzept zusammenzuführen. Mit Erfolg.  

Musik
Queens Of The Stone Age - Lullabies To ...

Spannungsfeld

Ist es der zuvor erfolgte Ausstieg von Bass-Weirdo Nick Olivieri, der diese Platte zum qualitativen Zwitter macht? Schwer zu beurteilen. Genauso wie dieser Langspieler.  

Musik
Extol - Blueprint

Blaupause?

Wem die Funkstille Meshuggahs schon zu lange dauert, dem könnte diese Platte die Durststecke verkürzen. Fünf Norweger kombinieren die Attitude von Rush mit Mudvayne-Gitarren.  

Musik
... And You Will Know Us By The Trail Of Dead - Worlds Apart

Wundertüte

Durch Rekombination von Rock-Elementen entschweben T.O.D. berechenbaren Sphären. Eindrücke vom Weg zur Spitze.