Francesco Tristano: bachCage
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Deutsche Grammophon/Universal (D 2011)
Im Rahmen der Präsentation seiner neuen CD mit dem Titel "bachCage" gab der ebenso sympathische wie hochbegabte Pianist Francesco Tristano dem EVOLVER-Klassikexperten ein Interview und erklärte, warum er sich vor allem dem österreichischen Pianisten Friedrich Gulda so verbunden fühlt. Lesen Sie selbst, warum es Tristano in der Disco genauso gefällt wie in einem Konzertsaal ... 22.04.2011
Francesco Tristanos Debüt-CD könnte der Startschuß für eine außerordentliche pianistische Weltkarriere sein. Der in Luxemburg geborene Pianist mit italienischen Wurzeln versteht es, Johann Sebastian Bach und John Cage so miteinander zu verbinden, als lägen keine 300 Jahre zwischen den zwei Komponisten. Und bei genauem Hinhören merkt man dann, daß beide völlig zeitlose Musik komponiert haben, die immer wieder berührt.
Tristano spielt Bach ganz entromantisiert (also ohne Pedal) und brilliert mit glasklarem Anschlag und wunderschönen Läufen. Dabei erinnert er sehr an Friedrich Gulda (und zeitweise sogar an Glenn Gould). Großartig, wie er zum Kontrast von Bachs fast linearer Musik Cages Klangmalereien (die öfters an Claude Debussy erinnern) umsetzt - für Klavier-Fans ein absolutes Muß!
Der EVOLVER-Klassikexperte hat den Tastenzauberer zum Interview gebeten.
EVOLVER: Offenbar sprechen Sie viele Sprachen - können wir deutsch miteinander reden?
Francesco Tristano: Gerne. Luxemburg ist eine Plattform für viele Sprachen; die offiziellen Landessprachen sind Deutsch und Französisch. Von meiner Großmutter habe ich Italienisch gelernt. Derzeit lebe ich in Barcelona, das ist meine Basis. Ich bin aber dauernd zwischen Barcelona, Luxemburg und New York unterwegs, wo ich mein Hauptstudium hatte.
EVOLVER: Aus welcher Region stammt Ihre italienische Familie?
Tristano: Aus der Emilia Romagna, Region Modena. Ich fühle mich sehr italienisch. Die Sprache und die Musik haben es mir angetan - aber vor allem das Essen (lacht). Auch das spanische Essen ist eine Versuchung; es gibt sehr gute Produkte, aber leider kocht man dort etwas zu fett.
EVOLVER: Welches Klavier besitzen Sie?
Tristano: Ein Yamaha S 400, dieses Modell gibt es heute nicht mehr. Das habe ich seit meinem 13. Lebensjahr. In meinem Studio habe ich noch mehrere Klaviere stehen, darunter einige Pianinos.
EVOLVER: Und was ist Ihr derzeitiges "Lieblings-Klavier"?
Tristano: Ich bin immer schon ein Yamaha-Typ gewesen, da ich immer sehr gute Yamaha-Klaviere gespielt habe. Da waren auch einige Prototypen dabei. Aber ich bin auch sehr froh, wenn ich auf einem guten Steinway oder einem guten Bösendorfer spielen darf.
EVOLVER: Wie hat es bei Ihnen mit der Musik begonnen? Was hat ihr Interesse geweckt?
Tristano: Meine Mutter ist eine leidenschaftliche Melomanin. Sie hört den ganzen Tag laute Musik, von sieben Uhr morgens bis spät in die Nacht.
EVOLVER: Immer Klassik?
Tristano: Nicht nur Klassik, auch etwas Barock, viel "World Music" und viel Wagner. Das habe ich auch mitgemacht. So durfte ich beispielsweise viel "Parsifal" hören. Und der Name "Tristano" ist auch kein Zufall, sondern wurde mir von meiner wagnerianischen Mutter geschenkt. Zu Hause gab es ein musikalisches Ambiente. Meine Mutter hat Gitarre gespielt, aber nicht besonders gut. Ich habe mich daheim ans Klavier gesetzt. Mit fünf Jahren wurde ich in die Schule eingeschrieben, und da ging es los. Mit fünfzehn war ich dann in Paris und wußte, daß ich Musiker werden will. Danach zog ich nach Amerika und studierte an der Juillard-School.
EVOLVER: Eine klassische Ausbildung?
Tristano: Natürlich. Dazu hatte ich aber auch noch Jazz-Unterricht, Unterricht in Harmonielehre und Kontrapunkt und Fuge. Ich improvisierte immer schon und hatte den Drang, das zu spielen, was nicht in der Partitur stand. Ich spielte immer schon zwischen Partitur und Eigenem.
EVOLVER: Also wird das auch weiterhin Ihr Weg sein?
Tristano: Ich glaube schon - das war immer mein Weg.
EVOLVER: Das erinnert ein bißchen an Friedrich Gulda ...
Tristano: Nicht nur ein bißchen. Gulda ist für mich einer der wichtigsten Musiker und Komponisten überhaupt. Er war ein Visionär. Auch Joe Zawinul ist eine Inspiration für mich. Am 11. September 2007 (dem Todestag Zawinuls - Anm. d. Autors) spielte ich in Paris, und wir machten eine Hommage an Joe - mit Etagen von Keyboards usw.
EVOLVER: Planen Sie auch Klavierkonzerte im klassischem Sinn?
Tristano: Ja, auch mit Orchester. Ich habe derzeit viel mit den Hamburger Symphonikern zu tun. Mein nächster Orchesterauftritt findet im September statt. Da geben wir das Ravel-Konzert in G, das Gershwin-Konzert in F und ein Bachkonzert, bei dem ich vom Klavier aus dirigiere - natürlich ohne Pedal, aber mit Bewußtsein für das barocke Feeling. Wenn ich mit Orchester spiele, dann 20. Jahrhundert oder Bach und Mozart.
EVOLVER: Das Konzert am 8. Mai in Wien findet auch mit Keyboards statt?
Tristano: Nein, das ist abhängig vom Budget; es können aber Lichtinstallationen dabeisein. Die bachCage-Kampagne besteht aus zwölf Konzerten, dann geht es nach Japan. Nächste Woche spiele ich im Rahmen der Yellow-Lounge in Frankfurt mit vollem Equipment. Mich interessiert es, ein Projekt mit verschiedensten Facetten zu zeigen. Wichtig ist die Abwechslung. Manchmal ist es ein Soloklavier, dann mit Lichtinstallationen. Es soll kein Konzert zweimal gleich sein.
EVOLVER: Nehmen Sie für Cage Ihr eigenes Klavier mit?
Tristano: Nein, das ist im Budget nicht drin. Ich spiele Stücke der frühen 40er Jahre, wo das Klavier nicht präpariert sein muß. Ich spiele auch die Sonaten und Interludes, für die man ein spezifisches Klavier braucht. Dann benötigt man für ein Konzert schon zwei Klaviere, was die Sache sehr kompliziert macht. Das Präparieren des Klaviers dauert etwa vier Stunden. Cage war seiner Zeit weit voraus - überraschend, was er bereits in den Vierzigern erfunden hat. Nächstes Jahr ist Cage-Jahr, da wird es ein großes Revival geben. Er war auch in der Pop-Szene sehr präsent.
EVOLVER: Sie sind ein Mensch, der auch junge Leute bewegen könnte. Wie sehen Sie den Zugang der Jugend zur Musik?
Tristano: Die Idee der klassischen Musik wurde total korrumpiert. "Klassische Musik" ist ein Neologismus; die klassischen Komponisten haben nie von klassischer Musik gesprochen und sie nie gespielt - sie spielten nur "zeitgenössische" Musik (also die ihrer Zeit, Anm. d. Autors). Und heute spielt man diese Musik immer noch. Die heutige Gesellschaft hat aber mit Bach und Mozart nichts zu tun; es ist schwer, damit das Interesse der jungen Leute zu wecken.
Als Pianist suche ich einen Dialog zwischen zeitgenössischer und alter Musik. Mein Interesse gilt sowohl der neuen Musik als auch der Neugestaltung alter Musik. So könnte man mehr junge Leute heranziehen. Das hat damals auch schon Gulda gemacht ...
Die Klassik hat durch die schnellebige Gesellschaft einiges verloren; ein klassisches Konzert ist heute ein Ausnahmezustand. Man geht in einen Saal, alles ist ruhig, der Saal ist alt, die Musik ist alt, vielleicht das Publikum auch - dann applaudiert man und dann geht man wieder. Das ist wie eine Umklammerung.
EVOLVER: Haben Sie auch schon Auftritte als DJ gehabt?
Tristano: Es gibt hier in Wien ein paar Clubs, aber die meisten kenne noch nicht. Als DJ mache ich Live-Auftritte mit Laptop und Synthesizern am Dancefloor. Damit kann man auch die jungen Leute erreichen. Wenn man in die Musik ein paar barocke Klänge einfließen läßt, merken sie, daß da was passiert. Und die elitäre Hürde eines Konzertsaals fehlt an einem solchen Ort.
EVOLVER: Was sind Ihre nächsten Tonträgerprojekte?
Tristano: Darübr stehen wir noch in Verhandlungen. Wir haben eine Band namens Aufgang - ein deutscher Name, aber keine deutschen Musiker. Zwei Klaviere, Drumset und Electronic. Nächste Woche werden wir komponieren und ein neues Album einspielen. Das erscheint dann bei einem französischen Label. Vor der Universal-Ära habe ich schon eine Menge anderer Sachen produziert.
EVOLVER: Können Sie sich einen Abend an einer großen Disco, wie dem "Prater-Dome" vorstellen?
Tristano: Aber klar!
Francesco Tristano: bachCage
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Deutsche Grammophon/Universal (D 2011)
Hören darf man heuer auch ganz ohne Maske. Grund genug für den EVOLVER-Klassikexperten Herbert Hiess, seine Musiktips für die Weihnachtszeit unter den virtuellen Christbaum zu legen.
Nicht nur Thomas Angyan, der zukünftige Ex-Chef des Wiener Musikvereins, hätte sich den Abschluß seiner Karriere - ebenso wie Staatsoperndirektor Dominique Meyer - anders vorgestellt. Wie so viele Kulturschaffende gingen beide der angeblichen Pandemie in die Falle.
Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem mehr zu erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende Star-Pianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff - und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf.
Pech oder Schicksal - wie auch immer man es bezeichnen mag: Daß die großartige Berliner "Carmen" schon nach der zweiten Aufführung von Amts wegen gestoppt werden musste, hätte sich niemand gedacht. Jetzt kann man sie wohl einige Zeit nur als Stream oder Aufzeichnung betrachten. Die Staatsoper unter den Linden zeigt mit ihr jedenfalls, daß sie dank ihrer hervorragenden Musiker viele der angeblichen Spitzenhäuser übertrifft.
Wie Political Correctness als brutale Verlogenheit entlarvbar ist, zeigt das Stück "Der Vorname" des Autorenduos Patellière und Delaporte. Herbert Hiess hat es in den Kammerspielen erlebt.
Alle Jahre wieder ... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der "Streß", der oft zu Geschenkskäufen in letzter Minute führt. Um Verlegenheitsgaben wie Socken oder Bonbonnieren zu umgehen, hat der EVOLVER-Klassikexperte einige Tips zusammengestellt, die nicht nur eingefleischten Klassikliebhabern Freude bereiten werden.
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