Musik_"Hamlet" an der Wien
Tod und Wahnsinn
Im Theater an der Wien wurde Ambroise Thomas' Opernversion der Shakespearschen Tragödie "Hamlet" aufgeführt, bei der Marc Minkowski, der in Frankreich lebende Stardirigent mit polnischen Wurzeln, sein fulminantes Debüt gab. Die Oper zeichnet sich zwar nicht durch eine markante Musik aus, geriet aber dank Regisseur Oliver Py und seinem musikalischen Team zum echten Ereignis.
16.05.2012
"Hamlet" ist eine Tragödie, die viele Ähnlichkeiten mit dem Drama "Macbeth" des großen Dichters aus dem britischen Stratford-upon-Avon hat. Auch in "Macbeth" erscheinen die Ermordeten als Geister, und das Königspaar fällt dem Wahnsinn anheim. Parallel dazu werden in der fünfaktigen Oper von Ambroise Thomas immer wieder Erinnerungen an die Verdi-Oper "Macbeth" wach - zum Beispiel, wenn der Geist des ermordeten Vaters/Bruders erscheint oder wenn Gertrude und Claudius, der Mörder des Königs von Dänemark und neue Ehemann der Königin, irrsinnig werden.
Der französische Regisseur Oliver Py hielt die ganze Szene in düsterem Schwarz/Grau und füllte die Bühne mit einigen aus Stein gebauten Treppen, die er modular nützte. Das Spektrum reichte dabei von einer bühnenbreiten großen Treppe bis zu eigenwilligen Konstruktionen aus einzelnen Treppen. Auf geradezu geniale Weise wurde die Oper mit Hilfe der Lichteffekte und einer ausgeklügelten Personenführung zum Leben erweckt. Py ging auf die einzelnen Charaktere der Darsteller und ihrer Rollen superb ein - ja, sogar die Auf- und Abtritte beim Schlußapplaus trugen seine Handschrift.
In der Oper wie im Drama ringt der ermordete König von Dänemark als Geist Hamlet das Versprechen ab, seine Ermordung insofern zu rächen, als er Claudius umbringt, aber Gertrude leben läßt - sie soll lebenslang unter dieser Tat leiden. Dies geht dann so weit, daß Hamlet nicht nur sich, sondern seine gesamte Umgebung in die Abgründe des Wahnsinns hineinzieht. In Oliver Pys Inszenierung sterben nicht nur Claudius, Hamlet und seine Verlobte Ophelia, sondern auch alle anderen Personen, die sich im näheren Umfeld Hamlets befinden.
Marc Minkowski und die Wiener Symphoniker machten Thomas' Musik zu einem musikalischen Großereignis; sowohl bei hochdramatischen als auch bei den zartesten lyrischen Passagen wurde ein Klangzauber der Sonderklasse serviert. Ein absolutes Highlight war der Tod Ophelias am Schluß des vierten Aktes. Die Kongenialität von Dirigent Minkowski und der grandiosen Christine Schäfer als Ophelia machten daraus ein künstlerisches Erlebnis.
Neben Schäfer brillierten Stéphane Degout als Hamlet, Phillip Ens als Claudius und Stella Grigorian als Gertrude. Es war absolut faszinierend, wie Schäfer und Degout mit Stimmschönheit und Wortdeutlichkeit beeindruckten. Man hätte sich auch nie gedacht, daß Christine Schäfer als Koloratursopranistin so souverän ist. Da sitzt jeder Ton perfekt, und jeder dieser Töne trägt ihre gesamte Seele zu den Zuhörern. Davon könnten sich viele sogenannte Stars ein oder zwei Scheibchen abschneiden.
Insgesamt ist es einfach phantastisch, wenn ein großartiger Dirigent, ein brillantes Orchester, wirklich begabte Sänger und ein fähiger Regisseur aus einer nicht wirklich repertoiretauglichen Oper eine Sternstunde machen. Dazu kann man nur gratulieren.
Herbert Hiess
Kommentare_