Musik_The White Stripes - Get Behind Me Satan

Das gebrochene Herz

Den Satan ganz einfach einen guten Mann sein lassen: Das schräge Geschwister-Pärchen aus Detroit liefert mit seinem fünften Longplayer sein bis dato bestes Werk ab.    11.07.2005

Die White Stripes verstehen es wie keine zweite Band, Erinnerungen an 50er-Jahre-B-Movies und mit Räucherstäbchenduft geschwängerte Seánce-Säle heraufzubeschwören. Das aufwendige Booklet des neuen Longplayers "Get Behind Me Satan" mit Fotos des Duos im Stil irgendwo zwischen Addams Family und Ed Wood führt den Hörer demnach schon auf die richtige Spur. Es läßt sich aber auch nicht leugnen, daß ihren Kompositionen mitunter ein gewisses spirituelles Potential innewohnt.

Der Opener "Blue Orchid" ist ein flottes Gitarrenstück, das einmal mehr Jack Whites Falsettgesang in die legitime Nachfolge von Led Zeppelin rückt, während sich Schwester Meg wirklich den Staub aus ihren Becken prügelt. Die Drums könnten auch von einer alten 70er-Disco-Scheibe à la Ami Stewart stammen - hier wird auf jeden Fall Musikgeschichte seziert.

Überhaupt pflücken sich die Stripes einen bunten Blumenstrauß aus sämtlichen US-amerikanischen Musikstilen zusammen. So finden wir Bluegrass-Folk ("Little Ghost"), Gamelan-Marimbas wie aus "True Romance" ("The Nurse") oder simple, aber nie naive Gitarrenrockstücke wie "Instinct Blues" oder "Red Rain". Ja, die Mehrzahl der Stücke kommt tatsächlich ohne Gitarre aus, Jack malträtiert wiederholt das geduldige Klavier und Meg liefert den rhythmischen Untergrund. Zudem fließt auf "Get Behind Me Satan" deutlich mehr Elektronik ein als auf den Vorgängern.

Textlich gesehen befindet sich Jack wie gehabt auf einem veritablen Selbstzerfleischungstrip und kommt von seinem Pessimismus nicht los. Die Lyrics drehen sich um Entfremdung, Einsamkeit und Bertrug. Jack verliebt sich in einen Geist ("When I held you, I was really holding air"), macht seiner Ex-Freundin (Renee Zellweger?) Vorwürfe ("If there is a lie, there is a liar too") und sucht Rat bei seinem Idol Rita Hayworth, DER Filmgöttin der 40er-Jahre. Auf "Take, Take, Take" und "White Moon" findet er Trost bei seiner Seelenfreundin, und erkennt, daß er seine romantischen Obsessionen hinfort nur mehr alleine ausleben kann. Damit stellt sich Jack White in eine lange Tradition von Chansonniers und Songwritern von Nick Drake, Jacques Brel oder Marc Almond. Und sie alle hatten eines gemein: Das enttäuschte, zerbrochene Herz, den Motor für wahre Romantik.

Viel Zeit ließen sich die Stripes bei ihrem fünftem Album übrigens nicht. Angeblich wurde die gesamte CD in bloß 14 Tagen im Studio aufgenommen, manche Nummern waren bis zum Aufnahmetermin noch nicht einmal fertig. Dieser skizzenhafte Rough-cut-Stil war zweifelsohne stets ein Charakteristikum von Jack und Meg. Die 13 Stücke auf "Get Behind Me Satan" repräsentieren nicht nur den Höhenflug einer der originellsten Bands der letzten Jahre, sondern legen auch Zeugnis ab über die reichhaltige Musikgeschichte der USA.

Ernst Meyer

The White Stripes - Get Behind Me Satan

ØØØØ 1/2


XL Recordings/edel (USA 2005)

 

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